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Mein VeedelMit Daum durch den Hahnwald

Lesezeit 7 Minuten

Für Fußballtrainer Christoph Daum ist der Hahnwald Rückzugsort, Ideenzentrale und Energietankstelle zugleich

Köln – Der Boden ist gefroren im Friedenswäldchen, Christoph Daum geht langsam, die Kälte bremst. Von seiner Villa, die von der Straße nicht zu sehen ist, sind wir gleich in den Naturpark gegangen. Mit ihm, dem prominenten Fußballtrainer, durch das Villenviertel laufen und sich erzählen lassen, wo Olli Pocher, Stefan Raab und Gerhard Richter wohnen, das wäre billig und mit ihm nicht zu machen gewesen. Daums Veedel ist der Hahnwald trotzdem - auch wenn der Stadtteil kein klassisches Veedel ist, oder? Nicht im eigentlichen Sinne. "Aber es gibt ein Stadtteilfest und eine Interessengemeinschaft, und man kann wählen zwischen Ruhe und guter Nachbarschaft. Es ist viel Leben hier."

Ein Haus für sein Büro

Für Christoph Daum ist der Hahnwald seit 15 Jahren vor allem ein Rückzugsort. Daum ist 1975 zum Studium an der Sporthochschule und zum Fußballspielen bei den FC-Amateuren nach Köln gekommen. Er hat zuerst im Turm der Sporthochschule gewohnt, 30 Quadratmeter zu zweit, mit dem Erfolg wurden die Wohnungen größer, sein Haus im Hahnwald ist recht stattlich. "Der Hahnwald wurde in den 1950er Jahren erschlossen. Zuerst mussten die Grundstücke 10 000 Quadratmeter groß sein, dann 5000, inzwischen glaube ich nur noch 2000." Die meisten Grundstücke sind eher groß geblieben. Daum hat neben seiner Villa ein kleines Haus, das sein Büro beherbergt.

Dort, im Büro, war vor dem Spaziergang ein Gespräch über Grenzen in Gang gekommen, über die viele Menschen nicht hinauskämen, weil sie die von anderen diktierten Grenzen so verinnerlichen würden. "Wie oft ein Kind in seinem Leben zu hören bekommt, dass es etwas nicht kann! Das muss man erstmal abstreifen." Daum hatte Espresso gebracht, seine Frau Angelika Camm Kuchen, es war ein Gespräch, das eigentlich zu interessant war, um abgekürzt zu werden. Aber es sollte ja um sein Viertel gehen heute.

Als wir das Gespräch unterbrechen wollen, redet Christoph Daum weiter, über Bücher, die jeder lesen sollte, "Siddartha" von Hesse, "Die Entdeckung der Langsamkeit" von Nadolny, lauter ruhige Bücher. Als wir zum Aufbruch drängen, ein durchdringender Daum-Blick. "Warum reden wir nicht weiter?" Der laute, launische, autoritäre Christoph Daum, den die Medien so oft beschrieben haben, zeigt sich allerdings nicht, er holt einfach seinen Mantel.

Die Weite des Friedenswäldchens und des angrenzenden Forstbotanischen Gartens hat es dem Ex-FC-Trainer am meisten angetan. Hier geht er joggen und spazieren, hier entstehen Ideen, Gedankenblitze, die später bei einem Verein einschlagen könnten. "Der Forstbotanische Garten ist auch ein idealer Platz für Kinder, für Schnitzeljagden und Versteckspiele, aber auch, um die Natur kennenzulernen." Daum ist im Erzgebirge großgeworden, er kann noch eine Ulme von einer Linde unterscheiden. "Es ist wichtig, dass Kinder einen Begriff von der Natur kriegen", sagt er, "wir haben ja nur die eine Erde, das ist vielen leider nicht klar." Christoph Daum schlendert durch den Wald und erzählt die Geschichte einer alten Frau, die mit 90 einen Nussbaum pflanzte. "Sie hat es kapiert", sagt er, "es gibt viele Dinge, die erst nach Jahren oder Jahrzehnten Früchte tragen. Auch im Fußball."

Daum, der Motivator, der Heißsporn, der eben noch leidenschaftlich über Talentmanagement und sein Lebensprinzip ("Bleibe hungrig, bleibe neugierig") geredet hatte, ganz leise. Erstaunlich wohl nur für die, die das Medienbild des rastlosen Trainers für den ganzen Christoph Daum halten.

Der 59-Jährige hatte im Büro angedeutet, dass er sich in einer Zwickmühle befinde: Erst kürzlich sei wieder ein Verein auf seine besonders zugespitzten Formulierungen angesprungen: "Ein Trainer muss mehr als 24 Stunden pro Tag für den Verein da sein", so etwas. Und diese Maischberger-Sendung, bei der Daum aufgetreten ist. Es ging darum, wie ein Chef seine Mitarbeiter führen sollte. Die alte Story, dass er Spieler über Scherben laufen ließ, wurde mal wieder aufgetischt. Daum hatte den Kopf geschüttelt. "Die Sendung war eigentlich verlorene Zeit. Es gab keinen Erkenntnisgewinn."

