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„Niemand soll allein sterben“Warum junge Kölnerinnen Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten

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Emilie Vogeler trägt einen weißen Pulli und eine schwarze Hose und sitzt mit anderen Ehrenamtlichen bei einer Gesprächsrunde des Hospizvereins Mülheim.

Emilie Vogeler beim Gruppentreffen des Hospizvereins Mülheim. Während sich hier viele junge Menschen engagieren, wird das Ehrenamt laut Deutschem Hospiz- und Palliativverband vorwiegend von Frauen zwischen 51 und 70 Jahren getragen.

Ehrenamtliche Mitarbeiter ambulanter Hospizdienste begleiten Menschen am Ende des Lebens. Auch junge Engagierte widmen sich dem Thema, sind aber noch die Ausnahme.

Nur 3,5 Prozent der ehrenamtlichen Sterbebegleiter sind unter 30 Jahre alt. Die Zahl verwundert nicht – wer befasst sich schon in jungen Jahren mit Tod und Trauer? Überraschenderweise sind das recht viele. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Yougov gibt mehr als jeder Dritte der jungen Altersgruppe an, viel über Fragen rund um den Tod nachzudenken.

Die Erfahrung hat auch Bernadette Groebe vom Malteser Hilfsdienst gemacht. Die Kölnerin leitete ein Projekt mit jungen Menschen in der Sterbebegleitung. Sie sagt: „Tod und Trauer suchen sich die Menschen nicht nach Alter aus. Manche erleben das als Kind, andere, wenn sie alt sind.“ Um auf die vielfältigen Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen, sei der Aufbau einer neuen Generation in der Hospizarbeit wichtig. Das Vorurteil, unter 30-Jährige hätten zu wenig Lebenserfahrung, weist sie zurück: „Sie bringen frischen Wind in die palliative Versorgung.“

„Tod und Trauer suchen sich die Menschen nicht nach Alter aus. Manche erleben das als Kind, andere, wenn sie alt sind“
Bernadette Groebe, Malteser Hilfsdienst

Zwei der jungen Engagierten sind Emilie Vogeler (22) und Alina Zubair (25). Sie stehen sterbenden Menschen in ihrer häuslichen Umgebung zur Seite. Bekannte reagierten mit Erstaunen, als sie erzählten, im Hospizdienst zu arbeiten. „Sterben ist immer noch ein Tabuthema“, sagt Vogeler. Die Angst vor dem Ende des Lebens würde viele bremsen, sich damit zu beschäftigen.

Alina Zubair ging es vor fünf Jahren ähnlich. Eine Führung auf der Palliativstation der Uniklinik Köln holte die Medizinstudentin aus der Komfortzone. Zubair stellte sich den Bedenken, begann 2018 mit Klavierkonzerten für Patienten, meldete sich 2019 zum Befähigungskurs für die Sterbehilfe an und ist seit 2020 ehrenamtliche Mitarbeiterin des Malteser Hospizdienstes Sinnan. Zusätzlich bietet sie sogenannte Letzte-Hilfe-Kurse an – „Hinschauen statt wegschauen“, lautet dort das Motto.

Der Tod ist immer noch ein Tabuthema, junge Menschen denken aber viel darüber nach

Emilie Vogeler schlug einen ähnlichen Weg ein. In ihrer Ausbildung zur Pflegefachkraft sind Krankheit und Tod tägliche Begleiter. Doch im Job fehlen die Kapazitäten. „Es ist nicht machbar, sich ausreichend Zeit für die sterbenden Patienten zu nehmen.“ Das wollte sie so nicht hinnehmen: Vogeler engagiert sich im Hospizverein in Mülheim. Von dort wird sie an Menschen vermittelt, die ihre Hilfe brauchen: Schwerkranke und Familien, die in den letzten Tagen und Wochen eines Lebens um externe Unterstützung bitten.

„Es mag befremdlich klingen, einer fremden Person in einer so vulnerablen, intimen Phase Einblicke ins Leben zu gewähren. Genau darin liegt aber die Stärke der Sterbebegleitung“, sagt Zubair. „Wir sind empathisch, aber nicht persönlich betroffen. Bei uns können die Begleiteten offen reden, ohne Angst zu haben, uns zu belasten.“ Im Familienkreis sei das oft anders.

Damit die Chemie zwischen Begleiter und Begleiteten stimmt, leisten Hospizvereine wichtige Arbeit. „Ich habe ganz viel Vertrauen in unsere Koordinatorinnen“, sagt Vogeler. In monatlichen Gruppensitzungen tauschen sich die Ehrenamtlichen über ihre Erfahrungen aus. „Da sitzen dann nicht alle in Schwarz herum“, beschreibt Groebe die Treffen. Es gehe um traurige Erlebnisse, genauso wie erfüllte Momente voll Lebensfreude, die sie mit den begleiteten Menschen teilen.

Das Wichtigste in der Sterbebegleitung: da zu sein

Ein medizinischer Background ist für die Begleitung nicht nötig. Sterbebegleiter sind nicht für die Pflege der Patienten zuständig. Eine vorbereitende Qualifizierung ist zwar Pflicht. Wichtig sei aber vor allem eines: da zu sein. In Gesprächen, bei Spaziergängen, beim Vorlesen, manchmal auch beim Schweigen.

Ihre Arbeit erinnert Alina Zubair daran, das Leben als Geschenk anzusehen. Traurig mache sie weniger der Tod. Viel mehr beschäftige sie die Einsamkeit, die insbesondere ältere Menschen erfahren. „Niemand sollte allein sterben“, sagt auch Emilie Vogeler. Damit meint sie nicht nur den letzten Atemzug, sondern die letzte Phase des Lebens. Manche Begleitungen würden mehrere Monate dauern, andere nur wenige Tage.

Obwohl sich die Gesellschaft dem Thema immer mehr öffnet, sind Begleitungsangebote wie die der Kölnerinnen noch kaum bekannt. In der Yougov-Studie geben 39 Prozent der jungen Erwachsenen an, noch nie von Hospizarbeit gehört zu haben. Jedoch zeigen sich viele offen für ein Engagement, vor allem, wenn sie mit den Angeboten schon einmal in Berührung kamen.

Um mehr junge Menschen von dem Ehrenamt zu überzeugen, müsse sich aber noch einiges tun, sagt Groebe. Etwa eine flexiblere Zeitgestaltung zu ermöglichen oder soziale Anreize zu schaffen, um sich als Sterbebegleiter fortzubilden. Laut Emilie Vogeler braucht es diese Art der Entlohnung nicht. Sie bekomme schon so genug für ihr eigenes Leben zurück.