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Psychisch krankIn der Forensischen Klinik Porz „proben“ Straftäter das normale Leben

Lesezeit 6 Minuten
Porzer LVR-Klinik 201117

Die LVR Klinik in Köln-Porz

Köln-Porz – Psychoknast“, „alles nur Kinderschänder“, „sperrt sie für immer weg“ – wer im Team der Forensischen Psychiatrie in Köln-Porz arbeitet, kennt solche Kommentare zur Genüge. Dort leben hinter hohen Mauern und sensiblen Sicherheitssystemen 150 verurteilte Verbrecher, die psychisch krank sind.

Deren Taten sind extrem, brutal, lassen den Atem stocken. So wie das Verbrechen eines 27-Jährigen, der seinen Bruder mit 30 Messerstichen tötete. Der Täter – Diagnose: Schizophrenie – sah aufgrund seiner wahnhaften Vorstellung in seinem Bruder den Leibhaftigen. Stimmen forderten ihn auf, den Satan zu vernichten. Der 27-Jährige griff zum Küchenmesser und folgte dem Befehl.

Nach Jahren der Therapie im Maßregelvollzug, den Gerichte anordnen und beenden können, lebt der Mann im betreuten Wohnen, hat sich zum Konditor ausbilden lassen – und wird von der Forensischen Ambulanz betreut.

Es kann jedem Menschen passieren

Können alle Patienten geheilt werden? Mitnichten. Aber wer mit Chefarzt Herbert Meurer spricht, wird nachdenklich: „Das kann Ihnen und mir morgen auch passieren.“ Psychosen, Schizophrenie, Halluzinationen, die in Wahnvorstellungen und einer Psycho-Hölle münden.

Keineswegs sind nur Menschen betroffen, die aus desolaten familiären Verhältnissen kommen. „Die Besonderheit der menschlichen Natur ist, dass jeder Mensch zu allem fähig ist, zum Bösen und zum Guten“, sagt Meurer. „Ich kenne die Abgründe, in die der Mensch gerät, und die Aufschwünge, zu denen er in der Lage ist.“

Und die er manchmal trotz aller Therapie und Hilfe nicht schafft. So wie ein Patient, Mitte 40. Mit Anfang 20 erkrankte er an Schizophrenie. Immer wieder wurde er im Krankenhaus behandelt. Die Krankheit wurde chronisch – und der Mann zum Täter. Mit der Axt schlug er auf einen Menschen ein, legte mehrmals im Wahn Brände. Seit zehn Jahren lebt er im Maßregelvollzug. Eine Entlassung scheint unmöglich. Solche Patienten – darunter nicht wenige, die zusätzlich diverse Drogen konsumiert haben – werden von Raphael Radermacher, 32, stellvertretender Stationsleiter, und seinen Pflegekollegen betreut. Die Pfleger, Durchschnittsalter knapp 40, sehen beileibe nicht aus wie wandelnde Kleiderschränke. Ein Drittel des Teams bilden Frauen.

Radermacher und seine Kollegen erleben, dass nicht alle Patienten immer friedlich sind. Doch die Pfleger sind nicht bewaffnet. Radermacher: „Wir haben Handschellen und Fixierungsmöglichkeiten. Die stärkste Waffe aber ist das Wort.“

Nicht immer wartet ein freundlicher Empfang

Die Pfleger werden von den Männern nicht immer freundlich empfangen. Die stabilen Zimmertüren der Einzel- und acht Doppelzimmer mit vergitterten Fenstern wirken wie Zellentüren mit einer Klappe, dahinter eine Glasscheibe, darunter eine Durchreiche. Tagsüber haben die Männer ihren Zimmerschlüssel in der Tasche, nachts werden sie eingeschlossen. Wenn die Pfleger kommen und Klappe und Glasscheibe öffnen, bevor sie die Tür aufschließen, kann sie Unerwartetes treffen: „Wenn du Glück hast, kriegst du nur ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet.“

Der Schwerpunkt der Klinik liegt auf der Therapie. Das Ziel: Die Männer wieder in ihre Familien und die Gesellschaft einzugliedern. Nicht alle, aber die meisten.

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Sexualstraftäter bleiben überdurchschnittlich lange im Maßregelvollzug. Zwölf der 45 Patienten in Köln-Porz, die bereits länger als zehn Jahre dort leben, sind solche Täter. „Erst wenn wir wissen, dass der Patient seine Schwächen kennt, wenn er weiß, wie er sie bekämpft, und verstanden hat, um was es geht, brauchen wir keine Mauern mehr.

