Mein VeedelMit Till Brinkmann in Heimersdorf

Nicht nur fürs Foto: Till Brinkmann kauft auch sonst gerne auf dem Heimersdorfer Wochenmarkt ein paar Blumen.
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Heimersdorf – Seit 35 Jahren läuft im SWR-Fernsehen die Spielshow „Ich trage einen großen Namen“, zu der unser heutiger Veedels-Spaziergänger vermutlich niemals eingeladen werden wird, obwohl er als Kandidat prädestiniert wäre.Till Brinkmann würde dann da auf dem Sofa Platz nehmen, zum Rate-Team blicken und wenn die Frage käme, ob er womöglich ein unehelicher Abkömmling des berühmten Professors Brinkmann sei, würde er mit dem Brustton der Überzeugung bekunden: „Ich bin nicht unehelich! Ich bin tatsächlich der Sohn von Professor Klaus Brinkmann aus dessen erster und einziger Ehe. Zur Welt gekommen bin ich allerdings weder im Glottertal noch in einer Schwarzwaldklinik, sondern in Bonn, wo mein Vater auf dem Feld der experimentellen Ökologie tätig war.“
Staatlich geprüfter Schauspieler
Die einzige Gemeinsamkeit, die der leibhaftige Sohn von Professor Brinkmann mit dem wohl berühmtesten Weißkittelträger des Deutschen Fernsehens hat: Auch er ist Schauspieler. „Staatlich geprüft“, wie er grinsend ergänzt. Nach seinem Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart war er drei Jahre fest am Theater in Konstanz. Danach schuf er die Voraussetzung dafür, dass wir an diesem überraschend sonnigen Spätherbsttag an einer Bushaltestelle am Volkhovener Weg aufeinandertreffen und auf die S-Bahn-Gleise hinunterschauen können: Er packte am Bodensee seine Sachen zusammen und zog nach Köln.
„Ich hoffe, er ist noch heiß“, begrüßt Brinkmann seine Spaziergangs-Begleiter von der Zeitung und deutet auf die mitgebrachten Kaffeebecher. Den Treffpunkt – „mitten im Niemandsland“ – hat der 42-Jährige bewusst gewählt, um als erstes auf die geografische Besonderheit von Heimersdorf hinzuweisen, wohin er vor sechs Jahren mit Frau und Tochter zog, weil der Wohnraum dort noch bezahlbar schien.
„Jedesmal, wenn wir Leute zu uns einladen, stehen die irgendwann verloren hier an der S-Bahn“, stellt der Schauspieler amüsiert fest. Der Stadtteil sei praktisch von allen Seiten abgeschottet durch markante Verkehrsadern, erklärt Brinkmann, nestelt einen Stadtplan aus der Tasche und zeigt auf Autobahnzubringer, S-Bahn-Linie und andere einschneidende Straßen. Auf dem Papier wirkt das ein bisschen so, als habe ein Dreijähriger versucht, mit einem dicken Stift das Haus vom Nikolaus nachzuzeichnen. In der Wirklichkeit befürchtet man, nie wieder aus diesem Asphalt-Netz heraus zu kommen. Doch das geht, versichert Brinkmann lächelnd, während er im Kaffee rührt und nebenbei einfließen lässt, dass Heimersdorf in den 1960er Jahren „eine der kinderreichsten Gegenden Deutschlands“ gewesen sein soll.
Wir marschieren los, passieren die Feuerwache Nord und überschreiten bereits nach kurzer Wegstrecke die Veedels-Grenze. Der Kontrast ist einfach zu schön: Auf der einen Seite ein paar zufrieden grasende Ponys hinter dem Schild „Kinderspaß mit Pferden“ und direkt gegenüber von doppeltem Zaun und etlichen Kameras geschützt das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Überhaupt keine Haare
Brinkmann hat Spaß an diesem kleinen Abstecher nach Chorweiler. So kann er die Verschiedenartigkeit der beiden aneinandergrenzenden Stadtviertel zeigen: Hochhäuser auf der einen und von schmucken Gärtchen umgebene Reihen-Einfamilienhäuser auf der anderen Seite. „Hier liegt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei etwa 76 Prozent“, stellt er fest, während wir uns dem Liverpooler Platz nähern. „In Heimersdorf sind es 21,2 Prozent.“
Der Schauspieler mag den Wochenmarkt in Chorweiler, wo es unter anderem viele russische Spezialitäten gibt. Wir steuern auf einen Stand mit Thüringer Wurstwaren zu. Die Bratwürste seien einfach Weltklasse, meint Brinkmann mit einem Strahlen, derweil sich unzählige kleine Fältchen um seine grünen Augen gruppieren und davon ablenken, dass er weder Wimpern noch Augenbrauen hat. Er hat überhaupt keine Haare. Sie fielen aus, als er siebzehneinhalb war. „Ist für mich aber kein Problem.“ Dass ihm vermutlich nie die Rolle eines Landadeligen oder smarten Verführers angeboten werden wird, sondern eher die des Geldwäschers oder Türstehers, ist ihm bewusst. „Ich habe nun mal nicht die allgemein geltende Wunschschwiegersohn-Optik“, meint er, ohne dabei auch nur ansatzweise bekümmert zu wirken.
