AboAbonnieren

13 Schüler, elf MuttersprachenWarum die Sprachvielfalt an den Schulen eine Chance ist

Lesezeit 5 Minuten

Süeda Yerlikaya (15). Spricht zu Hause: Türkisch und Deutsch.

  1. Beim Treffen mit 13 Schülern des Dreikönigsgymnasiums kommen elf verschiedene Muttersprachen zusammen.
  2. Die Vielfalt und Internationalität an Kölns weiterführenden Schulen ist ein großer Schatz – man muss ihn nur heben.

Bilderstöckchen – Mit ihrer Mutter muss Süeda Yerlikaya Türkisch sprechen, mit dem Vater geht es auch auf Deutsch. Die 15-jährige ist ein As in Latein, lernt Englisch und Spanisch. Nach ihrem Abitur möchte die Kölnerin Ärztin werden.

Arya Parhizkari ist erst 11 und bringt sich selbst Japanisch bei. Zuhause wird Persisch gesprochen; nach der „Muttersprache“ gefragt, nennt der gebürtige Bonner auch Deutsch.

Arya Parhizkari (11).

Der ein Jahr ältere Adullah Osmic spricht Bosnisch, Deutsch, Englisch sowie ein bisschen Serbisch und Französisch. Die Muttersprache des in Köln geborenen 14-Jährigen mit dem typisch deutschen Namen, Lukas Meyer, ist Polnisch.

Lukas Meyer (14).

Elf verschiedene Muttersprachen

Schüler und Schülerinnen des Dreikönigsgymnasium – kurz DKG – in Bilderstöckchen sind in einem Klassenraum zusammen gekommen, um sich für die Serie des Kölner Stadt-Anzeiger anlässlich des Karnevalsmottos „Uns Sproch es Heimat“ porträtieren zu lassen: Neun Kinder und Jugendliche sowie zwei Geschwisterpaare bringen elf verschiedene Muttersprachen mit, dazu Kompetenzen in sechs weiteren Sprachen. Längst nicht alle Sprachen sind vertreten, die diese Schule zu bieten hätte: Auch Kurdisch, Hindi, Bulgarisch, Amharisch, Paschtunisch, Tadschikisch, Punjabi, Igbo, Albanisch, Arabisch, Tigrinya, Vietnamesisch, Armenisch, Ukrainisch, Mazedonisch, Tschechisch, Bengali, Chinesisch, Urdu, Rumänisch und Italienisch wären möglich gewesen.

Das DKG ist Kölns älteste städtische Schule. Die Chronik geht zurück bis 15. Jahrhundert. Den heutigen Namen hat sie seit 1911, vorher hieß sie Marzellengymnasium und war an verschiedenen Orten in der Innenstadt beheimatet, bevor sie 1977 an den Rand des Blücherparks zog. Hier lehrten im 17. Jahrhundert der Kämpfer gegen die Hexenverfolgung Friedrich Spee und im 19. Jahrhundert der Physiker Georg Simon Ohm; aus zahlreichen Schülern wurden Bischöfe, einflussreiche Politiker und Wissenschaftler. Adolph Kolping, mehrere Aktivisten der Revolution 1848/49 oder spätere Kölner Oberbürgermeister drückten die Schulbank. Heute ist die zukünftige Bildungselite am DKG so international wie nie zuvor. Die Kinder und Jugendlichen bringen einen wahren Sprachenschatz mit in die Lerngemeinschaft.

Viele wachsen zweisprachig auf

Nicht wenige der 13 Schülerinnen und Schüler nennen auf die Frage, wie sie sich zu Hause unterhalten, zwei Sprachen. Es gibt eben nicht nur eine „Muttersprache“, sondern auch eine, die zum Vater gehört. So sprechen die 12-jährigen Zwillingsschwestern Jana und Carlotta Vives Hufnagel mit dem Vater Katalanisch und mit der Mutter Deutsch.

Jana und Carlotta Vives Hufnagel (12).

Die Brüder Vishwa und Vishnu Ganesh unterhalten sich untereinander auf Englisch, zu Hause auch auf Tamilisch. Deutsch ist bei ihnen weder Erst- noch Zweitsprache. Sie kommt nun als Drittes dazu. In Köln sind der 11- und 14-Jährige erst seit sechs Monaten, ihrem Deutsch hört man die kurze Zeit nicht an. Französischkenntnisse haben sie aus der Schule mitgebracht, in die sie früher gegangen sind.

