Lebenslange GarantieKölner Optikermeister baut und repariert individuelle Brillen
Köln – Manchmal muss Jens Heinzerling Recherche-Arbeit leisten. Dies tat er auch im Fall eines Arztes aus dem Belgischen Viertel, dem häufig bescheinigt wird, eine gewisse Ähnlichkeit mit Andy Warhol zu haben. Na gut, dachte sich der Mann, wenn das so ist, könnte ich doch auch mit einer Brille, wie der Warhol sie hatte, herumlaufen.
Spezialauftrag erfreut Kölner Optikermeister
Mit diesem Ansinnen stand der Arzt eines Tages in den Räumen der Brillenmanufaktur „Kurz&Weit“; allerdings ohne ahnen zu können, dass er dem dortigen Augenoptikermeister mit solch einem Auftrag kaum eine größere Freude hätte machen können. Jens Heinzerling verkauft ohnehin nur noch Brillen aus der eigenen Kollektion. Aber es macht dem 46-Jährigen ihm auch viel Freude, alte Modelle nachzubauen.
Was die Warholsche Sehhilfe betraf, hat er zunächst mal jede Menge Fotomaterial über den Pop-Art-Künstler gesichtet, dabei festgestellt, dass dieser zeitlebens überhaupt nur zwei Exemplare besaß, und das Gewünschte offenbar so oft repariert und mit Ersatzgläsern bestückt worden war, dass rechte und linke Seite im Laufe der Jahre wohl immer unterschiedlicher geworden waren. Eine derartige Asymmetrie nachzuahmen, hätte Heinzerling zwar gekonnt, aber schwer übers Herz gebracht. Ergo einigte er sich mit dem Kunden „auf ein Modell von uns, in das wir Warhol reininterpretiert haben“.
Die Sehhilfe des Großvaters nachgebaut
Vergleichsweise leicht ließ sich der Wunsch eines Kölner Rechtsanwalts realisieren, der die Brille seines Großvaters nachgebaut haben wollte. Vom ursprünglichen Modell dieses Herrn, der seinerzeit wohl immer mit Hut und Anzug unterwegs war und den „Inbegriff von Ästhetik“ verkörperte, existierten sogar noch Teile. „Eine schöne, klassische Panto-Form, wie sie momentan tatsächlich wieder sehr gefragt ist“, erzählt Heinzerling, der zwar hauptsächlich mit modernen Kunststoffen arbeitet, aber auf Wunsch auch indischen Wasserbüffel oder Schildpatt hervorzaubert.
Vor kurzem sei ein älterer Herr aus Frechen gekommen, der eine Büffelhorn-Messing-Brille aus China mitbrachte. Eine Faltbrille mit einklappbaren Bügeln, nach Einschätzung des Optikermeisters um 1880 hergestellt. Heinzeling besah sich die Scharniere mit den Messingnieten – „da schlackerte alles“ – und bohrte vorsichtig alle beweglichen Teile und Nieten aus und ersetzte sie durch winzige Schrauben.
Seit knapp 20 Jahren wird kein Meisterstück mehr verlangt
Alles kein Hexenwerk für jemanden, der dieses Handwerk gelernt hat, sollte man meinen, aber das ist ein Irrglaube. Denn im Gegensatz zu Heinzerling, der 2003 zu seiner Meisterprüfung noch ein Meisterstück anfertigen musste, brauchten das die Jahrgänge nach ihm nicht mehr. Damit war Schluss mit Selbermachen.
Heute fehle „den meisten das handwerkliche Gespür, sich mit einer Problematik auseinanderzusetzen“, glaubt die neben Optiker André Jansen ebenfalls zum „Kurz&Weit“-Team gehörende Ina Heinzerling. Abgesehen davon, dass die meisten Betriebe heutzutage gar nicht mehr reparieren möchten, sei das Material auch vielfach „so gewollt, dass es keine Reparatur zulässt“.
Fraglos könnte Kurz&Weit-Inhaber Heinzerling jeder Brille auch den Stempel „Made in Cologne“ verpassen, was nach Ansicht seiner Frau jedoch kaum noch ein Aushängeschild sein dürfte, da inzwischen so viele Betriebe „Etikettenschwindel“ oder „Greenwashing“ betreiben oder von Nachhaltigkeit sprechen, wenn absolut keine Rede davon sein könne.
Immer mehr individuelle Manufakturen
Positiv bewerten sie die Tatsache, dass derzeit insbesondere in Frankreich immer mehr „individuelle und unabhängige Manufakturen entstehen“ erzählt das Ehepaar, das im Jahr 2016 das Wagnis der komplett eigenen Kollektion einging und „eine lebenslange Gewährleistung“ anbietet.
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Diesen Trend – weg vom Massengeschäft – hätten inzwischen auch die Rohstoff-Lieferanten begriffen. Heinzerling verweist auf Länder wie Italien, die die meisten Teile aus China beziehen. Erfreulicherweise seien vielen Menschen nicht zuletzt aufgrund der Corona-bedingten Liefer-Engpässe die Augen aufgegangen. „Und jetzt kommt noch der russische Angriff auf die Ukraine und Chinas Haltung dazu.“