Der Tag ging als „Schwarzer Samstag“ in die Kölner Stadtgeschichte ein.
28. Oktober 1944Vor 80 Jahren zerstörten Bomben Mülheim – Zeitzeugen erinnern sich
Der 28. Oktober 1944 ist ein sonniger Herbsttag. Die Straßen und Plätze in Mülheim sind belebt, an der Bachstraße findet sogar Markt statt. Mehrmals hat es am Morgen und Nachmittag zwar Fliegeralarm gegeben. Doch dann folgt die Entwarnung. Kriegsroutine. Schon lange gehören Fliegerangriffe zum Alltag der Kölner, einige davon waren besonders verheerend. Der „Tausend-Bomber-Angriff“ vom 30. auf den 31. Mai 1942 zum Beispiel oder der „Peter- und Paul-Angriff“ am 29. Juni 1943, bei dem 4377 Menschen ums Leben kommen und die Innenstadt in ein Trümmerfeld verwandelt wird.
548 Menschen sterben am „Schwarzen Samstag“
Ab 1943 nehmen die Engländer verstärkt die Kölner Vororte ins Visier. Für die Mülheimer wird der 28. Oktober 1944 zum „Schwarzen Samstag“. Um 15.44 Uhr, als viele schon gar nicht mehr damit rechnen, wird es ernst. Der neunjährige Willy Hungenberg spielt unter freiem Himmel an der Mülheimer Brücke, als er die Flugzeuge herannahen sieht. Er läuft 200 Meter weit zum nächsten Bunker. „Es dauerte nicht lange, da hörte man die Bomben fallen“, erzählt er 80 Jahre danach. Eine Dreiviertelstunde später hat sich der wolkenlose Himmel von Ruß und Rauch verfinstert, Mülheim ist nicht mehr wiederzuerkennen. „Ich habe gelernt, wie Angst die Menschen zum Beten bringt“, sagt Hungenberg rückblickend: „Ein unauslöschlicher Eindruck.“
Die Stadtteile Mülheim und Buchforst trifft es an diesem Tag besonders hart: 1650 Häuser werden hier schwer beschädigt, in ganz Köln sind es 2239. 548 Menschen sterben, 351 davon in Mülheim. Viele Menschen hatten es nicht mehr rechtzeitig in die Bunker geschafft. Allein im Gebiet Buchheimer Straße, Mülheimer Freiheit, Keupstraße und Clevischer Ring lässt die englische Royal Air Force 8000 Brandbomben, 100 Sprengbomben sowie Luftminen und Phosphorkanister fallen. 2884 Tonnen Spreng- und Brandbomben werfen die englischen Flugzeuge an diesem Tag über Mülheim, Deutz, Kalk und einigen linksrheinischen Stadtteilen ab.
Anne Priller-Rauschenberg, heute 93 Jahre alt, schnappt sich ihren kleinen Bruder und rennt zum Bunker an der Bergisch Gladbacher Straße. Unterwegs suchen sie an einem Haufen Koks Schutz, weil die Flieger bereits ihre tödliche Fracht abwerfen. Ihre Eltern waren schon vorweg gelaufen zum völlig überlaufenen Bunker, der während des Angriffs ins Schaukeln gerät. Drei Tage habe sie den Bau nicht mehr verlassen, erzählt Priller-Rauschenberg im Gespräch mit Jens Olesen: „Wir hatten nichts zu essen und zu trinken.“ Um sich gegen eindringenden Rauch zu schützen, habe sie sich von Schmutzwasser getränkte Lappen vor den Mund gehalten. Als sie endlich rausgehen darf, schlägt ihr die Hitze der brennenden Häuser und Leichengeruch entgegen. Am Bunkereingang liegt ein toter Achtjähriger, den sie kannte. „Es war grauenhaft.“
Otto Irlenbusch befindet sich während der Bombardierung im Keller seines Hauses an der Ecke Windmühlenstraße/ Mainaustraße. Sein Vater war früher von der Spätschicht bei „Felten & Guilleaume“ wiedergekommen, weil er im Radio vom geplanten Angriff gehört hatte. Das Haus der Irlenbuschs wird schwer beschädigt, die Familie kann dank der damals üblichen Kellerdurchbrüche gerettet werden. „Es war ein Durcheinander, eine Überforderung“, sagt der 87-Jährige. Auch Willy Hungenbergs Haus wird verwüstet. Anschließend wird er, ebenso wie Irlenbusch und Priller-Rauschenberg, evakuiert.
Wie schwer die Schäden waren, zeigen die Fotos und Texte, die Arndt Bahrfeck und Norbert Schmitz-Höfer von der Mülheimer Geschichtswerkstatt anlässlich des 80. Jahrestags für eine Ausstellung in der Friedenskirche zusammengestellt haben. Zur Eröffnung luden die Geschichtswerkstatt und die evangelische Gemeinde am Samstag auch die Zeitzeugen Anne Priller-Rauschenberg, Willi Hungenberg und Otto Irlenbusch ein, die noch Kinder waren, als die Bomben fielen.
Ausstellung bis 17. November
Die Fototafeln der Geschichtswerkstatt zeigen das Ausmaß der Zerstörungen. Der Wiener Platz liegt in Trümmern, ganze Straßenzüge, aber auch Kirchen und der Stadtgarten. Daneben erinnern Vorkriegs-Aufnahmen schmerzlich an das Mülheim, wie es einmal aussah. Kurze Begleittexte liefern wichtige Informationen und Zitate von Zeitzeugen. „Ein ganzes Stadtbild ist verloren gegangen, die Identität von Mülheim“, so Norbert Schmitz-Höfer: „Selbst 80 Jahre nach den Ereignissen ist es immer noch erschütternd, was hier passiert ist.“ Es gelte, immer wieder daran zu erinnern, was geschehen könne, „wenn man den falschen Propheten hinterherläuft“.
Die Ausstellung in der Friedenskirche an der Wallstraße 70 ist bis zum 17. November freitags von 17 bis 20 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Am 16. und 17. November wird zudem eine Videoinstallation mit Zeitzeugenberichten gezeigt.