Auf der StraßeAuf diesen Plätzen leben die Obdachlosen in Köln
Lesezeit 7 Minuten
Köln ist der Hotspot der Obdachlosen in NRW.
Die Gewalt untereinander hat zugenommen, insbesondere in den letzten Jahren.
Köln – Die Obdachlosenszene in Köln zeigt deutlich, dass Deutschland ein Zuwandererland ist. Wer sich im Stadtzentrum umsieht, stellt schnell fest, dass viele Migranten im Domumfeld leben. Bettler vor den Domportalen, ganze Familien - in Schlafsäcke eingerollt, schlafen unter Brücken. Bernd Mombauer, Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums, kennt die Szene besonders gut. In der Überlebensstation Gulliver kümmert er sich um die vielen, die in Köln „Platte machen“. „Vor zehn Jahren waren hier hauptsächlich heimische Obdachlose. Heute kommt mehr als die Hälfte aus Polen, Serbien, Kroatien, Spanien und so weiter“, sagt er. Im Gulliver können Bedürftige duschen, ihr Hab und Gut einschließen, das Handy laden und sich ausschlafen. Etwa 150 bis 200 Kölner nutzen das Angebot jeden Tag. Für die Helfer ist das eine zusätzliche Herausforderung, denn mehr als je zuvor sind verschiedenste Sprachkompetenzen gefordert.
Gewalt ist an der Tagesordnung
Täglich erlebt Burkhard Jahn von der Polizeiinspektion Köln Innenstadt an den Suppenküchen, dass die Situation viel Konkurrenz auslöst. Sätze wie „Die nehmen uns etwas weg“, fallen oft, sagte er. Bis sich alle miteinander arrangieren, dauere es immer eine Weile. Das sei damals ähnlich gewesen, als viele Zuwanderer aus der Türkei herkamen und auch schon bei früheren Zuwandererströmen aus Polen oder Russland. Generell habe die Gewalt untereinander zugenommen, insbesondere in den letzten Jahren. Verletzungen durch Messer und Eisenketten kommen häufiger vor. Aggressive Bemerkungen und verbale Beleidigungen höre er beinahe täglich, sagt Bernd Mombauer. Teilweise seien die Helfer überfordert. „Um dem zu begegnen bräuchte man mehr und auch geschultes Personal“, meint Mombauer.
Wie viele Obdachlose es derzeit in Köln gibt, wissen selbst die Experten nicht genau. Eine Statistik erfasst die Wohnungslosen in NRW. Die Zahlen steigen, der Grund liegt allerdings nicht allein darin, dass es mehr Wohnungslose gibt. Vielmehr werden sie durch eine genauere Zählung inzwischen besser erfasst. Seit einigen Jahren werden auch diejenigen mitgezählt, die bei freien Trägern der Wohnungslosenhilfe untergebracht sind.
Im Juni 2014 waren insgesamt 21.065 Personen in Nordrhein-Westfalen wohnungslos gemeldet, 5.229 von ihnen in Köln. Damit ist Köln im Vergleich zu anderen Städten in NRW am stärksten betroffen: Düsseldorf liegt mit 1.855 obdachlos Gemeldeten auf dem zweiten Platz. Vollständig sind diese Zahlen jedoch nicht. Sogenannte „latente Obdachlose“, die ab und zu bei einem Kumpel auf der Couch schlafen können, tauchen in der Statistik nicht auf. Darunter sind häufig mehr Frauen, weil sie zum einen meist ein besseres Sozialgefüge haben und zum anderen häufig Beziehungen eingehen, um von der Straße wegzukommen, erklärt Jahn. Manche haben auch eine feste Adresse, leben aber in Wirklichkeit nicht dort.
