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„Armutszeugnis für die Ärzteschaft“Patienten in Köln dramatisch schlecht mit Medikamenten versorgt

Lesezeit 4 Minuten
Verschiedene Tabletten, Kapseln und Dragees liegen auf einem Tisch in Leipzig.

Nicht einmal jeder zweite Diabetes-Typ-2-Patient im Rheinland ist mit Medikamenten versorgt.

Die Versorgung mit Medikamenten ist insbesondere bei Patienten mit Koronaren Herzkrankheiten katastrophal. Aber nicht nur.

Patienten, die unter chronischen Krankheiten leiden, sind in Köln und im gesamten Rheinland dramatisch schlecht mit Medikamenten versorgt. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg. Besonders katastrophal sei die Situation nach Einschätzung von Matthias Schlochtermeier, Allgemeinmediziner in Hürth-Efferen, bei Diabetes und Koronaren Herzkrankheiten. Laut Krankenkasse erhält nicht einmal jeder zweite diagnostizierte Typ-2-Diabetes-Patient im Rheinland ein passendes Medikament.

Die Stadt Köln liegt mit einem Wert von 46,2 Prozent sogar noch unter dem Schnitt. Besonders dramatisch ist die Situation demnach in Frechen/Pulheim. Dort sind nur 40,8 Prozent der AOK-Versicherten mit Typ-2-Diabetes medikamentös versorgt. Bei den Koronaren Herzkrankheiten sieht es dem Gesundheitsreport der AOK zufolge nur minimal besser aus. 57,5 Prozent aller Versicherten mit dieser Erkrankung nehmen an einer medikamentösen Therapie teil.

Besonders schlecht schneiden Bergheim, Hürth, die Kölner Innenstadt, aber auch Nippes und Kerpen ab. Dort erreichen die Werte nur um die 56 Prozent.

„Patienten mit einer Koronaren Herzerkrankung oder Diabetes müssen aber laut Lehrmeinung mindestens drei Medikamente bekommen. Dass sie nicht versorgt werden, ist eine große Katastrophe und ein Armutszeugnis für die Ärzteschaft“, sagt Schlochtermeier, der auch Vorsitzender des beratenden Fachausschusses Hausärzte der KV-Nordrhein ist, gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch die AOK selbst spricht davon, die medikamentöse Versorgung entspreche nicht dem, was der Gesundheitssurvey des RKI ermittelt hat. „Diesen Zahlen zufolge werden um die 90 Prozent der schweren Typ-2-Diabetiker ab 45 Jahren medikamentös behandelt“, sagt Volquart Stoy, Referent für Gesundheitsmanagement der AOK Rheinland/Hamburg gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Die Ursache der Fehlversorgung dürfte zumindest teilweise auch darin liegen, dass die Medikamente von den Patienten nicht immer eingenommen werden und daher nicht ausreichend Medikamente nachgefragt werden. „Wir appellieren dringend dazu, bei chronischen Krankheiten die ärztlich empfohlene Therapie umzusetzen“, sagte Stoy.

Nur etwa jede dritte Frau im Rheinland nimmt Krebsvorsorge in Anspruch

Auch in anderer Hinsicht verhalten sich Patientinnen und Patienten den Daten zufolge gesundheitlich oft unvernünftig. Nur etwa jede dritte Frau im Rheinland nehme den AOK-Ergebnissen zu Folge die Vorsorgeuntersuchungen zur Krebsfrüherkennung in Anspruch. Bei den Männern läge der Wert mit 18,3 Prozent nochmal deutlich niedriger. Schlusslicht in Köln ist bei den Männern ab 45 Jahren der Stadtteil Lindenthal. Hier geht den Zahlen zufolge nicht einmal jeder Sechste zur Krebsvorsorge.

An mangelhaftem Angebot könne diese schlechte Versorgung nicht liegen. „Das Angebot ist gerade im Großraum Köln flächendeckend vorhanden. Jeder, der einen Termin haben will, bekommt auch einen. Da gibt es keine Ausreden, das ist unentschuldbar“, so Schlochtermeier.

Nierenkranke Bürgergeldbezieher haben stark erhöhtes Risiko an der Dialyse zu hängen

Ein weiteres Ergebnis des AOK-Gesundheitsreports bestätigt Schlochtermeiers langjährige Praxiserfahrung. Menschen mit wenig Geld haben ein deutlich erhöhtes Risiko, schwere Krankheitsverläufe zu erleiden. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Bürgergeldbezieher, die an einer Nierenkrankheit leiden, eine Dialyse beginnen müssen nach Zahlen der AOK um 76 Prozent höher als bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Bürgergeldbezieher mit einer Typ-2-Diabetes müssen wegen entgleister Werte mit einer 51 Prozent erhöhten Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus als die Vergleichsgruppe. Das Risiko bei einer COPD eine Sauerstofftherapie starten zu müssen liegt um 34 Prozent höher, das dass aus einer Koronaren Herzerkrankung ein Herzinfarkt erwächst um 38 Prozent.

„Der Umgang ärmerer Menschen aus niedrigeren Schichten mit chronischen Krankheiten ist leider oft mangelhaft. Sie essen trotz Diabetes zu süß, rauchen trotz COPD. Oft handelt es sich um Menschen, die nur wenig Leistung erbringen können oder wollen. Und das ist nicht nur im Beruf, sondern eben auch in Bezug auf die Gesundheit so“, sagt Schlochtermeier. Seiner Ansicht nach erklärt sich so auch der hohe Krankenstand in finanziell benachteiligten Stadtvierteln wie Chorweiler oder Kalk, während die Werte in Rodenkirchen, der Innenstadt und Lindenthal auffallend niedrig sind.

Auch für Kölns Kinder ist Armut ein Gesundheitsrisiko. So wachsen in Stadtteilen mit niedrigerem sozioökonomischen Standard vermehrt Kinder mit Belastungssituationen auf: In Mülheim, Ehrenfeld, Kalk und Chorweiler sind hier fast zwei von drei Kindern betroffen. Und Kinder mit einer familiären Belastungssituation haben wiederum ein deutlich höheres Risiko krank zu werden.

Das Risiko, dass schon der Fötus geschädigt wird, liegt bei plus 178 Prozent, dass sie in eine Sucht abgleiten bei plus 78 Prozent, sie entwickeln aber auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Adipositas (plus 32 Prozent) oder ADHS (plus 52 Prozent). Dass Kreise außerhalb Kölns hier vergleichsweise besser dastehen und weniger als jedes zweite Kind mit einer Belastungssituation zu kämpfen hat, führt Schlochtermeier auf die finanzielle Besserstellung der Kommunen zurück. „Erftstadt und Brühl sind quasi schuldenfrei, da gibt es mehr Hilfen für Kinder aus der öffentlichen Kasse.“

Positives kann Schlochtermeier aus den Daten auch ablesen: „Das linksrheinische Köln hat die höchste Krankenhausdichte Europas. Der Krankenhausreform kann man hier so gesehen mit größter Gelassenheit entgegensehen.“ Weniger spezialisierte Kliniken wären deshalb nicht nutzlos. Sie ließen sich beispielsweise zu tagesstationären Pflege-, Demenz- und Palliativzentren umfunktionieren. „Damit könnten wir dann auch den Mangel in diesem Bereich lindern.“