AboAbonnieren

PionierMitglied Nummer eins im Harley-Club

Lesezeit 5 Minuten

Ein meditatives Erlebnis: Norbert Natusch fährt mit seiner Harley aus.

Köln – Das mit dem Club, das war eine spontane Entscheidung, damals, 1973. Die ersten Mitglieder wussten gar nichts von ihrer Mitgliedschaft, und manche wurden sogar richtig sauer, als sie davon erfuhren. Alle Kölner Harley-Davidson-Fahrer waren zum internationalen Treffen nach Amsterdam gefahren, alle sechs. Auf der Liste, in die sich die Besucher eintrugen, standen außer den Kölnern noch ein paar weitere Deutsche: einer aus Lüdenscheid, einer von hier, einer von dort. Norbert Natusch (74) strich einfach die Städte aus der Liste und schrieb "Harley-Davidson Club Deutschland" hinter die Namen seiner Landsleute, obwohl es den Club gar nicht gab. Die Freunde aus Köln lachten sich kaputt. "Wie wäre es, wenn du erst mal einen Kölner Club gründen würdest, bevor du dir ganz Deutschland vornimmst?", fragte einer.

Doch Natuschs Aktion hatte Erfolg: Die deutsche Gruppe war nun groß genug, um an einem Wettbewerb teilzunehmen - und gewann nur Momente nach ihrer Gründung einen ersten Pokal - für die weiteste Anreise. Amsterdam war damals weit weg von Köln, zumal mit dem Motorrad.

Zurück in Köln, schaltete Norbert Natusch eine Zeitungsanzeige, in der er Mitglieder für den neuen Club suchte. 51 Motorradfahrer meldeten sich, genug, um den Verein offiziell zu gründen. Im Partyraum oben im Herkules-Hochhaus gründete sich der Harley-Davidson Club Deutschland e. V. Norbert Natusch erhielt die Mitgliedsnummer eins, und so nennen ihn seine Club-Kollegen bis heute: "Nummer eins".

Erste Harley von Polizei gekauft

1978 richtete Köln das erste internationale Harley-Treffen aus. 170 Motorradfahrer aus ganz Europa kamen. 1982 in Frankfurt waren es schon 2500. Im vergangenen Jahr: 16 000. Seine erste Harley Davidson kaufte Norbert Natusch aus den Beständen der belgischen Polizei, eine Maschine mit Sirene. Wenn Natusch damals durch Köln fuhr, trug er Fellstiefel, die heute seine 19-jährige Tochter manchmal zur Schule anzieht. Es gab noch keine Helmpflicht, man trug Jeansmütze oder einen Feuerwehrhelm. Als er einmal auf der Mülheimer Brücke die Sirene anwarf, damit sein Kumpel etwas zu lachen hatte, fuhr er geradewegs in eine Polizeikontrolle. Doch die Beamten waren kulant: "Du bist doch gerade aus Versehen an den Schalter gekommen, nicht wahr?"

Natusch ist sein Leben lang Motorrad gefahren. Motorräder waren günstig zu haben in den Nachkriegsjahren, denn kaum jemand wollte eins. "Von den Mädchen bekam man zu hören: Wie - ein Motorrad? Hast du kein Auto?" Motorrad fahren war kein Hobby damals, nichts, worüber man viele Worte verlor. "Wenn ich höre, was heute geredet wird - ich verstehe die Aufregung nicht."

Besser nicht in der Stadt

Als er eine alte Wehrmachts-Zündapp in die Finger bekam, fuhr er einfach los. Natusch stand mitten in Paris, als die Maschine den Geist aufgab. Eine Reparatur lohnte nicht, also schraubte er die Nummernschilder ab und ließ die Zündapp stehen. "War ja sowieso Kriegsgut", sagt er. Zehntausende Kilometer fuhr er in diesen Zeiten. Durch ganz Europa. Mittlerweile fährt Norbert Natusch am liebsten Motorräder mit Beiwagen, wegen der Stabilität. Wenn ihm eine 300-Kilo-Maschine umfällt, bekommt er die nicht mehr so leicht aufgerichtet. Manchmal merkt sogar einer wie er sein Alter. Neulich wollte er bei Kunst gegen Bares in Ehrenfeld mit seiner Harley vorfahren, den großen Auftritt hinlegen.