Dass die Klienten wieder straffällig werden, ist eher selten“, so Meurer. Rund fünf bis acht Prozent beträgt die Rückfallquote bei forensischen Patienten, was meist in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückt. Um sie für das Leben draußen zu stabilisieren, reicht die Versorgung mit Medikamenten nicht allein. Von den 150 Männern sind 100 in Arbeits-, Ergotherapie oder in der Schule.

Mit Materialien gestalten

Was sie hervorbringen, ist erstaunlich. So wie das Doppeldecker-Flugzeug-Modell, das fünf Patienten selbst berechnet und zusammengebaut haben. Es schwebt im Sozialzentrum unter der Decke – ein Blickfang. Für die anderen ein sichtbarer Anreiz, auch etwas zu tun. Mit Patienten kann aber auch schon mal der Ehrgeiz durchgehen, wenn sie vorschlagen, eine Drohne zu bauen. In Werkstätten gestalten sie mit Holz, Metall und anderen Materialien Dinge, die auf Basaren verkauft werden. Oder die die Klinikräume schmücken wie der farbenprächtige „Superman“. Dass einer im Arbeitseifer der Verlockung erliegt, für sich ein passendes Werkzeug mitzunehmen, ist nahezu unmöglich. Die Sicherheitstechnik ist derart scharf gestellt, dass sie schon bei einer Büroklammer Alarm auslöst.

„Superman“ in Wartestellung – ein Objekt, das Patienten in der Forensischen Psychiatrie in Köln-Porz geschaffen haben

Auszubrechen hat in den vergangenen acht Jahren seit Bestehen der Porzer Klinik keiner versucht, es gab nur zwei „Entweichungen“ von Männern, denen erlaubt war, die Klinik für ein paar Stunden zu verlassen. Der eine hatte trotz strikten Alkoholverbots Bier getrunken und traute sich nicht mehr zurück. Der andere hatte sich ins Ausland abgesetzt zu seiner Freundin. Reagiert wird unmissverständlich. Die Polizei wird bereits alarmiert, wenn der Patient sich nur fünf Minuten verspätet.

Mit Patienten gemeinsam Delikt rekonstruieren

Wer in den Genuss eines Freigangs und eventuell einer späteren Entlassung kommt, erhält ein therapeutisches Gerüst. Meurer nennt das die „Beflaggung des Minenfelds“. Für die Therapeuten bedeutet das, mit dem Patienten das Delikt zu rekonstruieren und zu erarbeiten, „dass so etwas nicht wieder passiert“.

Als „forensische Spezialdisziplin“ bezeichnen Meurer und Radermacher, den Männern zu vermitteln, sich draußen bei ersten Alarmzeichen Hilfe in der Klinik oder bei Ärzten zu suchen. Ziemlich schwer für Patienten, deren Psychosen oft Jahre vor der Tat ausgebrochen sind, und die sich keine Hilfe geholt oder nicht bekommen haben, was gewirkt hätte.

Viele Kassen zahlen nicht für Intensivtherapien, und ambulante Behandlungen reichen oftmals nicht aus. Nicht immer stimmen die Experten der Forensischen Psychiatrie mit dem überein, was Richter entscheiden. Die Vollstreckungskammer – besetzt mit drei Richtern – prüft in der Klinik jedes Jahr, ob ein Patient entlassen werden kann. In letzter Zeit kommt es häufiger vor, dass Ärzte der Forensik raten, den Patienten noch nicht gehen zu lassen. Richter können das aber anders beurteilen.

Psychisch krank und straffällig geworden

Die Forensische Psychiatrie I liegt in Köln-Porz auf einem 50.000 Quadratmeter großen Gelände. Auf dem Areal standen früher belgische Kasernen. 150 Patienten werden dort therapiert, weil sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung straffällig geworden sind. Die häufigsten Verbrechen: Gewaltdelikte bis hin zu Mord, Totschlag, Sexualdelikte, Brandstiftung, Raub, Erpressung.

Schlagzeilen machte die Klinik im Mai dieses Jahres, weil zwei Pflegerinnen verbotene Beziehungen zu Patienten hatten. In einem Fall waren es sexuelle Kontakte. „Im anderen Fall ging der Pflegerin das Schicksal zu nahe, da spielte weniger der Sex eine Rolle“, so Chefarzt Herbert Meurer. „Das war ein Tabubruch und darf in der Forensik nicht passieren.“