Warum Köln ein Hotspot für Obdachlose ist
Die Notschlafplätze reichen aus, findet Mombauer: „Köln hat den Ruf, eine obdachlosenfreundliche Stadt zu sein. Und das zu Recht. Wir liegen mit unseren Hilfen über dem bundesdurchschnittlichen Niveau, und viele sind sehr hilfsbereit. Unsere Schließfächer beispielweise sind komplett durch Spenden finanziert.“ Aber wenn jetzt ein Hotel 100 Plätze zur Verfügung stellen würde, wären die sofort belegt. Denn Köln ist aus vielen Gründen ein Hotspot: Die Großstadt bietet mehr Anonymität, so sinkt das Schamgefühl. Wo sich viele Menschen aufhalten, gibt es mehr Einnahmequellen. Und man ist viel mobiler. Vor allem für Drogenabhängige haben Entfernungen ganz andere Dimensionen. „Eine Strecke, die für den Normalbürger ganz leicht zu bewältigen ist, kommt für einem Suchtkranken einer Weltreise gleich“, sagt Jahn.
Jane van Well vom Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) kennt das Problem. Sie arbeitet im Bereich Suchtclearing, vermittelt Betroffene in ein Hilfsprogramm, gemeinsam mit Mitarbeitern von Gesundheitsamt und der Kölner Drogenhilfe. Wer auf Entzug sei, brauche vor allem eine feste Tagesstruktur, erklärt die Sozialarbeiterin. Zwischen psychosozialer Betreuung und Ersatztherapie bleibt am Tag eine Menge Zeit. „Die meisten wollen arbeiten, können es aber oft nicht, weil sie keine Schulbildung haben oder körperlich kaum dazu in der Lage sind“, sagt van Well. In der Innenstadt betreut sie das Projekt „Kölner Feger“. Eine Gruppe von sieben Männern macht dort sauber, wo die Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) nicht hinkommen. Pro Stunde erhält jeder Feger 1,30 Euro zusätzlich zu Hartz IV. Einerseits haben die Methadon-Substituierten eine sinnvolle Aufgabe, andererseits können sie in der Zeit weder trinken noch stehlen. Von solchen Projekten sollte es mehr geben, findet Jane van Well.
Denn der Weg zurück in ein geregeltes Leben ist schwer zu schaffen. „Wir erleben oft Rückfälligkeit“, sagt sie. Häufig empfinden Süchtige einen großen Druck, sobald sie die ersten Schritte in Richtung Reintegration geschafft haben. Die Szene ist oft auch Familie. Sie zu verlassen, erfordert enormen Willen und geht auch mit Einsamkeit einher. Auch plötzlich eine Wohnung zu haben, kann Beklemmung auslösen, sagt Mombauer. Seine Erfahrung: „Die Perspektive aus der Abwärtsspirale herauszukommen, ist fast immer gleich Null.“
Breslauer Platz
Seit dem Umbau des Breslauer Platzes geht die Zahl der Obdachlosen dort weiter zurück. „Man will sie hier nicht haben“, sagt Bernd Mombauer: „Hier gibt es nicht einmal Bänke, auf denen sich Schwache oder Ältere Menschen ausruhen können.“ Auch die Obdachlosen finden hier keinen Rastplatz, denn die einzigen Sitzmöglichkeiten gehören der Gastronomie. Das Alkohol-Verbot in der KVB und an den Haltestellen, das seit 2004 gilt, hat die Situation verschärft, da dadurch die Leute auf die Straße geschickt wurden.
Appellhofplatz
Polen, Letten, Litauer und Russen – rund um den Appellhofplatz treffen sich tagsüber viele Migranten aus dem Baltikum. Zum Teil übernachten sie auch hier, beschreibt Jahn die Situation: „Einige gehen weit in die Tunnelröhren der KVB-Stadtbahnen hinein, um dort ihre Notdurft zu verrichten oder gar um dort zu schlafen.“ Mehrfach hat er Bettzeug in den U-Bahn-Schächten gesehen.
