Die Begegnung mit Mike Heßler hat existenzielle Fragen in mir aufgeworfen: Wie lebt man weiter, wenn man weiß, dass man sterben wird?
Meine Geschichte 2024Mike leidet an einer tödlichen Krankheit – Penibel plant er sein Ende
In unserer Serie „Meine Geschichte 2024“ schreiben unsere Redakteurinnen und Redakteure über ihre ganz persönlichen Geschichten des Jahres.
Sein Zustand habe sich leider deutlich verschlechtert, schreibt Mike Heßler kurz vor Weihnachten in einer Whatsapp-Nachricht. Und er setzt hinzu: „Aber ich bleibe bis zum Ende positiv und genieße jede Sekunde.“ Alles andere hätte mich bei ihm auch schwer gewundert.
Kennengelernt haben wir uns im Juni. Eine Freundin, die bei der Polizei arbeitet, hatte mir Mike vorgestellt – als großartigen Menschen und Kollegen, der bewundernswert klar und mutig mit seiner tödlichen Diagnose ALS umgehe, Amyotrophe Lateralsklerose. Um einen Termin zu vereinbaren, solle ich ihn besser anschreiben, empfahl sie. Das Sprechen falle ihm schwer.
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Mike Heßler will seinen Todeszeitpunkt selbst bestimmen
Auch Mike ist Polizist. Als wir uns schließlich zum Gespräch in einem Pausenraum im Präsidium treffen, kann er seinen linken Arm schon nicht mehr bewegen, er humpelt leicht. Wenn er spricht, klingt das undeutlich und leicht verwaschen. Die fortschreitende Zerstörung der Nervenzellen, die seine Muskeln steuern, lässt sich mit Medikamenten verlangsamen, heilbar ist sie nicht. Nach und nach treten Lähmungserscheinungen auf, am Ende erstarrt die Atemmuskulatur. Mike weiß, dass er sterben wird, er weiß nur nicht wann.
Sobald auch sein rechter Arm „kaputt“ sei, sagte er, möchte er selbstbestimmt aus dem Leben scheiden. Er wolle kein Pflegefall werden, das wolle er seiner Frau und seinen beiden Töchtern nicht zumuten. Mike ist Mitglied geworden im Verein Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Alles ist vorbereitet.
Der 51-Jährige arbeitet eine Bucketlist mit Wünschen ab
Bis dahin will der 51-Jährige seine Bucketlist abgearbeitet haben: Reisen, Fallschirmspringen, Hubschrauber fliegen, eine Kreuzfahrt machen und vieles mehr. „Ich plane im Moment nicht mehr als drei Monate voraus“, sagte er. Das ist jetzt sechs Monate her.
Als Reporter habe ich schon Menschen in extremen Situationen, auch in existenziellen Lebenslagen erlebt. Aber selten hat mich eine Begegnung so tief bewegt wie das Treffen mit Mike. Was unter anderen Umständen wie ein banaler Kalenderspruch daherkommt, klingt authentisch und unbedingt ernstzunehmen, wenn Mike es sagt: „Lebt jetzt. Genießt das Leben. Schiebt nichts auf.“
Unwillkürlich fragte ich mich: Was würde ich an seiner Stelle tun? Wäre ich so voller Tatendrang wie er? Wie würde ich die letzten Monate meines Lebens planen? Und wie genau soll es eigentlich aussehen – das Ende?
Mike Heßler jedenfalls hat eine klare Vorstellung davon. Mit einem Freund hat er in den vergangenen Monaten drei Musikalben produziert. Die Texte hat er selbst geschrieben. Im Song „Vergesst Mich Nie“ rappt Mike: „Das Ende kam friedlich im Kreis meiner Lieben. Ich ging in Dankbarkeit und fand meinen Frieden. Mein Leben war nicht lang, aber ich bin selig, dass ich es selbst beenden konnte. Nichts mehr quält mich.“