Köln – Mit 70 immer noch so flott in die Pedale treten wie mit 20 – gerade nach ein paar Jahren Pause oder nach einem Unfall klappt das nicht so einfach. Um älteren Radlern Ängste und Unsicherheiten zu nehmen, bietet die Stadt ihnen nun erstmals ein Radfahrtraining an. Aus gutem Grund: „Die Zahl schwerer Unfälle von älteren Kölnern ist überproportional hoch“, sagt Sabine Bongenberg, Vorsitzende der städtischen Unfallkommission. Immer mehr Rentner steigen vom Auto um aufs Rad. Besonders mit den motorunterstützten Fahrrädern sei so mancher überfordert.
Das Angebot, seine Radelfähigkeiten aufzufrischen, kam für viele Teilnehmer wie gerufen. „Ich hatte nach einer Erkrankung Gleichgewichtsstörungen. Die sind jetzt weg, aber ich bin ein Jahr nicht gefahren“, sagt Margarete Moch. „Ich will mich aber bewegen können und noch lange nicht im Rollstuhl sitzen.“ Die 75-Jährige ist mit ihrem fast neuen Rad zur Jugendverkehrsschule an der Neusser Straße gekommen. Auf dem Gelände unterzieht die mobile Zweiradwerkstatt 180 Grad zunächst alle Fahrräder einem Sicherheitscheck. Derweil erzählen 15 Teilnehmer der Trainerin Anke Prinz, in welchen Situationen sie die Angst packt: Wenn ein Lastwagen kommt, wenn ihnen jemand entgegenradelt, in engen Einbahnstraßen.
Als zertifizierte Radfahrlehrerin weiß Prinz, was die Unsicherheitsgefühle auslöst: Mit zunehmendem Alter nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit ab, das Hör- und Sehvermögen wird schwächer, die Muskelkraft schwindet. Die Folgen bei einem Sturz sind für ältere Menschen oft schwerer als für junge. Um so wichtiger ist jetzt die richtige Technik im Umgang mit dem Rad.
Zu viele Kölner, die älter als 65 Jahre alt sind, sind nach Ansicht des Amtes für Straßen und Verkehrstechnik in Unfälle verwickelt. Im Jahr 2011 waren es 598, davon 193 Radfahrer (32,44 Prozent), im Jahre 2012 waren es 521 Personen, davon 178 Radfahrer (34 Prozent). Unter den sechs älteren Verkehrstoten 2011 gab es einen Radfahrer, 2012 gab es 15 ältere Verkehrstote, darunter zwei Radfahrer.
Die Seniorenvertretung hat sich angesichts der zunehmenden Zahlen an die Polizei und die Stadtverwaltung gewandt und angeregt, Angebote zur Auffrischung von Kenntnissen im Umgang mit dem Rad zu entwickeln – „insbesondere den Umgang mit E-Bikes und Pedelecs“, sagt Ulrike Lau vom Arbeitskreis Sicherheit im Straßenverkehr. Diese seien bei älteren Menschen begehrt, aber aufgrund der höheren Geschwindigkeiten auch eine Gefahrenquelle.
Das Amt für Straßen und Verkehrstechnik hat die Anregung aufgenommen. „Zur Prävention sind Trainingskurse für Senioren inzwischen notwendig“, so Sabine Bongenberg. (kb)
Und die beginnt schon beim Aufsteigen. Ein Pedal ganz unten, ein Fuß darauf und sich mit dem anderen so vom Boden abstoßen wie beim Rollerfahren. Da ist niemand in der Runde, den bereits das nicht schon Überwindung kostet. „Ich bin zehn Jahre nicht gefahren und habe zwei neue Knie“, begründet Hildegard Tervooren ihre Hemmungen. Wie erfolgversprechend dieser Einstieg ins Programm ist, zeigt sich bald. Keine fünf Minuten später wird die 73-Jährige ihr Gleichgewicht auf rollenden Reifen gefunden haben und – am Allerwichtigsten – neues Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten.
Anke Prinz legt bunte Plastikscheiben in 25 Zentimeter Abstand in eine Reihe. Es gilt, im Gehen den Vorderreifen eng im Slalom um die Scheiben zu führen. Das gibt ein Gefühl für den Lenker. Eine Übung später kurven alle flott im Slalom durch einen Hütchen-Parcours. Dann heißt es: auf den Punkt bremsen. Auch das gelingt den meisten ganz schnell. Nur noch selten kommt jemand vom Weg ab.
Brigitte Lombardo muss tief sitzende Ängste überwinden. „Ich bin seit etwa 40 Jahren nicht mehr Rad gefahren und hatte durch einen Unfall einen schweren Trümmerbruch im Fuß.“ Die 59-Jährige weiß zu Beginn gar nicht, wie sie auf den Sattel kommen soll. „Das kriegen wir bestimmt weg“, ermuntert Anke Prinz die Verzagte und stellt ihr einen Roller hin, malt mit Kreide Zeichen für die Füße aufs Trittbrett und übt im Stehen. Ein Fuß wird auf dem Trittbrett abgesetzt, der andere soll nur kurz angehoben werden. Schon kurze Zeit später rollt Brigitte Lombardo mutig über den Asphalt. Und strahlt: „Mir geht es viel besser. Und morgen geht es aufs Rad.“
Bis Freitag wird sich die Gruppe jeden Nachmittag für zwei Stunden treffen, zum Schluss steht der Umgang mit E-Bikes auf dem Programm. „Das wird am Ende eine fixe Truppe“, ist sich Sabine Bongenberg sicher. Die Erfahrungen, die das Amt für Straßen und Verkehrstechnik mit diesem Pilotprojekt macht, soll in Angebote für das kommende Jahr einfließen.