Vishnu (14) und Vishwa (11) Ganesh. 

Und auch die 13-jährige Mareen kann von einer zweisprachigen Kindheit berichten: Die Eltern sprechen Deutsch und Kölsch.

Mareen Forsbach (13). 

Enkel der ersten Generation werden nicht mehr mitgezählt

Über 94 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre weist die städtische Statistik Ende 2017 als Kölner mit einem sogenannten Migrationshintergrund aus. Das sind fast 54 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Köln. Tatsächlich ist die Zahl nur ein Anhaltspunkt, weil die immer schon seltsame Konstruktion des „Migrationshintergrunds“ mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun hat. Fast alle Enkel der ersten Gastarbeitergeneration werden bei den statistischen Berechnungen nicht mehr mitgezählt. Wenn ihre Eltern in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsbürgerschaft haben, tauchen sie in der Statistik nicht mehr als „Migranten“ auf.

Von den 13 hier porträtierten Schülern sind die meisten in Deutschland geboren, bei sechs ist der Geburtsort Köln. Die Kölner mit einer internationalen Familiengeschichte sprechen neben Deutsch von Klein auf auch noch eine andere Sprache, die sie ohne Schulunterricht oder irgendwelche Sprachkurse erlernt haben – „natürliche Mehrsprachigkeit“ nennen das die Fachleute. Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Kölner welche Sprachen können. Die Statistiker zählen nur Herkunftsländer von Einwanderern und ihren unmittelbaren Nachfahren. Doch schon diese Zahl ist imposant: Über 180 Nationen werden 414 789 Kölnern zugeordnet, die von den Statistiker als Menschen mit Migrationshintergrund gezählt werden.

Nach Deutsch ist Türkisch am meisten verbreitet

Neben Deutsch wird Türkisch als Erst- oder Zweitsprache am meisten verbreitet sein. Über 100 000 Kölner dürften Türkisch sprechen können. Über 40 000 sind mit Polnisch aufgewachsen. Rund 30 000 sind in der Lage, Arabisch zu sprechen. Bei den Herkunftsländern der unter 18-jährigen Migranten belegt der Irak mittlerweile den dritten Platz. Zusammen mit Zuwanderern aus Nordafrika, Syrien und anderen Ländern bildet der Großteil der Iraker die wachsende Gruppe arabisch sprechender Muttersprachler.

Italienisch liegt mit mehr als 27 000 Kölnern auf Platz Fünf der Kölner Erst- oder Zweitsprachen. Etwas kleiner ist die Gruppe Russisch sprechender Einwanderer aus Landesteilen oder Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die man auf über 24 000 schätzen kann. Schwer beziffern lässt sich die ebenfalls große Gruppe Kurdisch sprechender Muttersprachler, deren familiäre Wurzeln sich in der Türkei, dem Irak, dem Iran, in Syrien, Armenien und anderen Ländern befinden können.

Vielfalt ist ein Schatz

Es herrscht bunte Vielfalt und Internationalität an Kölns weiterführenden Schulen. Unzählige Erst- und Zweitsprachen werden während der Schulzeit um gelernte Fremdsprachen ergänzt. „Diese Vielfalt ist ein Potenzial der Stadt, eine unendlich große Ressource“, sagt der leitende Regierungsschuldirektor bei der Kölner Bezirksregierung, Manfred Höhne. Hans Oster, designierter Chef des neu gegründeten städtischen Amtes für Integration und Vielfalt, sagt: „Diese Vielfalt ist ein Schatz. Aber einen Schatz muss man heben, bevor man von ihm profitieren kann.“ Man muss also etwas dafür tun, wenn man das Potenzial nutzen will. Von selbst funktioniert das nicht.

Es sei ein „Riesenaufwand“ nötig, meint auch die Direktorin des Dreikönigsgymnasium, Barbara Wachten. Aber dafür werde man dann mit einem „Riesengewinn“ belohnt.

Die Serie

Wir nehmen das Motto der Karnevalssession „Uns Sproch es Heimat“ zum Anlass für eine Serie. Dabei geht es um die kölsche Sprache, aber auch um die Sprachenvielfalt in Köln. In der nächsten Folge geht es um die Förderung der Mehrsprachigkeit.