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Nachruf auf Rabeya MüllerKölner Pionierin des Islams in Deutschland

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Rabeya Müller

Rabeya Müller

Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Bundestagsabgeordnete, würdigt die verstorbene islamische Theologin und Imamim Rabeya Müller.

Wie nennt man eine Frau, die nach dem Abitur Ende der 1970er Jahre allein mit ihrem „Muffel“ – einem alten roten Mini – von der Eifel nach Nordafrika reist? Neugierig, mutig? Selbstbewusst, ein bisschen verwegen? Rabeya Müller war alles davon – und noch viel mehr.

Als Rosel Müller wächst sie mit ihrer alleinerziehenden Mutter bei den Großeltern auf, die von den Nazis drangsaliert worden waren. Sie besucht ein erzkatholisches Gymnasium in Vallendar. Danach bricht sie auf, geht auf die Suche, stellt sich die essenziellen Fragen des Lebens. In einer Zeit, die noch gar nicht so lang vergangen ist, und doch wirkt es so, als wäre es eine andere Epoche. Es ist die Zeit, in der man interessierten Zeitgenossen noch erklären musste, was der Koran ist und wer gemeint ist, wenn von „dem Propheten“ die Rede ist.

Aus Rosel wird Rabeya Müller

In dieser „grauen Vorzeit“ wird Rosel Müller zu einer der wenigen Deutschen, die sich mit der Weltreligion Islam auskennen. Sie lernt die Inhalte dieses Glaubens schätzen. Während die politischen Konflikte um den Islam in Deutschland noch Lichtjahre entfernt zu sein scheinen, nimmt sie ihn – „aus reiner Vernunft“, wie sie später immer sagen wird – in der Londoner Zentralmoschee für sich an, und aus Rosel wird Rabeya Müller.

Rabeya Müller war eine Pionierin des Islams in Deutschland, eine der ersten Imaminnen. Eine Frau, die den Kampf der Geschlechter innerhalb ihrer Religion aufnahm – kompromisslos, resolut, aber immer auch mit rheinischer Leichtigkeit. Sie stellte sich mit Mut, Kraft und Esprit der männlichen Dominanz entgegen. Mit großem Gespür für die inneren Werte ihres Glaubens stand sie im besten feministischen Sinne ihre Frau.

Zeitgemäße Auffassungen von Religion vermittelt

Beim renommierten Professor Abdoldjavad Falaturi an der Uni zu Köln wird Rabeya Müller zur Islamwissenschaftlerin. Sie lebt mit ihrer Familie von nun an zwischen Köln, Indien und Pakistan, studiert islamische Theologie. Ihre gewonnenen und erarbeiteten Erkenntnisse will sie nicht für sich behalten. Sie gründet das Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln (ZIF) mit. Als Leiterin des Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik (IPD Köln) bringt sie jungen Menschen und Erwachsenen zeitgemäße Auffassungen von Religion bei, von gegenseitiger Wertschätzung und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Mit ihr entsteht eine umfangreiche IPD-Schriftenreihe.

Rabeya Müller (2. v. rechts) mit Lamya Kaddor (links daneben) in einem Seminar zur Islamismus-Prävention 2017

Rabeya Müller (rechts) mit Lamya Kaddor in einem Seminar zur Islamismus-Prävention 2017

Zu ihren bemerkenswertesten Publikationen gehört eine kleine, aber wegweisende Abhandlung mit dem Titel „Ein einziges Wort und seine große Wirkung“ (2005). Es geht darin um die Koran-Formulierung in Sure 4,34 über Frauen: „… und schlagt sie!“ Mit weiteren Autorinnen zeigt Rabeya Müller die vielen Interpretationsmöglichkeiten eines einzigen Verbs im Arabischen auf, das Männer gemeinhin tatsächlich nur als „schlagen“ wiedergeben wollten. Schlüssig zeigt sie auf, dass es sich dabei um ein falsches, patriarchalisch geleitetes Textverständnis handelt.

Dem liberalen Islam glaubwürdig Gesicht gegeben

Rabeya Müller war authentisch und offen. Sie glaubt e an den interreligiösen Dialog. Sie drängte sich nicht in die erste Reihe, sie wurde dorthin geschoben. Sie wollte nicht bloß Stoff für eine Schlagzeile liefern. Ihr ging es um die Sache. Ihr ging es auch um die Menschen - selbstlos und zugewandt.

Unzähligen Verunsicherten und wegen der oft feindlichen Islamdiskurse Verängstigten steht sie bei. Sie verheiratet Musliminnen und Nichtmuslime. Frauen und Männer versammeln sich hinter ihr zum Gebet. Sie stützt Gläubige, die aufgrund ihrer Queerness, ihrer Homosexualität, ihrer Transidentität in schwierigen Fahrwassern sind.

In ihren Schriften, Reden und Seminaren gab Rabeya Müller dem liberalen Islam in Deutschland, aber auch weltweit ein glaubwürdiges Gesicht. Dabei kam sie stets ohne Feindseligkeiten und Abwertung anderer aus. Sie feierte Karneval, ging zu „Kölle singt“ ebenso wie in die Oper. Sie hörte Niedecken und die Stones, jubelte und litt mit dem Effzeh.

Rabeya Müller (links) während eines Iftar-Essens. Mit am Tisch: Lamya Kaddor (Mitte)

Rabeya Müller (links) während eines Iftar-Essens. Mit am Tisch: Lamya Kaddor (Mitte)

In ihrem Leben war Rabeya Müller für viele eine Inspiration, auch für mich. Mit ihr zusammen durfte ich den ersten Koran für Kinder in Deutschland erarbeiten oder „Saphir“, die erste Schulbuchreihe für Islamunterricht an deutschen Schulen. Wir waren gemeinsam an der Gründung der ersten universitären Ausbildungsstätte für Islamlehrer und islamische Theologen beteiligt, engagierten uns gemeinsam gegen Extremismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, und wir gründeten 2010 mit anderen den Liberal-Islamischen Bund.

Diese Woche ist meine geliebte Freundin, Mentorin, Kollegin, Weggefährtin und Vertraute gestorben. Mein Herz blutet. Im Alter von 67 Jahren hat sie den härtesten Kampf ihres Lebens verloren. Ihr Wirken wird bleiben. Rabeya Müller hat sich in der Geschichte des Islams in Deutschland ihren Platz gesichert.

„Inna lillah wa-inna ilyahi radschi´un.“ – „Von Gott kommen wir und zu Ihm kehren wir zurück.“ Halt die Ohren steif, meine Liebe!

Lamya Kaddor


Die Bestattung mit muslimischem Totengebet findet am Donnerstag, 22. Februar 2024, um 10 Uhr auf dem Südfriedhof in Köln-Zollstock statt.

Unsere Autorin, geboren 1978, ist Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin. Lamya Kaddor hat viele Jahre als Lehrerin in Dinslaken gearbeitet. Seit 2021 gehört sie für die Grünen dem Bundestag an. (jf)