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Mein VeedelRuhe ist für Elke Heidenreich Luxus

Lesezeit 6 Minuten

Die „Alte Liebe“ rostet nicht: die Literaturkritikerin Elke Heidenreich muss nach Rodenkirchen gehen, wenn sie ein Bier trinken will.

Marienburg – Denkmal- und Naturschutz seien käuflich - so wirkt es zumindest auf Elke Heidenreich. Besitzer holzten reihenweise alte Bäume ab und bezahlten dann – vermutlich achselzuckend – die Strafgebühren. Die Literaturkritikerin und Schriftstellerin wohnt seit 1987 in dem angesehenen Stadtteil, der eigentlich ein reines Wohnviertel ist. Aber: „Wer genug Geld auf den Tisch legt, darf alles machen.“ Zum Beispiel einen Vorgarten in eine betonierte Garageneinfahrt verwandeln.

Ihr eigenes, vergleichsweise kleines Haus mit dem großen, verwunschenen Garten steht in der sogenannten Professoren-Siedlung. Als sie und ihr Mann Bernd Schroeder von Baden-Baden nach Köln zogen, war beiden nicht klar, welchen Schatz sie mit dessen Erwerb gehoben hatten. „Ich genieße den Luxus der Ruhe, das viele Grün, die Nähe zum Rhein“, sagt sie. Wobei ihr schnell bewusst wurde, dass eben dieses schöne Fleckchen Erde auch ein Fluch ist. Keine Geschäfte weit und breit, von einer normalen Eckkneipe ganz zu schweigen. Der nächste Supermarkt steht in Bayenthal. Ohne ihr kleines Auto wäre sie hier aufgeschmissen.

Wir biegen in die Parkstraße ein, die zu dem Anwesen führt, das dem Stadtteil seinen Namen gegeben hat: die Marienburg. Es nieselt ein wenig, die mit Bäumen gesäumten Straßen sind menschenleer. „Früher war das mal ein Ausflugsort für jedermann, mit einem Hotel und einem Restaurant. Der Park führte runter bis zum Rhein.“ An der schmiedeeisernen Toreinfahrt verweist ein Namensschild noch auf den vorigen Besitzer Hans Gerling. „Heute ist hier ein Schulungszentrum für Manager. Da kann keiner mehr rein“, sagt Heidenreich mit Bedauern in der Stimme.

Vor dem Eingang plätschert seit 1910 ein reizend anzuschauender Brunnen mit pausbäckigen Putten. Er ist einer der drei magischen Punkte, die Elke Heidenreich bei ihren regelmäßigen Spaziergängen mit einem kohlrabenschwarzen Mops besucht. „Wenn das Wasser hier fließt, fließen auch Arbeit und Geld. Wenn das Brünnlein abgestellt wird – und das passiert manchmal – nehme ich das als Omen: dann wird es eng.“ Als freischaffende Künstlerin gebe es Zeiten, in denen alles gut läuft und Phasen, in denen der Kontostand bedenklich sinkt: der Brunnen als eine Art Finanz-Barometer.

Wenige Meter weiter ist ein riesiger Wohnkomplex aus dem Boden gestampft worden. „Die Leute verkaufen jeden Zentimeter Grund. Man sieht, dass in Marienburg das Geld regiert, und zwar nicht zum Guten.“ Wenn man sehr reich wäre, könnte man sich beispielsweise um eine der schönsten Villen in der Parkstraße kümmern, die seit 20 Jahren leer steht und verfällt. Der Balkon ist eingestürzt. Mit ihrem Wintergarten erinnert sie an eine russische Datscha. „Ein Jammer“, findet Heidenreich. Ihr Traum wäre es, ein Haus zu besitzen, in dem drei Zimmer nur für ihre Bücher reserviert wären und in den Wohnräumen keine stünden: „Ich kann manchmal keine Bücher mehr sehen.“

Wir biegen in die Ulmenallee ab, kommen an der beeindruckenden Villa vorbei, in der einst Tina Turner residierte. Zu Heidenreichs Nachbarn im Viertel zählen eine ganze Reihe von Prominenten, die man aus Funk und Fernsehen kennt, wie etwa Harald Schmidt, die Schauspieler Joachim Król und Wolfram Grandezka. Dabei glucke man aber nicht zusammen, sondern pflege einen freundschaftlich distanzierten Umgang.

Linkerhand passieren wir die Villa Vorster, die sehr schön renoviert wurde. Erbaut 1893 nach einem Entwurf von Otto March im englischen Landhausstil – ein architektonisches Prachtstück, nach dem in der Gegend eine ganze Reihe ähnlicher Villen entstanden. Das einstige Pförtnerhäuschen der Vorster-Villa haben Elke Heidenreich und ihr Mann seinerzeit gekauft und streng nach Denkmalschutzauflagen hergerichtet – und bald wieder nach Nachbarschaftsstreitigkeiten verkauft.

