Kulturkirche in Köln-Nippes„Fettes Brot würde ich mir wünschen“
Herr Diederichs, wann ist die Idee entstanden, die Lutherkirche als Ort für Veranstaltungen zu nutzen?
Thomas Diederichs: Die Kulturkirche gibt es seit 2002. Da haben wir überlegt, ein Projekt für die Dauer von anderthalb zu starten. In der Zeit wollten wir gucken, ob es trägt und funktioniert. Ich bin aber nicht der Erfinder der Kulturkirche. Schon lange vor meiner Zeit haben Menschen in Nippes gemerkt, dass das Gebäude unter der Woche leer steht und beschlossen: Da müsste man mal was draus machen.
Thomas Diederichs feiert im kommenden Jahr sein 25-jähriges Jubiläum als Pfarrer der Nippeser Lutherkirche. Der 54-Jährige ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder.
Seit 2002 finden in dem 1889 erbauten neogotischen Gotteshaus in der Siebachstraße Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Lesungen und Kabarett statt. (MaW)
www.kulturkirche-koeln.de
Wie entstand aus dem Plan etwas Konkretes?
Diederichs: Unterschiedliche Leute haben schon Mitte der 90er für einzelne Veranstaltungen gesorgt, im Gemeindehaus hatten wir zum Beispiel das Programm von Rainer Pause und Martin Stankowski, „Tod im Rheinland“. Ein Team aus Ehrenamtlern hat dann beschlossen, nicht mit einem Bauchladen weiterzumachen, sondern alles in einem richtigen Konzept zusammenzufassen. Das war der Start der Kulturkirche. Viele dieser Ehrenamtler sind heute im Presbyterium.
Wie geht man die Sache an, wenn man im Veranstaltungsgewerbe ein Greenhorn ist?
Diederichs: Für mich war es am besten, dass ich nicht wusste, worauf ich mich einlasse. Bammel hat man ja sowieso, und es gibt auch den schlimmsten Fall, dass man etwas Gutes macht und keiner kommt. Vor zwölf Jahren waren wir technisch nicht so ausgestattet, wie wir es heute sind. Es bedurfte einiger Überredungskunst, um Künstler in die Kirche zu holen. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass wir gute Arbeit machen, und die technischen Voraussetzungen sind auch gegeben. Licht, Ton, Stromversorgung, die komplette Anlage ist gut. Als die Editors hier gespielt haben, konnte man das Bier gegen den Schalldruck nicht aus dem Kühlschrank rausgeben.
Sie müssen die Kulturkirche also nicht mehr erklären.
Diederichs: Richtig, wir haben uns einen Namen erarbeitet, viele Veranstalter kommen auf uns zu, und 1LIVE führt bei uns regelmäßig Radiokonzerte durch. Baulich und technisch ist die Kirche in einem hervorragenden Zustand, und das hat auch Nebenwirkungen für den normalen Betrieb. Es ist jetzt nicht mehr möglich, im Gottesdienst einzuschlafen. Man hört an jedem Platz in der Kirche gleich gut – das ist misslich, wenn man ein Nickerchen machen möchte.
Platzieren Sie die Kirche als Institution wieder im Leben der Menschen, indem neben Gottesdiensten auch Konzerte, Lesungen und Kabarettabende stattfinden?
Diederichs: Das hinterlässt auf jeden Fall Spuren in der Kirche. Und damit meine ich nicht, dass bei den Veranstaltungen schon mal ein Bier umfällt. Ich kann das nicht an etwas Konkretem festmachen, aber man spürt, dass jenseits der Kirchgänger noch andere Menschen regelmäßig hierher kommen. Unsere Konzerte sind keine Missionsveranstaltungen. Aber sie sind eine Öffnung der Kirche, und die verändert das Raumgefühl. Ich habe etliche Mails bekommen, in denen steht: „Das ist für mich jetzt wieder Kirche“. Die Gewinne der Kulturkirche kommen zu 100 Prozent der sozialdiakonischen Arbeit in der Gemeinde zugute, und das ist in Zeiten knapper Kassen sehr willkommen. Für mich ist das Gemeindearbeit im besten Wortsinne.
Wie läuft das ab, wenn eine Band zu ihrem Konzert anreist?