Domplatte
In Domnähe halten sich insbesondere Rumänen auf. Jahn warnt davor, Nationalitäten über einen Kamm zu scheren. „Hier gibt es wie bei allen Nationalitäten viele Unterschiede. Die kriminellen Banden, die auf Weihnachtsmärkten Geldbörsen oder Handys stehlen, bringen schnell eine ganze kulturelle Gruppe in Verruf. Aber schwarze Schafe gibt es überall.“ Auf der Domplatte versammeln sich die meisten Bettler, einige Kriminelle halten sich ebenso in Domnähe auf wie ganze Familien, die beispielsweise am Römisch-Germanischen Museum übernachten. Dort bietet der Bauzaun im Moment ein wenig Schutz. Auch der Bereich vor dem Museum Ludwig ist ein klassischer Schlafplatz für Obdachlose. Einige Bulgaren verschlägt es ebenfalls öfter zum Roncalliplatz, viele wollen allerdings gar nicht betteln, sondern sind durchaus arbeitswillig, sagt Jahn: „Teilweise bringen Flüchtlinge eine irre Sprachkompetenz mit, können Türkisch oder Russisch und versuchen auch, schnell Deutsch zu lernen.“
Rheingarten
Seit Anfang des Jahres sorgt das verstärkte Polizeiaufgebot dafür, dass sich nordafrikanische Banden aus dem Domumfeld zurückgezogen haben. Nach Silvester habe sich viel geändert, erzählt Burkhard Jahn. „Natürlich sind die Nordafrikaner immer noch da, aber wesentlich unauffälliger als vorher.“ Der Rheingarten diene verstärkt als Ausweichquartier. Manche seien auch in andere Städte abgewandert, etwa ins Ruhrgebiet. Andere sind Richtung Zoo oder nach Mülheim gegangen. Nach wie vor seien Marihuana-Handel und Raubzüge die Hauptbeschäftigungen der Banden. „Sie sind in strengen Hierarchien arbeitsteilig organisiert, es ist genau geregelt, wer den Rucksack trägt und wer abkassiert.“ Rund 90 Prozent kämen aus Guinea. Viele afrikanisch aussehende Obdachlose laufen direkt weg, berichtet Jahn: „Dass man ihnen nur etwas Gutes will, kommt in ihrem Weltbild gar nicht vor.“ Für die meisten sei eine deutsche Freundin die Idealvorstellung. „Wenn sie es schaffen, mit einer Deutschen ein Kind zu zeugen, glauben sie, dass sie nicht mehr zurück müssen.“
Neumarkt
Tagsüber ist die Drogenszene überwiegend auf dem Neumarkt, dem Friesenplatz und am Hauptbahnhof anzutreffen. Viele Abhängige pendeln zwischen den drei Plätzen hin und her, um die Zeit totzuschlagen. Direkt vor Augen der Bundespolizei spritzen sich einige regelmäßig ihre Heroindosis, im Bahnhof gibt es dafür einen eigens eingerichteten Drogenkonsumraum. Viele Suchtkranke sind obdachlos. Für die Nacht stehen verschiedene Schlafplätze zur Verfügung. Zwölf von ihnen befinden sich direkt am Hauptbahnhof. In den Suchtschlafstätten gilt aber ein strenges Regelwerk, erklärt van Well. „Einige sind nicht bereit, sich daran zu halten.“ Einige schlafen daher auf der Straße etwa am Mauritiussteinweg bei der Kirche.
In den Veedeln
Die klassischen Stadtstreicher oder Berber werden immer weniger, sagt Jahn. Jedes Veedel habe früher seinen eigenen Stadtstreicher gehabt und diesen auch ernährt. Das System habe funktioniert, solange nicht zu viele auf der Straße lebten. Früher hat auch das Flaschenpfand ein wenig Geld eingebracht. Der Pfandring ist laut Jahn für die heimischen Obdachlosen ein Hindernis, weil sie selbst an die Flaschen nicht mehr rankommen. Wenn nicht mehr im Müll gewühlt werden muss, dann beanspruchen organisierte Gruppen die Pfandringe als ihr Eigentum.