Bislang sind wir noch keinem Menschen begegnet – außer dem Hausmädchen der Villa Vorster, das einen zu dicken Hund an der Leine führt, dabei unentwegt telefoniert und sich ebenfalls auf den Weg in Richtung Südpark macht. Auf dem Platz vor dessen Eingang, der Endhaltestelle der Buslinie 106, steht seit einiger Zeit im Schatten einer mächtigen Baumkrone ein Büdchen, wo man sich mit Zeitungen, Brötchen oder Zigaretten eindecken kann. Ein Treffpunkt ist es trotzdem nicht: „Der Marienburger bleibt in seinem Haus und seinem Garten“, erklärt Heidenreich die kommunikative Abstinenz der hiesigen Bevölkerung.

Angenehm ist die Stille, die den Spaziergänger im Südpark einhüllt wie eine warme Strickjacke. Hier befindet sich auch der zweite magische Punkt: Mitten auf dem Weg steht eine hochgewachsene Pinie. Ein kleiner gelber Zettel weist sie als die Nummer 02231 aus. „Wenn ich diesen Baum umarme, spüre ich dessen Kraft, die sich auf mich überträgt“, sagt die Frau, deren literarisches Urteil von Leserinnen und Lesern hoch geschätzt, von manchen Kollegen arrogant belächelt wird. In dem „Kraftbaum“ erkenne sie sich wieder: So lange er sich an dieser Stelle halte, halte sie auch durch. Wie sie habe er ein paar Wunden und viele Jahresringe. Und wie sie steht er all jenen im Weg, die ohne nachzudenken hinter der Meute von Kulturbanausen herdackeln, möchte man hinzufügen.

Nur ein paar Steinwürfe entfernt steht – weithin sichtbar – am Rand einer großen Wiese die um 1920 von Fritz Behn erschaffene Bronze-Skulptur eines Panthers, der dritte magische Punkt, den Elke Heidenreich regelmäßig aufsucht. „Wenn ich dem Panther an die Nase fasse, bleiben meine Tiere gesund.“ Dabei ist die Frau mit dem schlagfertigen Mundwerk alles andere als eine Esoterikerin, sondern steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Es gab eine Zeit, da gingen ihr die Marienburger Idylle, der Edel-Italiener und das teure Delikatessengeschäft um die Ecke derart auf die Nerven, dass sie kurzerhand in die Innenstadt zog. Sechs Jahre hat sie es im Belgischen Viertel ausgehalten: „Da habe ich jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, stundenlang nach einem Parkplatz gesucht.“ Auf die Dauer war das Leben ohne Garten für sie und ihre Tiere nichts – für Letztere bedeuteten die Geschäfte, Kinos und die Kneipen in der Nähe schließlich keine nennenswerte Steigerung der Lebensqualität.

Zurück in Villenviertel

Zurück ins gepflegte Villenviertel: Hier muss man nicht fürchten, in das nächstbeste Hundehäufchen zu treten, die Bürgersteige und Straßen sind sauber, es liegen keine leeren Flaschen herum und kein Obdachloser bittet den Spaziergänger um einen Euro. Stattdessen wirken manche Bauwerke geradezu furchteinflößend. Wie etwa das Generalkonsulat der Republik Polen in der Lindenallee. Die Botschaft ziehe bald weg, erzählt Heidenreich. Wer das riesige, hermetisch aussehende Gebäude dann bevölkern wird, weiß sie nicht.

Wir nähern uns dem Grüngürtel, wo sich eine ehemalige preußische Festungsanlage befindet und steigen auf das Dach des Zwischenwerk VIII B. Hier versteckt sich ein großer Platz, der eine Aura aus Verlassenheit und himmlischer Ruhe ausstrahlt – lediglich ein paar Rosensträucher und der gestutzte Rasen lassen darauf schließen, dass wir nicht die einzigen Menschen sind, die das Gelände bewundern – wir beschließen, genau hier eine Reibekuchenbude aufzumachen.

Weiter geht es durch den Grüngürtel in Richtung Rhein, wo er „breit und wild“ ist, von dort am Strom entlang bis zur „Alten Liebe“, das auf dem Fluss liegende Traditions-Restaurant. Und ja, der Einwand, dass wir uns hier bereits auf Rodenkirchener Territorium befinden, ist berechtigt. Nur, es ist Heidenreichs Stammlokal. Zusammen mit Bernd Schroeder, hat sie sogar ein gleichnamiges Buch geschrieben. „Die Alte Liebe ist die erste gut zu Fuß erreichbare Kneipe von meiner Wohnung aus“, begründet sie den Ausflug ins Nachbarviertel. Die Terrasse des Lokals schwankt friedlich vor sich hin. Die Bedienung bringt uns ein Bier. „Ich bin jetzt bald 70 Jahre. Ich hab's ganz gerne langweilig“, sagt die Wahl-Marienburgerin. Wir prosten uns zu.