Ostern in KölnWarum die Domglocken drei Tage lang schweigen
Köln – Gleich vorab eine wichtige Botschaft für unsere kleineren Kölner: Liebe Kinder, die ihr noch an die Existenz des Osterhasen glaubt, seid versichert: auch die Geschichte von den Kirchenglocken, die vor Ostern nach Rom fliegen sollen, entspricht der reinen Wahrheit. Dass von Gründonnerstagabend an aus keinem katholischen Gotteshaus auch nur ein lauter Ton dringt, erklärt sich damit, dass auch Glocken mal Ruhe vor sich selber brauchen. Ergo hinterlassen die an ihrem Arbeitsplatz einen Zettel: „Ich bin dann mal weg“, seilen sich ab, um sich anschließend auf den Sitz eines Billigfliegers zu fläzen und sich dort kräftig einen hinter die Glocke zu gießen. Seid beruhigt, liebe Kinder, pünktlich zur Auferstehungsfeier sind alle wieder aus Rom zurück und werden uns die volle Dröhnung geben.
Ohrenschutz in der Glockenstube
Wie das klingt, könnte nicht mal Ingrid Lehmler genau beschreiben, obwohl ihr Arbeitsplatz keine zehn Meter vom decken Pitter, der größten Glocke des Doms, sowie sieben weiteren entfernt liegt. Das kurze Viertelstunden-Läuten der kleinen Aveglocke ist kein Problem fürs Trommelfell. Doch wenn noch andere Klöppel mitschwingen, trägt die Kölnerin, die den Turm zu den Öffnungszeiten für Besucher beaufsichtigt, oben in ihrer kleinen, geheizten Glockenstube immer Ohrenschutz.
Den bräuchte sie auch, um sich taub stellen zu können gegenüber einer der häufigsten Touristen-Frage, die da lautet: „Wo ist denn hier der goldene Knopf?“ Tatsächlich gehen immer wieder Besucher des Südturms davon aus, irgendwo nur kurz den Zeigefinger ausstrecken zu müssen, um das 24 Tonnen schwere Teil in Schwingung zu versetzen. Andere wiederum glauben, der Einwurf einer Euro-Münze in den Info-Kasten führe zum selben Erfolg. Dabei wird das Glockengeläut gar nicht im Turm, sondern unten in der Sakristei ausgelöst, wo sich nach Worten von Jörg Sperner der Schaltschrank befindet.
Sperner ist der Assistent des Dombaumeisters. Und weil er selber häufig Besucher zum Glockenturm führt, weiß der 43-Jährige nahezu alles über die insgesamt elf tonnenschweren Kameraden, die an zwei Stellen der Kölner Kathedrale verankert sind.
Der lauteste Vertreter ist zurückhaltend
Um uns die 270 Stufen hoch zum Südturm zu ersparen, dirigiert Sperner uns zum Bauaufzug, mit dem normalerweise Arbeitsmaterial hochgeschafft wird. In windiger Höhe angekommen, werden wir allerdings nicht von Glockenklängen begrüßt, sondern von Blockflötenlauten umfangen. „Ja, das hören wir hier fünf Tage die Woche jeweils acht Stunden lang“, bemerkt Sperner und deutet nach unten zum Bahnhofsvorplatz, wo irgendwo der Straßenmusiker stehen muss. Man kennt die Klagen mancher Geschäftsinhaber. Darüber, dass sich in Köln Menschen über Glockengeläut beschwert hätten, ist Sperner während seiner inzwischen zwölfjährigen Tätigkeit beim Dombaumeister jedoch noch nichts zu Ohren gekommen.
Nun muss man allerdings sagen: Der lauteste Vertreter im Turm ist eigentlich sehr zurückhaltend. Der decke Pitter läutet nämlich nur 20 mal im Jahr und fast nur an höchsten Feiertagen.
53 Kerle für ein Vollgeläut
Die Gründe haben laut Sperner mit Pitters Vorgänger zu tun, die 27 Tonnen schweren Kaiserglocke mit einem Durchmesser von 3,42 Metern. Die für diesen Koloss erforderliche Bronze hatte der Kaiser damals gestiftet. Nachdem das klingende Schwergewicht 1874 fertiggestellt war, mussten jedes Mal 28 Mann zum Läuten herbeigetrommelt werden. Fürs Vollgeläut im Turm waren gar 53 kräftige Kerle vonnöten, was schon organisatorische Probleme aufwarf.
„Um einen Abnutzungseffekt zu vermeiden, wurde an der Läuteordnung festgehalten“, erklärt Sperner. Nach seinem letzten Einsatz am Dreikönigstag am 6. Januar wird der decke Pitter erstmals wieder am Vorabend des Ostersonntags gegen 19.30 läuten – wie immer im tiefen „C“. Erst zehn Minuten lang allein, dann setzen die anderen Glocken mit ein. Das gleiche passiert am Sonntagvormittag gegen 9.35 Uhr.
Wie laut dieses Feiertagsgeläut – gemessen in Dezibel – ist, kann auch Sperner nicht sagen. Nur so viel: „Jeder Glöckner, der ohne geschützte Ohren am Werk ist, wird über kurz oder lang taub.“ In dem Kontext fällt dem Assistenten des Dombaumeisters die Mordmethode ein, die sich die britische Schriftstellerin Dorothy L. Sayers vor vielen Jahren für ihren Krimi „Die neun Schneider“ ausgedacht hat. „Die Leute wurden gefesselt unter Kirchenglocken gelegt. Und in England, läuten die noch viel länger aus bei uns.“
Was für eine Faszination Pretiosa, Speciosa & Co. seit jeher auf Menschen ausübten, weiß man nicht erst seitdem ein gewisser Friedrich Schiller sein großes Werk verfasste. Während seines Schaffensprozesses in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts wurde der Kölner Dom gerade von den napoleonischen Truppen als Pferdestall und Lagerhalle genutzt. Aber natürlich verfügte die Kathedrale damals längst über Glocken.
Nordturm noch glockenlos
Die beiden ältesten stammen aus der Zeit zwischen 1300 und 1350, erklärt der Domexperte und weist rüber zum Vierungsturm, wo noch eine dritte, eine Barockglocke hängt. Alle drei zusammen würden „bei Abendandachten und Marienmessen“ genutzt. Nachdem die Kaiserglocke im Ersten Weltkrieg buchstäblich zu Kanonenfutter geworden war, hatte man 1923 den Nachfolger gegossen, der zu den größten, schwingend geläuteten Glocken der Welt zählt.
Es gibt zwar keinen Tüv, der dieses spektakuläre Turmorchester regelmäßig auf seine Funktionsfähigkeit hin überprüft, aber es gibt einen Glockensachverständigen. Norbert Jachtmann kommt einmal im Jahr zur Wartung aus Krefeld und kümmert sich, wenn es etwas kaputtgegangen ist. Vergangenes Jahr wurden beispielsweise die Puffer auf den Klöppeln erneuert.
Apropos erneuern: Wer der Meinung ist, das Domgeläut sei noch nicht beeindruckend genug, darf gern sein Portemonnaie öffnen. Im bisher glockenlosen Nordturm hätten noch ein paar Klangkörper Platz. Dann würden vor Ostern natürlich entsprechend mehr Plätze im Flieger nach Rom benötigt.