Partydrogen mit gefährlicher Dosis„Wir wollen einen Rechtsanspruch auf gute Laune“
- In Leverkusen starb im August ein 17-Jähriger, bei ihm wurden eine hoch dosierte Partypille, auch Ecstasy genannt, gefunden.
- Dass Menschen durch Ecstasy zu Tode kommen, passiert selten. Aber es passiert.
- Suchtberater Ralf Wischnewski prognostiziert eine gefährliche Entwicklung.
- Aus unserer Best-of-Reihe.
Köln – An einem Dienstag wacht Marco (Name geändert) auf und muss weinen. Ohne Grund. Mit seiner Freundin ist alles in Ordnung, im Medizinstudium besteht er jede Prüfung, Freunde und Familie – alle gesund. Drei Tage zuvor war Marco auf einer Party. Er nahm eine Ecstasy-Pille und tanzte bis um neun Uhr morgens durch, erst gegen Mittag fand er etwas Schlaf. Es war seine erste Erfahrung mit der Partydroge Nummer eins.
Dass es einem Tage später nicht so gut geht, wusste er. Aber weinen? Das sei krass gewesen, erzählt er heute.
„Ein Klassiker – oft kommt es in den Tagen nach dem Rausch zu Stimmungsschwankungen“, sagt Ralf Wischnewski von der Drogen- und Suchtberatung Köln. Er kennt die Gefahren von Ecstasy und die gehen über Stimmungstiefs hinaus. „Durch den Konsum wird die Tür zum Serotonin-Speicher geöffnet, der auch für unser Glücksempfinden verantwortlich ist. Wie ein Stopper hält die Droge die Tür zum Glücksspeicher offen. Es wird viel mehr Serotonin als üblich ausgeschüttet und gleichzeitig wird die Wiederaufnahme gestoppt.“
Dosierung steigt permanent
Immer problematischer werden die Pillen, weil ihre Dosierungen permanent steigt. Eine Schweizer Studie hat gezeigt, dass eine Pille im Jahr 2007 im Schnitt 69,7 mg des Wirkstoffs MDMA (Methylen-Dioxy-Methyl-Amphetamin) beinhaltete. 2018 waren es durchschnittlich bereits 173,4 mg. Das ist gravierend, denn schon für eine 60 kg schwere Frau gilt: Jede Pille mit mehr als 80 mg kann lebensbedrohlich sein. Bei einem 80 kg schweren Mann liegt der kritische Wert bei 120 mg. Damit wird schon die Durchschnittspille gefährlich; ganz zu schweigen von höher dosierten Tabletten, vor denen die Polizei Köln aktuell warnt. Der Zugang ist einfach der Preis mit fünf bis zehn Euro pro Stück niedrig.
Die meisten Erstkonsumenten wissen zu wenig über die Auswirkungen der Droge auf Körper und Geist. Zu den kurzfristigen Risiken zählen eine erhöhte Körpertemperatur, Kieferkrämpfe, Muskelzittern, Übelkeit, Brechreiz und erhöhter Blutdruck. Langfristig setzen sich Konsumenten erheblichen Gefahren aus: Unsicherheit, Ängstlichkeit, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Erschöpfung und länger anhaltende depressive Verstimmungen.
17-Jähriger starb vor kurzem in Leverkusen
Dass Menschen durch Ecstasy zu Tode kommen, passiert selten. Aber es passiert. In einem Leverkusener Krankenhaus starb im August ein 17-Jähriger, bei ihm wurden hoch dosierte Pillen gefunden. Aber häufig ist es schwer zu sagen, was genau die Todesursache war, weil viele Konsumenten mehrere Drogen gleichzeitig nehmen. Zudem gibt es gefährliche Nebeneffekte, die statistisch schwer zu erfassen sind.
So werden Menschen im Rausch leichtsinniger. Sie spüren den Alkohol nicht mehr, was zu einer Vergiftung führen kann. Gleichzeitig wird nicht mehr genug Wasser aufgenommen. Die Körpertemperatur steigt. Dass ihm immer wärmer wurde, merkte auch Marco. Er zog seinen Pulli aus, später auch sein Shirt. Glück durchströmte seinen ganzen Körper. Er tanzte.
