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Nachruf auf Rüdiger PosthDer Experte für die Gefühlswelt kleiner Kinder

Lesezeit 6 Minuten

Rüdiger Posth mit seinem ersten Buch über die Gefühlswelt kleiner Kinder

Köln – Ein Baby – was für ein Wesen ist das eigentlich? Wie „redet“ es mit seinen Eltern? Wie können Mütter und Väter ihren Nachwuchs verstehen? Und wie ihm am besten zu einer guten Entwicklung verhelfen? Diese Fragen haben den Kinderarzt Rüdiger Posth über Jahrzehnte beschäftigt. Für ihn war der Säugling das empfindlichste Wesen überhaupt. Er selber war sehr sensibel und hatte ein großes Einfühlungsvermögen. Als Arzt erlebte er es immer wieder, wie wenig junge Mütter und Väter die Bedürfnisse ihrer Kleinen erkennen können. Das berührte ihn tief. Er begann nach den Ursachen für diese Unfähigkeit zu suchen und wurde dabei allmählich zu einem Anwalt der Kinder.

Folgen für die Gehirnbildung

Er entschloss sich, eine weitere Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten zu absolvieren und sein Wissen zu erweitern. Bücher stapelten sich bei ihm, über psychologische Bindungstheorien zwischen Eltern und Kind, philosophische Denkweisen zur Erziehung und darüber, welche Auswirkungen heutige Leistungsanforderungen auf das Familienleben haben. Auch die neueste Hirnforschung gaben wichtige Einsichten. Etwa die, wie sich eine gelingende oder eine misslingende Beziehung zwischen Eltern und Kind vom ersten Lebenstag an auf die Gehirnbildung auswirkt.

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder koeln@ksta.de. Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Die Herausforderung für Rüdiger Posth lag jedoch darin, alle diese Erkenntnisse in praktisches Handeln umsetzen zu können, in Ratschläge für Eltern, die leicht verständlich und leicht umsetzbar sind. Eltern auf diese Weise helfen zu können, wurde für ihn geradezu zur beruflichen Mission. Nicht nur die kleinen Patienten in seiner Praxis sollten davon profitieren. Seine Überzeugungen veröffentlichte er in drei Büchern. Sie handeln von Bindungskonzepten zwischen Eltern und Kind, gewaltfreier Erziehung und vom Umgang mit schwierigen Kindern. Die Werke finden großen Anklang, auch in der Fachwelt.

600.000 Anschreiben beantwortet

Das Internet nutzte Rüdiger Posth als weitere Möglichkeit, mit vielen Eltern in Kontakt zu kommen. Zwölf Jahre lang gehörte er dem Ärzte- und Hebammen-Forum „Rund-ums-Baby“ an. Da konnten sich Mütter und Väter schriftlich anonym an ihn wenden. Wer da beispielsweise wegen weinender Knirpse am Ende war, dem erläuterte er die „Sprache“ der Kleinsten, beschrieb, was sie brauchten. So konnte sich manche hilflose Mutter besser in ihr Kind hineinversetzen. Er ermunterte seine Online-Schreiber, sich einmal auf andere Weise auf ihr Kind einzulassen und schlug ihnen neue, einfach umzusetzende Verhaltensweisen vor. Damit war er sehr erfolgreich, er war der beliebteste unter den 54 Experten.

Auf mehr als 600.000 Anschreiben ist Rüdiger Posth im Laufe der Jahre eingegangen. Kein einziges blieb unbeantwortet. Hinter der Verzweiflung der Eltern sah er immer die Not des unverstandenen Kindes, das ließ ihn am Computer nicht eher ruhen, bis er wirksame Unterstützung anbieten konnte. Er war auch nicht jemand, der spontan antwortete. Er ließ sich Zeit, um das Problem sorgfältig zu durchdenken. Und weil seine Antworten im Netz nicht an Wert verlieren, bleibt sein Forum auf Wunsch vieler Eltern weiterhin zugänglich.

