Mein VeedelMit dem Messe-Chef durch Lindenthal

Stammgast in Stefan Schülers Bratwurst-Manufakur
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Lindenthal – Kaum zu glauben, wie schnell man sich verlieben kann. Gerald Böse (50) wohnt gerade mal ein Jahr in Lindenthal, einen Steinwurf von der Dürener Straße entfernt, und kann sich schon nicht mehr vorstellen, in ein anderes Viertel zu ziehen. Höchstens ins benachbarte Sülz. Er hat damals etwas gesucht, „das mich an meine alte Wohnlage in Düsseldorf erinnert“, sagt der Chef der Köln-Messe. „Ich habe 14 Jahre in Oberkassel gewohnt, an der Luegallee direkt am Rhein.“
Dass die Dürener Straße mit einer Rheinlage in Düsseldorf mithalten kann, klingt überraschend. „Das kann man schon vergleichen“, sagt Böse. Einkaufsstraßen wie die Dürener Straße seien in Großstädten selten geworden. „Ich kenne in Köln keine zweite Straße mit so vielen kleinen attraktiven Geschäften, die von Inhabern geführt werden. Hier bekomme ich in einem Radius von 400 Metern alles, was ich zum Leben brauche. Das genieße ich sehr.“
Unser Spaziergang beginnt am Gasthaus Schwan, von dem der Restaurantkritiker Helmut Gote behauptet, wer es nicht mit guter Laune verlasse, könne schon vorher keine gehabt haben. Für gute Laune bei Gerald Böse sorgt grundsätzlich ein Besuch des Lindenkiosks an der Ecke Theresienstraße. „Jeder braucht sein Büdchen. Das gehört zum Rheinland.“ Das ist nicht einfach nur ein Kiosk, denn im Mittelpunkt steht eine Espresso-Maschine, die man hier niemals vermuten würde. Sie wirkt, als habe jemand einen Rolls Royce in einer Faltgarage abgestellt. „Kaffee gibt es an jedem Büdchen. Wir wollten etwas Besonderes“, sagt die Angestellte Jasmina Ayari (23), während wir ihren Espresso schlürfen. „Wir haben die Maschine drei Jahre. Die Investition hat sich gelohnt. Viele kommen nur wegen des Kaffees.“
Zwischen Stadt und Natur
Samstags draußen auf der Bierbank in der Sonne sitzen, einen Espresso trinken, Zeitung lesen – das sind die kleinen Fluchten, die Böse liebt. So auch die Tischtennisplatte auf dem Lortzingplatz. „Meistens am Wochenende spiele ich mit meinem Sohn. Wir packen unsere Schläger ein und hauen auf die Pille. Der Ballverschleiß ist auf der Steinplatte relativ hoch und die Windanfälligkeit verleiht dem Spiel einen besonderen Reiz.“ Neben Hockey sei Tischtennis immer schon seine Leidenschaft gewesen, sagt Böse. „Ein toller Sport, man muss voll konzentriert sein.“
Böse ist ein Genussmensch. Und hier, am Lortzingplatz, kann er auch kurz erklären, warum das Viertel mit dem Rhein und Oberkassel mithalten kann. „Ich liebe die Nähe zur Natur. Es ist schön, wenn man sich abends ohne großen Aufwand aufs Fahrrad schwingen und ins Grüne fahren kann.“ Der Rautenstrauchkanal sei seit seiner Sanierung ein „echtes Kleinod“. Der Stadtwald, der Decksteiner Weiher, alles um die Ecke. „Ich mag es, wenn die Dinge relativ schnell erreichbar sind. Das liegt auch an meinem Job mit den vielen unregelmäßigen Terminen.“
Was ihn an Lindenthal stört? „Die Staus auf der Dürener Straße, weil sie auch durch das Parken in der zweiten Reihe entstehen: „Das nervt.“ Ein bisschen mehr Rücksicht wäre schon geboten. Und Radfahrer, „die in einer atemberaubenden Geschwindigkeit über den Radweg brettern, immer auf ihr Recht pochen und einen auch noch wüst beschimpfen. Der Fahrradweg ist gemeingefährlich, weil viel zu schmal. Man müsste ihn auf die Straße verlegen.“ Von einer verkehrsberuhigten Dürener Straße hält Böse dagegen gar nichts. „Das würden viele Geschäfte nicht überleben. An dieser Straße lässt sich nicht mehr viel verbessern. Man muss sich mit ihr arrangieren.“
Pfiffige Geschäftsideen
