Feinkostladen Ortsiefer wird 60Fast wie früher bei Tante Emma

So sah der Feinkostladen vor Jahrzehnten aus.
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Weidenpesch/Innenstadt – Einen Großteil der Kindheit im Lebensmittelladen der Eltern verbracht zu haben, bedeutet zwar, dass man früh und oft mit anpacken musste. Aber andererseits hatte es auch seine Vorzüge, wie sich Dieter J. Ortsiefer erinnert: „Ich habe mit als erster Coca-Cola konsumiert, als sie in den 1950er Jahren wieder in Flaschen auf den Markt kam“, erinnert er sich. „Und ich bekam auch schon mal Schokolade von Suchard, etwas ganz Besonderes. Schon damals kostete die Tafel eine Mark. Und das war sehr viel Geld.“
Der 63-Jährige aus Weidenpesch feiert momentan das 60-jährige Bestehen seines Feinkostladens an der Ecke Neusser Straße/Derfflingerstraße. Es ist ein Geschäft, das in liebevollem Sinne aus der Zeit gefallen ist. In den verwinkelten Räumen von der Größe eines Tante-Emma-Ladens gibt es dennoch fast alles. Und es bleibt immer auch Raum für einen Plausch oder Beratungsgespräch mit den Kunden.
Gegründet zwischen Eigelstein und Dom
Doch gegründet wurde der Laden Ende 1955 nicht in Weidenpesch, sondern an der Marzellenstraße, zwischen Eigelstein und Dom. „Heute ist dort das italienische Restaurant Luciano drin. Ich kann mich sehr lebendig erinnern, dass 150 Meter weiter, bei Unter Sachsenhausen, der Zoch vorbei ging“, erzählt Ortsiefer. Von der strategisch günstigen Lage habe man profitiert. „Wir hatten niedrigere Preise als direkt am Zugweg. Wir verkauften massenweise heiße Wurst und Cola in Flaschen – und ich als kleiner Steppke habe sie dann immer entkorkt und die Leute bedient.“
Die Anfänge waren damals sehr schwierig, meint er. „Es gab noch nicht viel, aber was man hatte, wurde liebevoll präsentiert. Pyramiden etwa mit Bärenmarke-Kondensmilch waren weit verbreitet“, sagt er schmunzelnd. „Und in den 1950er Jahren wurden Essig und Öl noch abgefüllt. Die Leute kamen mit ihren Kännchen ins Geschäft. Die Butter gab es von der Stange und wurde im Laden abgeschnitten. Meist holten sich die Kunden ein Viertelpfund, und ein Lot Kaffee.“
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Oft klopften Leute auch nach Ladenschluss noch an die hinten anliegenden Wohnräume, um Kleinigkeiten zu kaufen – da war man dann selbstverständlich zur Stelle. Und immer in den Wochen vor Ostern war ein Großeinsatz angesagt. „Mein Vater gehörte zu den Pionieren, die Ostereier in großen Mengen färbten; pro gefärbtem Ei bekamen wir einen halben Pfennig. Dafür gingen aber leider die Sonntage als letzte gemeinsame Tage drauf. Im Laufe der Jahre haben wir im Schichtbetrieb Millionen Eier gefärbt, auch mit der Hilfe von Verwandten.“
1957 übernahmen sie von einem Kunden, der sein Geschäft aufgeben musste, das heutige Lokal in Weidenpesch. Kurze Zeit später mussten die Ortsiefers an der Marzellenstraße schließen, weil das Grundstück neu bebaut wurde. Die erste Weidenpescher Wohnung der Familie lag zwei Straßen weiter; heute wohnt er mit seiner Frau im selben Block. „Es war schon ein sozialer Aufstieg, erstmals ein eigenes Badezimmer zu haben.“ Nachdem Ortsiefer seine Ausbildung zum Traiteur in einem Kölner Delikatessen-Laden absolviert hatte – „eine sehr exklusive Adresse, wir hatten auch die Millowitschs als Kunden“, erinnert er sich – trat er 1970 auch offiziell mit ins Geschäft seiner Eltern ein.
Früher fast 30 Konkurrenten
Seit jener Zeit hat sich vieles geändert. „Damals hatten wir noch im Umkreis von 200 Metern fast 30 Mitbewerber – an jeder Straßenecke gab es einen kleinen Laden mit allem, was die Leute täglich brauchten. Wir haben uns aber frühzeitig auf hochwertige Lebensmittel spezialisiert.“
Für die damals eintreffenden Gastarbeiter, die auch bei ihm einkauften, lernte er extra Türkisch. In die 1970er Jahre fiel auch die stärkere Fokussierung des Ladens auf Feinkost, erinnert er sich. „Da kam die Nouvelle Cuisine mit Paul Bocuse als Leitfigur auf. Das war der Punkt, an dem sich viele Deutsche eine andere Art des Genießens zugelegt haben.“ Stand ganz zu Anfang das Weinsortiment unter dem Motto „Rot oder Weiß“, wuchs das Sortiment stetig an – heute sind es mehr als 1.100 aus 13 Ländern. Das Angebot verändert sich bis heute. So standen Mitte der 1990er Jahre Weine aus Südafrika hoch im Kurs, nachdem dort das Apartheid-Zeitalter zu Ende gegangen war.
„Heute dagegen sind Übersee-Weine nicht mehr so ausgeprägt wie vor zehn bis 15 Jahren.“ Was auch an den positiven Entwicklungen bei deutschen Winzern liegt, erläutert der geprüfte Sommelier.
Setzten früh auf Bio-Fleisch
Seit rund 20 Jahren bietet er Bio-Fleisch des „Thönes Natur“-Verbundes an – also schon in einer Zeit, als Bio noch exotisch war. „Wir wollen bewusst nicht mit Billigfleisch konkurrieren, sondern auf gute Lebensmittel setzen. Ich finde allgemein, wir sollten zum vernünftigen Genuss der 1950er Jahre zurückkommen – auch bei uns gab und gibt es längst nicht jeden Tag Fleisch auf dem Tisch.“
Über die Jahrzehnte hat er Generationen von Kunden bedient – er erinnere sich noch an viele Originale aus der Anfangszeit. „Ich bin mit meinen Kunden groß und alt geworden“, sagt er. Aufgrund der Arbeitszeiten auch am Wochenende sei es schwierig gewesen, einen Freundeskreis außerhalb des Geschäftslebens aufzubauen. Dafür mache es aber jeden Tag Spaß, mit der Familie im Geschäft zu stehen. Wenn er mal Zeit hat, sieht man ihn oft auf dem Gelände des Skater-Vereins Northbrigade, deren Vorsitzender er ist.
Auch seine beiden Söhne haben, wie er, den Kochberuf gewählt. „Die lebenslange Neugierde auf vieles im Bereich Essen und Trinken muss erhalten bleiben und man muss immer offen sein“, beschreibt Ortsiefer. „Man fühlt sich schon geadelt, wenn die Leute jedes Jahr ihre Weihnachtsbestellung für Fleisch bei uns aufgeben oder eine Weinberatung bei uns wünschen.“