Projekt „Beymeister“Kölner Gemeinde will neue Art der Kirche etablieren
Köln – Am Anfang war hier nicht das Wort. Im Anfang war ein grünes Sofa. Und statt Reden war das Hören. Gemeindereferentin Miriam Hoffmann (37) und der evangelische Pfarrer Sebastian Baer-Henney (40) sind mit dem Sofa den Rhein entlang und durchs Veedel gezogen. Sie haben es hier und da abgestellt – als wandernde Einladung zum Gespräch. „Wir wollten uns beibringen lassen, was für die Menschen hier relevant ist“, so formuliert Hoffmann. Es ist die Idee einer Kirche, die sich aufmacht zu den Menschen, um zu hören, was sie suchen und was ihr Veedel Mülheim braucht. Und zwar ganz kirchenuntypisch, „ohne selbst schon die Antwort zu kennen.“
Eine Schneiderei als Veedelswohnzimmer
Herauskamen die „Beymeister“. So heißt das Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim. Es ist ein Versuch, anders Kirche zu sein. Namensgeber sind die Beymeister. Das waren im Mittelalter die verschiedenen Meister einer Zunft, die sich gegenseitig beratend auf Augenhöhe zur Seite standen. Sie regelten ihren Zunftalltag miteinander, in dem sich jeder mit seinen Talenten einbrachte. Keiner war Chef des anderen. Das Zuhause der Beymeister ist inzwischen ein Veedelswohnzimmer, wo das grüne Sofa seinen dauerhaften Platz gefunden hat. Denn das war es, was die Menschen in Mülheim sich wünschten: Einen konsumfreien Ort, an dem die Menschen gemeinsam kochen, sich begegnen, zusammen Kultur erleben und auch gemeinsam beten können. „Einen Ort, den sie selber prägen können und an dem sich der Stadtteil stärker vernetzt“, hätten die Leute sich gewünscht, fasst Hoffmann zusammen.
Dieses „Wohnzimmer“ haben die Beymeister dann in einer kleinen ehemaligen Schneiderei in der Wallstraße gefunden, deren Name immer noch auf dem großen Schaufenster prangt: „Maßanfertigungen, Änderungsatelier“. Hier, kaum 50 Meter von der evangelischen Friedenskirche entfernt, treffen sie sich in dem Raum, dem die Backsteinwände ein besonderes Flair geben: Sie kochen zusammen, organisieren Wohnzimmerkonzerte, Themenreihen oder Lesungen. Wenn nicht gerade Lockdown ist, feiern sie einmal in der Woche gemeinsam Abendmahl, morgens um 7 Uhr in einer sehr dichten Atmosphäre im Halbdunkel, bevor dann jeder in seinen Tag geht.
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„Wir sind Kirche im Alltag, aber eben anders“, meint Baer-Henney. Dabei wollen sie bewusst kein Gegenentwurf sein, sondern eine Ergänzung. Eine neue Spielart von Kirche, die sie für neue Menschen relevant sein lasse, wie er formuliert. Vor allem für die, die Kirche aus dem Blick verloren hat: Von den 200 Menschen, die sich immer mal wieder im Wohnzimmer der Beymeister einfinden, sind die meisten zwischen 25 und Ende 40, viele sind Singles oder Paare, viele Kreative und Künstler unter ihnen. „Viele haben schlechte Erfahrungen mit Kirche und sind positiv überrascht. Es gibt eine große Sehnsucht nach Tiefe, nach Gemeinschaft und Spiritualität“, resümiert Baer-Hanney. Gleichzeitig wollten die meisten dem Zeitgeist entsprechend flexibel zu bleiben. „Die Menschen möchten eher bei Projekten mitwirken, sich aber nicht wie im klassischen Gemeindekontext an ein auf einen Wochentag fixiertes Angebot wie etwa einen Chor binden.“
Versuchslabor und Vorzeigeprojekt
Für die Evangelische Kirche im Rheinland sind die Beymeister eine Art Versuchslabor für Kirche der Zukunft und auch ein Vorzeigeprojekt: Miriam Hoffmann ist eine viel gebuchte Referentin, Presbyterien aus ganz Deutschland interessieren sich für die Beymeister. Die Grundidee besteht darin, fortlaufend zu hören, was gerade für die Menschen dran ist. Nichts einfach vorzusetzen, sondern gemeinsam zu gestalten. Das ist gerade jetzt in der Corona-Pandemie eine Herausforderung: All die schönen gemeinsamen Dinge, wie das Projekt Werkskunst, bei dem einmal im Monat im Wohnzimmer Kunst geteilt wurde, geht nicht.
Aber die Schwarmintelligenz der Beymeister, wie Hoffmann es nennt, funktioniert auch unter Corona-Bedingungen: „Unsere Leute wollten jetzt was anderes als Corona, etwas Schönes, Aufbauendes..“ Und sie suchen Struktur in einem für manche durch Corona strukturlos gewordenen Alltag. Darum gibt es jetzt bei den Beymeistern einmal die Woche den „Themenwechsel“ – immer zwei Menschen verabreden sich zum Reden entweder im Veedelswohnzimmer oder bei einem Spaziergang, bei dem nur ein Thema Tabu ist: Corona. Jeden Dienstag wird im Wohnzimmer ein Mittagessen gekocht und gegen eine Spende im Pfand-Weckglas für Zuhause ausgegeben. „Für viele ist das jetzt ein wichtiger kleiner Termin in der Woche.“ Und mit der Aktion „Kuchen und Gin“ haben sie letzten Sonntag Rezept und Backzutaten samt alkoholischem Stimmungsaufheller allen, die mögen, für einen netten Sonntagnachmittag vorbeigebracht. Weihnachten gab es eine coronataugliche Krippenwanderung der besonderen Art: Zu den Figuren der Weihnachtsgeschichte hat ein kreatives Beymeisterteam Streetartmotive im Veedel ausfindig gemacht und einen kleinen Führer mit Texten und Gedanken dazu erstellt. Mehrere hundert Menschen konnten so auf besondere Art und Weise den Heiligen Abend begehen. Gerade sind die Beymeister dabei, sich etwas Schönes für Ostern auszudenken: „Wir sind selbst noch gespannt, was es wird. Aber uns wird etwas Kreatives einfallen“, da ist sich Hoffmann sicher.