AboAbonnieren

Laute „Blechmusik“ aus KölnBei Kwaggawerk spielen Anfänger und Amateure gemeinsam

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Kwaggawerk begeisterte die Zuhörer in Mülheim beim Open-Air-Auftritt am Kapellchen.

Mühlheim – Das Kwagga war eine Unterart des südafrikanischen Steppenzebras und wurde im 19. Jahrhundert ausgerottet. Seine auf den Vorderkörper beschränkte Zeichnung hob es deutlich von der streifenreicheren Verwandtschaft ab. Sicher hat diese Besonderheit zur Namensfindung des Kunstorchesters „Kwaggawerk“ beigetragen, als Gründer Reto Stadelmann es 2006 nach dem Zebra benannte.

Gewöhnlich ist nämlich nichts bei den momentan fast 50 Mitgliedern der Blaskapelle aus Anfängern und Amateuren. Ein Open-Air-Konzert auf dem Kapellche-Platz bewies jüngst, wie musikverrückt die Kwaggawerker wirklich sind.

Keine Regeln bei der Musikergemeinschaft „Kwaggawerk“

„Hier kann jeder so sein, wie er will. Es gibt keine festgeschriebenen Regeln“, erklärt Orchesterleiter Roman Söntgerath zum lockeren und unkonventionellen Auftreten der Musikergemeinschaft. Individualität wird bei dem selbst ernannten „bunten Haufen“ großgeschrieben. Niemand muss seine Ecken und Kanten verbergen, sich irgendwelchen Vereinsstatuten unterwerfen oder durch perfektes Spiel glänzen. Mit illuminierten Instrumenten und teils extravaganten Outfits leben die Orchestermitglieder optische Diversität und geben akustisch, was Trompete, Posaune, Tuba oder Schlagwerk hergeben.

Zurecht beschreiben sie ihre Darbietungen als „laut und schrill“ – ein Erkennungsmerkmal, dem sie seit ihren Anfängen treugeblieben sind. Vom Schweizer Komponisten Reto Stadelmann als kulturpädagogisches Projekt in Köln initiiert, übten sich zunächst eine Hand voll Enthusiasten im Spiel der Guggenmusik – einer im alemannischen Raum beheimateten Fastnachtsmusik.

Songs von „La Cucaracha“ bis Abbas „Super Trouper“

Heute orientiert sich das Repertoire der beachtlich gewachsenen Truppe eher am Genre der populären Musik. Kwaggawerk-tauglich arrangiert wird sie von Roman Söntgerath, der Musik im Lehramt studierte. Bereits 2007 stieß er zum Orchester und übernahm 2011 dessen Leitung, nachdem Reto Stadelmann aus Zeitgründen ausgeschieden war.

Mit „La Cucaracha“ ziehen die Kwaggawerker in den Hof vor dem Kapellchen ein, es folgen Titel wie „Feel It Still“ von Portugal, „Mambo“ von Herbert Grönemeyer und Tom Jones´ unvergesslicher Gassenhauer „Sex Bomb“. Als Zugabe des ersten Sets schmettern sie dann noch den Abba-Evergreen „Super Trouper“ und „Count On Me“ von Bruno Mars. Zehn Trompeten, fünf Posaunen, zwei Tuben und sechs Perkussionisten sorgen für einen durchdringend knalligen Sound, der deutlich über den eigentlichen Veranstaltungsort hinausreicht.

Schräge Töne bei Kwaggawerk erlaubt

Zurückhaltung ist Kwaggawerks Sache nicht. Trompeter Tilman Zschocke, der den Co-Chef neben Roman Söntgerath gibt, animiert seine Mitspieler zu maximaler Klangstärke. Dabei sind „schräge“ Töne durchaus erwünscht. Schließlich geben sie Aufschluss über die ungestüme Leidenschaft der Musikanten für ihr teils völlig neu beschrittenes Metier. Denn, so war es bereits im Initialgedanken von Kwaggawerk festgeschrieben: Jeder, ob mit oder ohne musikalische Vorbildung, ist willkommen.

Multiinstrumentalist Roman Söntgerath vermittelt Anfängern die nötigen Kenntnisse im Einzelunterricht, beim Konzert am Kapellchen bedient er vertretungsweise die Basstrommel. Der eigentliche Basstrommler sei in Quarantäne, meint er.

Selbstkreierte Choreographien und selbstgebastelte Kostüme

Unerlässlich ist bei dem selbst ernannten „bunten Haufen“ allerdings die Liebe zu lauter Musik und ein gewisser Grad an Verrücktheit. Kleinperkussionistin Anne Mettig beispielsweise hörte von Kwaggawerk über eine Arbeitskollegin. Das sei eine ganz verrückte Truppe, habe sie damals erzählt. „Da muss ich unbedingt hin“, beschloss Mettig und nimmt seither die Anfahrt aus Odenthal mit unvermindertem Enthusiasmus in Kauf. Aus Bonn und Winterberg würden die Mitglieder anreisen, erklärt Posaunist Daniel Unger. Ein Probenraum in der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Kalk-Humboldt sei die zentrale Anlaufstelle von Kwaggawerk.

„Wir erarbeiten Musikprojekte für den öffentlichen Raum, die für alle zugänglich sind“, fährt Unger fort. Selbstkreierte Choreographien oder selbstgebastelte Kostüme gehören zur Bandbreite ihrer künstlerischen Ambitionen. Dabei schöpft das Kunstorchester kreative Kapazitäten aus den eigenen Reihen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Für Projekte wie „Kwaggawerk goes Ruhrgebiet“ (2016) und die „Kwaggophonie in Odonien“ (2013) lieferte Kwaggawerk-Posaunist Max Pothmann die Choreographien, als hauseigener Biograf hielt Kwaggawerk-Freund Heinz Linder-Rabente Probenarbeiten und Auftritte bis zu seinem Tod 2021 zeichnerisch fest. Überhaupt tritt das Kunstorchester gern bei Ausstellungen und Performances beteiligter und auch anderer Künstler als bereicherndes Element auf. In der Zeche Zollverein in Essen wird Kwaggawerk am dritten April die Saisoneröffnung mitgestalten.

Positive Resonanz aus den Kölner Veedeln

Jürgen Kuhlmann, zuständig für ein „Küche“ genanntes Konvolut aus verschiedenen Trommeln, spricht über ein starkes Gemeinschaftsgefühl, Ungezwungenheit und Spaß im Orchester – und schwingt beim zweiten Set des Abends die Stöcke zum italienischen Protestlied „Bella Ciao“, „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens und der Beatles-Hymne „Let It Be“. Gäste und Anwohner freuen sich über die musikalische Abwechslung im Veedel und bestätigen Kuhlmanns bisherige Erfahrungen. „Unsere Auftritte werden immer sehr positiv aufgenommen“, resümiert er.

Wer an schräger, lauter und blecherner Musik interessiert ist, kann sich per E-Mail an Kwaggawerk wenden oder einen Blick auf die Webseite von Kwaggawerk werfen.kontakt@kwaggawerk.de