Diederichs: Unsere Techniker sind dann natürlich schon da, ein Koch sorgt für Essen, und ich nehme die Musiker in Empfang, begrüße sie und sage ihnen das Passwort fürs WLAN. Die meisten Künstler schätzen das sehr, wenn das auf einer persönlichen Ebene passiert, und ich mache das einfach gerne. Ich repräsentiere die Kulturkirche, also sage ich auch guten Tag und herzlich willkommen.
Kommt es an, wenn der Gemeindesaal zum Backstageraum umfunktioniert wird?
Diederichs: Die meisten Künstler erleben das als wohltuend, ja. Weil es anders ist als an den Orten, an denen sie sonst auftreten. Ich kann mich daran erinnern, als Tortoise da waren. Die reisten schon mittags an und gerieten in unser Erntedank-Festessen. Erst fanden sie es skurril, aber dann haben sie sich einfach dazugesetzt und mitgegessen. Manchmal passiert es auch, dass eine Band noch früher ankommt. An Wochentagen haben wir mittags fast 200 Kinder von der Grundschule in der Steinberger Straße zum Mittagessen hier. Dann haben die Musiker eben keinen stillen Vormittag, sondern viel Gewusel. Bisher ging das immer okay.
Wie kommt die Kulturkirche bei den jungen Gemeindemitgliedern an?
Diederichs: An unseren Konfirmanden, die zwischen 12 und 14 sind, gehen die Konzerte weitgehend vorbei. Die würden quieken, wenn One Republic oder Avicii spielen würden. Unser Programm richtet sich aber an eine ältere Kundschaft. Die Jugendlichen in der Gemeinde, so ab 16 aufwärts, die kriegen das schon alles mit und sind auch ehrenamtlich mit dabei: als Kartenabreißer, hinter der Theke. Und ich kann mich erinnern was los war, als The Kooks in der Kulturkirche spielten. Da mussten wir aufpassen, dass die Girls die süßen Burschen nicht auffressen. Konzerte beeinflussen die Jugendarbeit positiv, keine Frage.
Sie kündigen die Künstler immer mit der gleichen Formel an, die mit „Wir freuen uns auf einen ganz besonderen Abend mit…“ endet. Ist das ein Running Gag oder freuen Sie sich jedes Mal gleich?
Diederichs: Ich freu mich jedes Mal, das stimmt. Und auch, wenn es jedes Mal der gleiche Vers ist, ist es jedes Mal anders. Weil ja auch andere Leute im Publikum sind, und das verändert auch mich. Ich habe vielleicht anderthalb Sekunden Zeit, die Energie wahrzunehmen, die aus diesem Publikum kommt. Ich muss das alles schnell erfassen, damit das nicht in die Hose geht. Bill Callahan wollte übrigens letztens nicht, dass ich ihn ansage. Aber wir haben ihm von der Weinkellerei Kleefisch den Tequila besorgt, den er haben wollte – und dann konnte er gar nicht anders, als zu meiner Ansage Ja zu sagen.
Haben Sie ein Erlebnis aus den vergangenen zwölf Jahren parat, dass bei Ihnen hängengeblieben ist?
Diederichs: Als Deus bei uns zu Gast waren, habe ich mich der Band vorgestellt und gesagt, dass ich der Pfarrer der Kirche bin. Für die katholischen Musiker aus Belgien war ich von dem Zeitpunkt an nur noch „Father Thomas“. Meine Kinder nennen mich bis heute manchmal „Father Thomas“. Das hab ich nun davon, dass ich’s ihnen erzählt habe.
Auf welche Veranstaltungen freuen Sie sich besonders?
Diederichs:Auf den Kabarettabend mit Georg Schramm. Der wollte unbedingt herkommen, weil die Kulturkirche ein Ort ist, an dem er noch nicht gespielt hat. Und auf das Konzert mit Jonathan Wilson, das wird eine schöne Retro-Runde.
Gibt es irgendeine eine Band, die unbedingt noch zwischen Kanzel und Altar der Kulturkirche auftreten sollte?
Diederichs: Fettes Brot und Seeed würde ich mir wünschen, das wäre mal was. Bisher jetzt haben sie sich noch nicht gemeldet, aber ich warte ganz entspannt ab. Die werden schon kommen.