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Orange Day„Meine Mutter wurde von ihrem Ehemann ermordet“

Lesezeit 4 Minuten
Michel Birbæk

Michel Birbæk will aufklären über Gewalt an Frauen, die auch in Deutschland immer noch traurige Realität ist.

Michel Birbæks Mutter wurde vor 31 Jahren von ihrem Ehemann getötet. Er war krank, wollte sterben und „seine“ Frau sollte nicht ohne ihn weiterleben. Ein Gastbeitrag.

Michel Birbæk ist Drehbuch-Autor und Schriftsteller („Das schönste Mädchen der Welt“) und lebt seit vielen Jahren in Köln. Der gebürtige Däne zog 1974 mit seiner Mutter nach Deutschland. Lissa Birbæk war ihrem neuen Lebensgefährten gefolgt, der sie später ermorden sollte. Jedes Jahr am 25. November postet Birbæk anlässlich des „Orange Day“ den folgenden Text über den Mord an seiner Mutter auf seiner Facebook-Seite, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen:

Vor 31 Jahren wurde meine Mutter von ihrem Ehemann ermordet.

Der Anruf, ihre Leiche in der Pathologie, das Handling seitens der Behörden vor Ort, das erste Mal danach in ihrer Wohnung .... ein Alptraum. Auf dem Küchentisch fanden wir einen Abschiedsbrief vom Täter, der sich nach der Tat erhängt hatte. Er war krank, wollte sterben, und „seine“ Frau sollte nicht ohne ihn weiterleben.

Im Rückblick glaube ich, dass der Schock u.a. deshalb so groß war, weil wir es uns vorher überhaupt nicht vorstellen konnten, dass eine solche Denke und eine solche Tat möglich sei. Doch seit diesem Tag sehe ich ständig in den Nachrichten, dass ein Mann „seine“ Frau getötet hat. Eine sogenannte „Beziehungstat“, die zu meiner absoluten Fassungslosigkeit vor deutschen Gerichten oft nicht als Mord behandelt wird.

Der Mord an meiner Mutter hat mir die Augen geöffnet. Es ist ähnlich wie bei Rassismus: Wenn man beginnt darauf zu achten, erkennt man sie plötzlich überall. Ich sehe, höre und lese permanent Gewalt, in den Nachrichten, auf der Straße, online, und in meiner eigenen Geschichte. Meine erste große Liebe, die wegen ihres Stiefvaters zuhause mit einem Messer am Bett geschlafen hatte. Eine Ex-Partnerin, die als Kind Jahrelang missbraucht wurde. Freundinnen, die vergewaltigt worden waren. Das alles klingt, als sei ich im Krieg gewesen, aber nein, das ist Alltag, auch in Deutschland.

Jeden dritten Tag ermordet ein Mann in Deutschland seine Partnerin/Ex-Partnerin. Es wurden bereits so viele Frauen getötet, dass es eine eigene Bezeichnung bekommen hat: „Femizid.“ Wie oft wohl muss etwas passieren, bis es einen eigenen Begriff bekommt? Und jedes einzelne Mal war es ein Leben, ein Schicksal, ein Mensch mit Kindern, Freunden und Eltern, die traumatisiert weiterleben. An jeder einzelnen Gewalttat, hängen dutzende schmerzlicher Geschichten, manche dieser Wunden verheilen nie und geben ihr „Un-Heil“ weiter. Die enormen gesellschaftlichen Auswirkungen dieser stillen Gewaltspirale sind einer der Gründe, warum ich Budgets für Gewaltprävention sowie Strafen für Gewalt, als prinzipiell zu niedrig empfinde.

Viele Menschen in meinem Umfeld sind froh im friedlichen West-Europa zu leben, aber definiere Frieden. Hätte ich eine Tochter bekommen, hatte ich mit einer 25-prozentigen Wahrscheinlichkeit leben müssen, dass sie sexualisierte Gewalt erleben wird. Johannes-Wilhelm Rörig, der ehemalige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, spricht von der „Dimension einer Volkskrankheit.“ Es macht mich wütend, dass dieser Zustand sich als selbstverständlich in unserer Gesellschaft manifestiert hat, daher habe ich mich gefragt, was ich dagegen tun kann.

Heute, am internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, gehe ich mit meiner eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit, um den Zahlen ein Gesicht zu geben.

Lissa Birbæk.

Eine lebenslustige, zielstrebige und moderne Frau. Ende der Fünfziger mit einem unehelichen Kind schwanger, doch sie sah nicht ein, zuhause bleiben oder abtreiben zu müssen - sie wollte Familie und Karriere. 10 Jahre später hatte sie drei Kinder und leitete die Küche in dem größten Altersheim Dänemarks. Sie war mir eine gute Mutter, später eine gute Freundin und in etlichen Dingen mein Vorbild. Bei meinem letzten Besuch redete sie davon ihren Lebensabend bei ihrer Schwester in Dänemark zu verbringen. Dazu kam es nicht. Eine „Beziehungstat.“ Für die Medien damals kaum eine Nachricht wert.

Meine Familie ist stark, wir haben die Tat gut verarbeitet, aber ... seit 28 Jahren haben meine Schwestern und ich keine Mutter mehr. Meine Tante wurde um das Erlebnis beraubt, im Alter wieder mit ihrer einzigen Schwester zusammen zu leben. Mein Vater konnte sich nie mit seiner Ex-Frau versöhnen. Etc. Etc. Etc. Etc. Etc.

Jede einzelne Gewalttat raubt uns allen viel Glück
Michel Birbæk

Ich glaube, den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viel Glück jede einzelne Gewalttat uns allen raubt. Nicht nur die, die in einen Mord enden, sondern auch die tägliche sexuelle Belästigung. Ich kenne Frauen, die so gestalkt wurden, dass sie aus der Gegend wegziehen mussten, inklu. Jobverlust und Verlust des Freundeskreises. Was, glaubt ihr, macht das mit einem Menschen?

An alle Menschen, die mit dieser Thematik noch nie in Berührung kamen: Ihr seid privilegiert. Ich freue mich für euch. Sehr. Helft mit, die Zustände zu ändern, bevor ihr eines Tages plötzlich doch mit der Thematik in Berührung kommt.

An alle Menschen, die mit der Thematik in Berührung kamen und sich seither engagieren, um die Zustände zu verbessern: Danke!!

An alle Direktbetroffenen: Euch gehört mein Herz.

Stoppt Gewalt. Jede.

In einem weiteren Text schreibt Michel Birbæk über seine Motivation, sich gegen Gewalt an Frauen zu engagieren und nennt Zahlen und Fakten zum Thema.