Rüdiger Posth - der Familienmensch

Dass Rüdiger Posth sich so stark einsetzte für gute Familienbeziehungen, lag wohl auch daran, dass er selbst durch und durch Familienmensch war. Ein Leben ohne eine eigene große Kinderschar konnte er sich nicht vorstellen. In die Gefährtin fürs Leben hatte er sich schon früh in der Schulzeit verliebt. Er war in Bayenthal aufgewachsen und hatte auf dem Gymnasium Kreuzgasse das Abitur gemacht. Zum Studium zog er aber dann gemeinsam mit seiner Frau Veronika Posth-Birkner nach Düsseldorf. Während sie sich dort auf ein Lehramt an Grundschulen vorbereitete, studierte er Medizin. Beide blieben danach noch ein paar Jahre in Düsseldorf. Er machte die Facharztausbildung in Kinderheilkunde und spezialisierte sich zusätzlich in der Nervenheilkunde bei Kindern. Mehrere Jahre leitete er eine neurologische Kinderstation und die Ambulanz der Universitätsklinik. In dieser Zeit vergrößerte sich der Haushalt durch vier quirlige Kinder.

Ein geräumiges Haus für alle fanden die Posths 1988 dann in Bergisch Gladbach, der Arzt eröffnete im Ort seine Praxis. Inmitten all der Anforderungen von seinen jungen Patienten und im Familientrubel zu Hause wirkte er wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Stark und zuverlässig. Es gab kaum etwas, was diesen Mann aus der Ruhe bringen konnte. Dabei war er keinesfalls verschlossen, sondern ganz im Gegenteil sehr offen. Mit ihm zu reden, schätzte jeder, der ihn kannte. Er hatte nicht nur ein enormes Wissen, sondern auch eine warme Ausstrahlung, die Sicherheit und Geborgenheit vermittelte. Dass es seiner Familie gut ging, war für ihn das Allerwichtigste. Auch seine Enkel liebten diesen Großvater, der so gut auf sie eingehen konnte.

Im Herzen Kölner

So gerne Rüdiger Posth mit Menschen zusammen war - er brauchte auch Stunden für sich allein. Nach einem langen Arbeitstag zog er sich im Haus gerne zurück und hörte Musik. Schon in seiner Jugend hatte seine Leidenschaft eher der Musik als der Medizin gegolten. Er war ganz Ohr für die Klänge großer Komponisten, spielte Klavier und besuchte Konzerte. Ganz besonders schätzte er die Ausdruckskraft von Jean Sibelius. Seine Verehrung für den finnischen Komponisten war so groß, das er sie mit Gleichgesinnten in der Jean-Sibelius-Gesellschaft teilte.

Eine Insel zum Nachdenken war sein Schreibtisch. Dort entwickelte er nicht nur wissenschaftliche Arbeiten, Vorträge und Fachartikel, sondern fand auch die Ruhe für seine Ausflüge in die Poesie. Was ihn bewegte, worüber er nachsann, fasste er in Gedichte, die Zeilen oft frei rhythmisiert, voll tiefgründiger Gedanken. So entstanden kleine Bände und zahlreiche weitere Veröffentlichungen. Berühmt wurde er damit nicht, aber im Kreis der Lyriker hatte sein Name durchaus Bedeutung. Überhaupt waren die fantastischen Welten in Romanen, Essays und Gedichten für ihn eine besondere Energiequelle. Bereits während seiner Studienzeit in Düsseldorf hatte Rüdiger Posth in einem Literatur-Café mitgearbeitet. Von seinen Erfahrungen profitierte später das Literatur-Café in Bergisch Gladbach. Viele Jahre lang hatte der Arzt großes Vergnügen daran, in einer Schreibwerkstatt bei anderen die Lust am Gestalten von Geschichten zu wecken. Damit drängte er sich mit Wissen nie in der Vordergrund, eine Eigenschaft, die seine Mitstreiter als außergewöhnlich empfanden.

Bei allem Engagement in Bergisch Gladbach – in seinem Herzen blieb Rüdiger Posth Kölner. Er fühlte sich eng verbunden mit der Stadt. Sie war für ihn immer schnell zu erreichen: für ein Konzert, zu einem Essen, um Freunde zu treffen oder auch nur fürs Heimatgefühl. Kaum ein Monat verging ohne einen Streifzug durch die Straßen, meist mit der Kamera. Allerdings hat er auch an seiner Stadt gelitten. Als jemand, der Ordnung und Strukturiertheit schätzte, vermisste er bei Politikern und in der Verwaltung Prinzipien zur Entwicklung dieser alten Stadt. Das ärgerte ihn besonders bei den Querelen um das Opernquartier, die archäologische Zone und das Jüdische Museum. Dass dieses Museum gebaut wird, hatte er sich sehr gewünscht.

Sein unerwartetes Ende nach schwerer Krankheit empfinden seine Freunde, Kollegen und Weggefährten als schmerzlichen Verlust. Auch viele Eltern seiner Patienten und im Online-Forum trauern. Vor allem aber für seine Familie kam sein Tod viel zu früh.