Zum Wochenmarkt in Heimersdorf
Betrübt ist er eher darüber, dass die guten Bratwürste bereits seit den Morgenstunden ausverkauft sind. Das ist nicht so seine Zeit; insbesondere, wenn er am Abend zuvor auf der Bühne gestanden hat. Aktuell kann man ihn im Freien Werkstatt Theater in dem Stück „Faustrecht der Freiheit“ erleben, das auf einem Fassbinder-Film beruht. Viele kennen ihn aus dem Heldenepos „Nibelungen“. In diesem Dauerbrenner der Comedia Colonia verkörpert er den Hagen.
Wir müssen uns sputen, um rechtzeitig zum Wochenmarkt in Heimersdorf zu gelangen, den Brinkmann uns als Kontrast zu dem in Chorweiler zeigen möchte. Für einen Ortsfremden ist es schier nicht nachvollziehbar, wie wir aus diesem Gewirr von Brücken, Zubringern und Asphaltschleifen plötzlich in eine Gegend gelangen, wo die Straßen nach Naturerscheinungen benannt sind und Mahagonipfad oder Haselnussweg heißen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Brinkmann so anschaulich erzählt und man selber vor lauter Zuhören kaum noch auf den Weg achtet.
Kleine Siedlungen ab 1922
Heimerdorf sei eine sehr alte Gemarkung. Das wisse man, weil ein gewisser Johan de Heimersdorp um 1180 als Zeuge bei einer Beurkundung fungiert habe. Die erste urkundliche Erwähnung eines Hofes stamme aus dem Jahr 1314. Dieser Hof im Besitz eines Klosters habe jahrhundertelang nahezu isoliert zwischen Volkhoven und Longerich gelegen. Erst nach 1922 entstanden nach und nach kleinere Siedlungen.
Heute, sagt Brinkmann, leide der Stadtteil vor allem an Überalterung. Die Menschen, die in den 1960er Jahren bauten und Kinder bekamen, seien inzwischen alt und die Kinder längst weggezogen. Obwohl nur relativ wenig junge Familien mit Kindern nachgezogen seien, findet er es sehr angenehm, hier zu leben. „Man kennt sich, aber es ist nicht die klassische Situation wie auf dem Dorf. “
Wir stehen an der katholischen Pfarrkirche Christi Verklärung am Taborplatz. Brinkmann mag diesen der Gotik nachempfundenen Bau des Architekten Josef Lehmbrock. Um erleben zu können, wie das bunte Kirchenfenster das Sonnenlicht auffängt, klingeln wir bei Pfarrer Heribert Meurer (nicht verwandt oder verschwägert mit dem, der ab und zu im Fernsehen zu erleben ist), der das Gotteshaus gerne für uns öffnet und dessen Schätze zeigt: Eine buchstäblich vom Kölner Dom abgefallene Fiale, eine Altarplatte aus dem 13. Jahrhundert, eine Tuchreliquie von Papst Johannes XXIII. sowie „die einzige Orgel im Rheinland, die man beleuchten kann“.
Gerne mal im „Tatort“ mitspielen
Als wir endlich zum Wochenmarkt kommen, ist nicht mehr viel davon übrig. Brinkmann kauft einen Bund duftender Lilien. Das gute Ureifeler Brot, das Jürgen Erschfeld regelmäßig nach Heimersdorf bringt, ist schon weg.
Wir durchqueren die Plattenbau-Ladenstraße samt Rio-Spiel-Halle und lassen uns zum Abschluss im italienischen Eiscafé „Cucus-Mocca“ am Haselnussweg nieder. Dort erzählt Brinkmann von seinem Traum. Dass er gerne mal in einem Tatort mitspielen würde. Kojak alias Telly Savalas sei tot. Yul Brynner, ein anderer berühmter Glatzkopf, sei tot. Aber er lebe. Mitten in Köln. In Heimersdorf.