Trotzdem spielt Daum das Spiel noch manchmal mit. Es macht ihm auch Spaß, zu polarisieren - zumindest, wenn es um Dinge geht, die er anders machen kann. Er darf auch fallen, "nur einmal mehr wieder aufstehen, das ist wichtig". Es geht jetzt ums Alter. Angst vor dem Älterwerden? "Nein, dafür bin ich zu neugierig auf das, was kommt." Worauf besonders? "Auf das nächste Engagement." Er fühle das Alter nicht groß und habe Träume. Tatsächlich sieht Christoph Daum nicht alt aus, sondern entspannt und energiegeladen, irgendwie alterslos. Also, sein Traum? "Die englische Premier League. Aber da komme ich im Moment nicht rein."

Am Wegesrand steht eine marokkanische Atlaszeder. Die Bäume im Forstbotanischen Garten kommen aus der ganzen Welt. In einigen der Länder hat Daum schon gearbeitet, in Marokko nicht. "Vor ein paar Wochen hat der marokkanische Verband mich angerufen und gefragt, ob ich grundsätzlich Interesse hätte, Nationaltrainer zu werden. Ich habe gesagt: Danke, im Moment nicht." Zehn ernstzunehmende Angebote habe er abgelehnt, seit er im Mai 2012 beim belgischen Spitzenclub Brügge aufhörte, weil ihm Konzept und Perspektive dort nicht zusagten. Es sind Angebote aus China dabei und aus dem Nahen Osten, Millionenofferten, aber sportlich nichts für Daum.

„Ich kann mehr Bücher lesen"

In seinem Büro hatte der Trainer auf dem Bildschirm einen Katalog mit 24 Fragen gezeigt, den er interessierten Vereinen schickt. Daum will wissen, ob der Verein einen Integrationsbeauftragten hat und wie das Trainingsgelände genau aussieht, er fragt nach Zielen und Perspektiven. Er strebe nicht nach Perfektion, hatte er gesagt, es gehe um Exzellenz. "Schon Allah hat gesagt, dass es keinen perfekten Seidenteppich gibt." Fast jede seiner Vorstellungen kleidet Daum in Geschichten. Sie machen einen Teil seiner Ausstrahlung aus, seine Akribie einen anderen.

Zurück zu den Träumen, auf den frostigen Boden im Forstbotanischen Garten. "Die WM 2014 wäre eine Herausforderung, da könnte sich kurzfristig noch was ergeben", sagt er. Oder eben England. Er habe keine Eile. Daum schlendert auf seiner Joggingstrecke, leise rauscht im Westen die Autobahn. Ob er, der Vielarbeiter, die ruhige Zeit überhaupt genießen könne? "Absolut. Ich bin gereist, war einen Tag im Jugendknast und habe die Kölner Tafel begleitet. Und ich habe Zeit für die Familie. Gehe mit meinem Sohn heute noch zu einem Fußballspiel, bin öfter bei den Hausaufgaben dabei, gehe zu Schulaufführungen meiner Tochter. Ich treffe Freunde und kann mehr Bücher lesen." Seine Kinder aus zweiter Ehe sind sieben und elf. Eine Pause, dann wieder ein leiser Satz: "Jeder geht irgendwann. Wenn am Ende abgerechnet wird, bleibt nur die Familie."

Freunde, sagt Daum, habe er im Hahnwald schnell gefunden. Aber klar: vom Hahnwalder Stadtwaldfest nehme keiner Notiz. Für die Fahrt zum Stammitaliener Il Valentino in Rondorf nehmen wir das Auto, im Sommer ist Christoph Daum oft mit dem Rad unterwegs. Saltimbocca isst er hier gern, und "fast alle Pastagerichte". Wenn Besuch da ist, holt Daum gern mal zehn, 15 Pizzen. Auf dem Rückweg geht es am Hermannshof vorbei, Eier und Kartoffeln holen, "die frischen Sachen, die wir kaufen, kommen alle aus der Region".

Nachhaltigkeit wünscht Daum auch dem FC, dessen Spiele er natürlich guckt. "Nur nicht im Stadion, ich möchte keinen Anlass für irgendeine Diskussion geben."

Wechsel ist Prinzip

Nach gut zwei Stunden im Büro und im Forstbotanischen Garten bleibt der Gedanke: Es gibt ihn, den ruhigen, den leisen Christoph Daum, natürlich gibt es ihn, warum auch nicht. Genauso wie den lauten, er kann binnen Sekunden wechseln, der Wechsel ist bei ihm Prinzip. Man kann davon ausgehen, dass die Ideen bei aller Ruhe unverändert schnell in seinem Kopf schwirren. "Freie Zeit", sagt Daum, "bedeutet für mich Selbstbestimmung." Aber keine Frage: Der Mann will bald wieder raus aus der Ruhe des Hahnwalds.