Und er spürte eine andere typische Wirkung: Sein Harmonie- und Liebesbedürfnis erreichte eine Erfüllung, die er so noch nie erlebt hatte. „Ich hätte jeden um mich herum am liebsten umarmt“, erinnert er sich. „Ecstasy steigert bei den meisten Menschen das Bedürfnis nach Nähe“, sagt Wischnewski. Doch nach dem Rausch folgt der Kater.
Wenn der Glücksspeicher leer ist
Als er sonntags nach Hause kommt, legt Marco sich ins Bett und döst. Einschlafen kann er erst am Abend. Die wirklichen Probleme bemerkt er erst Tage später. „Ich konnte mich über nichts mehr freuen und war permanent genervt und traurig zugleich“, sagt er. „Konsumenten von MDMA erkaufen sich ihre gute Laune mit depressiven Nachwirkungen“, sagt Markus Banger, Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie der LVR-Klinik Bonn.
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Es kann sechs bis acht Wochen dauern, bis die Akkus wieder aufgeladen sind. Konsumierende versuchen, die ausbleibenden Glücksgefühle mit einer höheren Dosis entgegenzuwirken – ein Teufelskreis. Banger ist seit 2001 in Bonn: „Als ich hier anfing, waren Partydrogen kein Problem. Heute vergeht kein Tag ohne dieses Thema. Und aus Bayern kennen wir Kliniken, wo die Konsumenten von Partydrogen die Alkoholabhängigen verdrängen.“
Das Alter spielt eine große Rolle
Dabei spielt das Alter eine große Rolle. „Der typische Alkoholabhängige ist 45, der Heroinabhängige ist 30, Partydrogen werden typischerweise von 25-Jährigen konsumiert.“ Gleichzeitig kritisiert er den Mangel an Selbsthilfegruppen für diese Szene. Was für Alkoholsucht normal ist, fehle für Ecstasy.
Suchtberater Wischnewski ist Pragmatiker. Er glaubt, Leute von Drogen abzuhalten sei kaum möglich, also sollten sie wenigstens wissen, was sie da tun. Julian (Name geändert) ist einer, der es nicht wusste. Der 27 Jahre alte Student hatte bereits einige Male Ecstasy genommen – aber immer nur maximal eine halbe Pille. Dann eine ganze. Die Wirkung setzte nach 20 Minuten ein.
Suchtberater diagnostiziert eine gefährliche Entwicklung
„Normalerweise war ich immer richtig geflasht, wollte mich bewegen, grinste die ganze Zeit“, erinnert Julian sich. „Aber an dem Tag musste ich mich setzen. Es war einfach zu viel. Ich bekam totale Angst und wollte nur noch nach Hause und dass alles vorbei ist.“ Fluchtartig verließ er die Party, stieg ins nächste Taxi. „Ich war heilfroh, dass ein Freund bei mir war. Sonst weiß ich nicht, wie ich das durchgestanden hätte.“
Wischnewski diagnostiziert eine gefährliche Entwicklung, die fast jeder von Alkohol kennt: „Wenn Party und Drogenkonsum gekoppelt sind, dann hat sich etwas verändert.“ Suchtmediziner Banger analysiert: „Wir bewegen uns als Gesellschaft in Richtung Sucht. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf gute Laune.“ Was intensiver Ecstasy-Konsum auf Jahrzehnte gesehen anrichtet – darüber kann nur spekuliert werden. Verlässliche Langzeitstudien gibt es nicht.
„Bekannt ist, dass die psychische Abhängigkeit problematischer ist als die körperliche. Für manche Menschen wird alles unwichtig – Hauptsache am Wochenende stehen Rausch und Party an“, sagt Banger.
Julian und Marco haben nie wieder eine Pille genommen, trotz mehrfacher Gelegenheit. Julian sagt: „So eine grausame Erfahrung will ich nie wieder machen.“