Harley fahren habe auch etwas damit zu tun, sich zu zeigen, das gibt Natusch gern zu. Doch wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Radfahrer auf. Ihm blieben zwei Chancen: "Den Radfahrer umfahren oder auf nasser Straße in der Kurve bremsen. Ich habe mich für Letzteres entschieden." Der Radfahrer blieb unversehrt, aber Natusch stürzte. Keine schlimme Sache, Natusch erinnert sich eher an den peinlichen Moment. Aber vielleicht eine Warnung, sich aus dem Stadtverkehr rauszuhalten. Verzichten will er jedoch nicht auf die Ausfahrten, die für ihn etwas Meditatives haben.

Natusch wurde im Severinsklösterchen geboren. Nach der Schule absolvierte er zwei Ausbildungen nacheinander. Eine zum Kaufmann, eine zum Kfz-Mechaniker. Dann machte er sich in der Autobranche selbstständig, doch die Geschäfte liefen schlecht, und als 1973 der autofreie Sonntag kam, gab er auf. Autos schienen keine Zukunft zu haben.

Er ging zum Arbeitsamt, bewarb sich hier und da - und landete schließlich beim Bundesamt für den Zivildienst. "Richtig rangeklotzt" habe er unter all den Beamten, damit sei er aufgefallen und gut vorangekommen. Er habe nie eine Ausbildung gemacht, nie eine Prüfung abgelegt. Doch er blieb mehr als 30 Jahre. Er habe dort strukturiertes Arbeiten gelernt. Und der Kaufmann in ihm war längst nicht tot. Irgendwann habe er sich gefragt, "wie reiche Leute ihr Geld machen".

Ein wenig verrückt

Mit Immobilien, sagte man ihm. Und so kaufte er seine ersten Kleinwohnungen in Mülheim. Aus einem Paket, das die Sparkasse mit dem Zusatz "unverkäuflich" gekennzeichnet hatte. Natusch musste den Kammerjäger rufen, bevor er mit der Renovierung beginnen konnte. "Üble Löcher waren das", erinnert er sich. Irgendwann gehörte ihm das ganze Haus, und aus dem einen Haus in Mülheim wurden "ganz viele", wie er sagt. Er selbst wohnt heute mit seiner Frau, einer Innenarchitektin, und seiner Tochter in einer Loftwohnung in Mülheim - auf 370 Quadratmetern. Das Gebäude wurde zuvor als Röntgenpraxis genutzt. Als der Makler hörte, dass er die Wände rausreißen und dort wohnen wollte, hielt er ihn für verrückt. Aber das war ihm natürlich egal.

Steinreich sei er nicht, vieles gehöre noch immer der Bank. Aber Norbert Natusch geht es gut. Seine Harley ist ein aktuelles Modell, obwohl er sich wohl auch ein spektakulär aufbereitetes Stück aus der Zeit leisten könnte, in der er an einem Wochenende nach Stockholm fuhr und am nächsten nach Südfrankreich und an der Grenze zur DDR Schaulustige anzog. Die Leidenschaft der jungen Leute für historische Motorräder amüsiert ihn. "Die nennen das Oldschool", sagt er.

Früher mussten Natusch und seine Freunde ständig an ihren Maschinen arbeiten. "Wenn wir Ausfahrten gemacht haben, hatten wir nichts zu essen in den Satteltaschen. Sondern Werkzeug und Öl." Er sei froh, dass er die technischen Vorzüge der heutigen Maschinen genießen könne. "Die Motorräder von damals, die haben wir Gott sei Dank hinter uns."