Einer Studie zufolge sind in Köln mehr als 3000 Minderjährige wohnungslos. Das Elend nimmt zu.
Neue ErhebungIn Köln haben viele Frauen und Kinder keine Wohnung
Nicht mehr nur Alleinstehende, auch viele Familien sind in Köln inzwischen wohnungs- und obdachlos. Nicht mehr im Wesentlichen Männer, sondern auch viele Frauen und Kinder haben kein Obdach. Anfang 2023 waren 3146 minderjährige Kölnerinnen und Kölner wohnungslos, insgesamt waren es im Stadtgebiet 11.740. Rund die Hälfte von ihnen hatte einen Fluchthintergrund, knapp 800 hatten kein Dach über dem Kopf, sie lebten entweder auf der Straße oder waren irgendwo untergeschlüpft.
Diese Zahlen bildete die Grundlage für eine breit angelegte Untersuchung, die die Stadt Köln im Jahr 2022 in Auftrag gegeben hatte, um genauer zu erfahren, wie es wohnungs- und obdachlosen Menschen in der Stadt geht. Rund 800 wohnungslose Personen wurden dafür befragt. Sie beantworteten über 40 Fragen: Leben sie allein oder mit anderen, haben sie Kinder? Sind sie in Köln geboren und haben immer hier gelebt, oder sind sie aus anderen Teilen der Welt zugewandert? Welche Schulbildung haben sie, und von welchem Einkommen ernähren sie sich und ihre Angehörigen? Wie steht es um ihre Gesundheit? Wie ist es zur Wohnungslosigkeit gekommen? Seit wann sind sie wohnungslos?
Jetzt liegen die Ergebnisse vor, die in den kommenden Wochen in den Fachausschüssen vorgestellt und diskutiert werden.
Armut in Köln: Mehr als 40 Prozent der Befragten verloren ihre Wohnung wegen Mietschulden
Die Erhebung verdeutlicht, wie schwerwiegend das Problem der Wohnungslosigkeit in Köln ist – und wie groß der politische Druck, zu handeln. So gaben 41 Prozent der Befragten an, noch nie in ihrem Leben eine Wohnung besichtigt zu haben – viele allein deswegen, weil sie sich überfordert fühlten, wegen mangelnder Sprachkenntnisse oder bürokratischer Hürden. Deutlich mehr als 40 Prozent der Menschen gaben an, ihre Wohnung wegen Mietschulden verloren zu haben, bei den Frauen waren es sogar mehr als die Hälfte. Mehr als die Hälfte der Befragten hatte nach eigenen Angaben einen Schufa-Eintrag, der die Wohnungssuche erheblich erschwert. 263 Menschen gaben an, ihre Wohnung wegen einer Gefängnisstrafe verloren zu haben. Von den Menschen, die auf der Straße leben, gaben 55 Prozent an, schon einmal Gewalterfahrungen gemacht zu haben.
Besonders oft Gewalt und Diskriminierung erfahren haben der Erhebung zu Folge wohnungslose Menschen, die angaben, schwul oder lesbisch zu sein. Dass es für sie in den Sozialunterkünften keine sicheren Räume gebe, wird von Betroffenen kritisiert.
Der größte Teil der Befragten hatte die Wohnung in Köln verloren. Bei den verdeckt Wohnungslosen und den Wohnungslosen in den Sozialhäuern lag der Anteil sogar über drei Viertel der Betroffenen.
Im Frühjahr 2023 waren 2529 Erwachsene mit ihren Kindern seit mehr als fünf Jahren wohnungslos. Das sind mehr als ein Drittel aller wohnungslosen Erwachsenen in Köln. 32 Prozent aller Wohnungslosen waren zwischen einem und fünf Jahren wohnungslos. In Sozialhäusern sind 61 Prozent der Menschen seit mehr als fünf Jahren wohnungslos. Männer bleiben im Schnitt deutlich länger ohne Wohnung als Frauen.
Dass es wohnungslosen Menschen an sozialer Teilhabe fehlt, zeigt zum Beispiel, dass nur rund ein Drittel der älteren Kinder in einem Verein aktiv ist. 40 Prozent der Familien, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, gaben an, dass ihre Kinder keinen festen Platz haben, um Hausaufgaben zu machen.
Wohnungslosigkeit: Sozialforscher empfehlen Frühwarnsystem und weniger Hotelplätze für Köln
Fast 700 Bürger aus der EU leben der Erhebung zufolge wohnungslos in Köln, darunter etwa 420 Menschen aus Ost- und Südosteuropa. Ein Großteil, nämlich 150 bis 200 der wohnungslosen Personen aus Ost- und Südosteuropa, ist wohnungslos nach Deutschland zugewandert und hatte noch nie eine eigene Wohnung in Deutschland. Über 100 wohnungslose EU-Bürger lebten ohne Unterkunft auf den Kölner Straßen. Viele Menschen aus Osteuropa haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen.
Trotz der Zunahme des Elends stellen die Verantwortlichen der Erhebung fest, dass das Kölner Hilfesystem zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit „gut ausgestattet und großstädtisch differenziert“ sei.
Ausführlich werden die Aufgaben und Leistungen des Amts für Wohnungswesen und aller beteiligten Träger beschrieben. Und: die Defizite. Empfohlen wird beispielsweise ein Frühwarnsystem zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit, der Ausbau von sozialen und alternativen Wohnangeboten, die Reduzierung von Hotelunterbringungen, Einzelzimmer für nach Möglichkeit jeden Betroffenen – und, natürlich – die schnellere Vermittlung in regulären Wohnraum. Für die Umsetzung vieler Empfehlungen brauche es mehr Personal, mehr Raum – und viel Geld. Wie das in Zeiten knapper Haushaltsmittel und multipler Krisen zu bewerkstelligen ist, darüber soll die Politik befinden.
Die Verwaltung hat angekündigt, dass die Empfehlungen des Vereins „Gesellschaft für innovative Sozialforschung“ (GISS), der die Erhebung durchgeführt hat, bei der „Feinplanung des Kölner Konzeptes gegen Wohnungslosigkeit berücksichtigt werden“.