Der nächste Halt. An der Bratwurst-Manufaktur kann der Messechef nicht vorbeigehen. Dürener Straße 219. Vor einem Jahr hat Stefan Schüler (46) mit der Edel-Pommesbude den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Die Wurst ist nicht ganz billig, „aber dafür verwende ich nur hochwertiges Fleisch und die entsprechenden Zutaten“. Das Geschäft läuft blendend. „Ich kann nicht klagen.“
Böse ist es nicht egal, welche Lebensmittel er einkauft. „Beim Essen lege ich sehr großen Wert auf gute Qualität.“ Was ihn darüber hinaus beeindruckt, sind – ähnlich wie beim Lindenkiosk – pfiffige Geschäftsideen. „Hier können Sie sich die Currywurst nach Hause bringen lassen.“ Der Lieferservice stecke aber noch in der Kinderschuhen, räumt Wurstbrater Schüler ein. Geburtstage, Firmenfeiern. „In den meisten Fällen bringe ich die Wurst fertig mit. Manchmal habe ich aber auch einen kleinen mobilen Grill dabei.“
Überhaupt. Wenn es nur ums Essen ginge, müsste Böse sein Viertel gar nicht mehr verlassen. „Ich stelle gerade fest, dass ich noch so gut wie gar nicht östlich der Lindenburger Allee war.“ Wozu auch? Der Edeka-Supermarkt sei bestens sortiert. „Da müssten Sie mal die Käsetheke sehen.“ Am Spanischen Obstgarten an der Ecke Geibelstraße könne man nicht vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen. „Der ist so schön aufgemacht. Fast wie eine kleine Markthalle.“ Einen frischen Orangensaft der Currywurst und dem Espresso hinterherschieben? Was zu viel ist, ist zu viel. Man muss sich auch mal einen Genuss verkneifen können können.
Eine der schönsten Straßen Kölns
Und so geht’s weiter. Der Herrenfriseur Männersache liegt gleich neben dem Herrenausstatter John Baker & Son. „Zu diesem Friseur geht auch mein Sohn gerne. Und das will für Jugendliche ja schon etwas heißen.“ Inhaber Christian Speelmann (32) schneidet nicht nur Haare, sondern verkauft nebenbei noch Kunst. Neben dem Eingang steht ein großformatiges Foto mit dem Kölner Rheinpegel, das für 200 Euro zu haben ist. Wieder eine gute Geschäftsidee.
Ohne groß zu fragen, stimmt Michael Lovasz (55), Inhaber des Herrenausstatter-Geschäfts, in Böses Loblied auf die Dürener Straße ein. Vor vier Jahren ist er mit seinem Geschäft von der Zülpicher Straße nach Lindenthal gezogen und hat diese Entscheidung nicht einen Tag bereut. „Die Lage ist super. Das ist momentan eine der schönsten Straßen von Köln.“ Das Besondere sei, dass „die Leute, die hier wohnen, auch wirklich hier einkaufen. Die unterstützen uns, die fahren nicht in die Stadt.“ Wie Gerald Böse, der gefühlte drei Monate immer wieder an einer Lederreisetasche im Schaufenster vorbeigegangen ist, „bis ich sie endlich gekauft habe“. Natürlich sei es teurer, beim Herrenausstatter ein paar handgefertigte Schuhe zu kaufen. Aber manchmal sei es am Ende besser, „für ein Paar Schuhe 300 Euro zu zahlen als für drei Paar jeweils 100. Der teure Schuh hält auch ohne Ende, bei guter Pflege“.
Fast hat es den Anschein, als würde der Messechef sein Lindenthal gar nicht mehr verlassen, wenn er nicht drüben in Deutz arbeiten müsste. Bevor wir uns verabschieden, muss er uns noch dringend seine beiden Lieblingscafés zeigen, zwischen denen, wie er sagt, „Welten liegen“. Im Café Pascher scheint die Zeit stehen geblieben. „Das erinnert mich an das Café Leni aus meiner Schulzeit in Mettmann. Da waren wir immer, wenn wir mal blau gemacht haben.“ Gegenüber liegt das Café Cosmic, das den Stil der 70er Jahre zeitgemäß und mit einem Augenzwinkern interpretiert und von Böses Nachbarn Jana Rath und Andreas Mallach betrieben wird.
Auf dem Rückweg gehen wir trotzdem noch mal schnell in den Lindenkiosk. Auf einen zweiten Espresso. Kaum zu glauben, wie schnell man sich verlieben kann.