Kriegsende in PorzBettlaken als Friedensangebot
Elsdorf – Sein Herz pochte, als Toni Berg am Kellerfenster kauerte. Neben ihm hockten seine Großeltern und Geschwister, alle waren nervös. Neugierig schaute er auf die Frankfurter Straße, die 1945 noch von unzähligen Bäumen gesäumt war, wie er sich heute erinnert. Toni Berg wohnte mit seinen Großeltern und Geschwistern im südlichsten Haus in Elsdorf, mit Blick auf Wahn. Familie und Nachbarn vermuteten: Gleich würden die amerikanischen Panzer aus dieser Richtung anrollen. Als Berg schließlich die ersten schweren Geschütze näher kommen sah, war ihm und seiner Familie nicht klar, dass die Alliierten das Ende des Zweiten Weltkrieges einläuten würden. Sie erwarteten einen weiteren Beschuss.
Ohne Widerstand
Am 6. März 1945 besetzten die amerikanischen Truppen das linksrheinische Köln. Bis April fielen auch die weiteren rheinischen Städte ohne größeren Widerstand. „An das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern“, berichtet Toni Berg heute. Er war damals genau wie sein Freund Heinz-Josef Demmer neun Jahre alt. Als Kinder erlebten die beiden die Jahre des Krieges und dessen Ende. „Ich weiß aber noch ganz genau, dass es ein Nachmittag war, so 15 oder 16 Uhr, als die Panzer von Wahn nach Elsdorf rollten und wir uns im Keller versteckten“, ergänzt Berg. In den Tagen zuvor hatten sich die Männer in Porz auf das Eintreffen der Feinde vorbereitet. „Natürlich waren die Amis Gegner. Was anderes durften wir gar nicht sagen“, erinnern sich Heinz-Josef Demmer und Toni Berg, die heute 78 Jahre alt sind. „Mein Opa hat damals mit anderen zusammen sogenannte Panzersperren aufgebaut, um die Amerikaner möglichst aufzuhalten“, erzählt Berg. Diese Sperren bestanden aus zwei Reihen Baumstämmen, die auf beiden Seiten der Straße in die Erde gerammt wurden. In der Mitte wurde eine Lücke gelassen, damit noch Autos hindurch fahren konnten.
Sowohl an der Frankfurter Straße, Ecke Hermann-Löns-Straße, als auch am Urbacher Friedhof wurden solche Sperren aufgebaut. „Der Plan war, den Durchlass in der Mitte zu schließen, wenn die Panzer kommen“, berichtet Berg. Doch als die Alliierten anrückten, geschah nichts. Weder von deutschen Soldaten, noch von den Bürgern gab es Widerstand.
Im Haus von Toni Bergs Familie waren in den Tagen und Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner deutsche Soldaten untergebracht. Sein Vater kämpfte zu der Zeit in Russland, seine Mutter war nach der Geburt von Tonis Schwester gestorben. Um die Familie kümmerte sich Großvater Anton Greuel, damals 68 Jahre alt. „Unser Haus war neu, wir hatten es 1939 erst fertig gebaut. Das war natürlich eine optimale Voraussetzung für die Soldaten, die irgendwo einquartiert werden mussten“, berichtet Berg heute. Ihr Haus verfügte sogar über einen Luftschutzkeller.
„Doch als die Amerikaner kamen, waren unsere Soldaten weg“, sagt Toni Berg. Zurück blieben einige Waffen. „Zwischen Decken und Stroh lagen noch ein paar Gewehre, und ich meine auch Handgranaten gesehen zu haben.“ Das versetzte seinen Großvater in Alarmbereitschaft. Was wäre, wenn die anrückenden Amerikaner die Waffen entdeckten? Würden sie die Familie verdächtigen, dass sie die Soldaten hätten angreifen wollen? Anton Greuel handelte kurzentschlossen und versenkte die Waffen in der Jauchegrube. Die Sorge um die Familie trieb den Großvater ohnehin um und ließ ihn zu allen möglichen Tricks greifen. „Von der letzten Wäsche ließen wir die großen weißen Bettlaken im Garten auf der Leine hängen. Die konnte man von Wahn aus sehen. Opa hoffte, dass die Amis denken würden, dass wir die weiße Fahne gehisst hätten.“
Doch Familie Berg machte sich umsonst Sorgen. „Kein Schuss fiel, als sie einrückten. Kein einziger“, so Berg. Alle Nachbarn liefen auf die Straße, als sie merkten, dass die Panzer ankamen, ohne dass jemand schoss. „Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, der Krieg sei zu Ende“, erinnert sich Heinz-Josef Demmer.
Auf dem Kinderfahrrad
Demmer wohnte in der unmittelbaren Nachbarschaft von Toni Berg. Deutsche Soldaten hatten sich bei ihm nicht einquartiert, aber die amerikanischen Truppen brauchten ein Dach über dem Kopf, als sie in Porz ankamen. „Wir zogen für die Wochen, in denen die Amerikaner in unserem Haus wohnten, zu Verwandten“, erinnert sich Demmer. Eine Szene hat er noch ganz genau vor Augen: „Die Amerikaner waren aufgeschlossen und freundlich. Ich konnte beobachten, wie ein amerikanischer Soldat auf meinem Kinderfahrrad völlig entspannt durch unseren Garten fuhr.“
Toni Berg und Heinz-Josef Demmer hatten als Kinder keinen Überblick über das große Ganze des Kriegs. „Klar, wir haben ab und zu mitbekommen, dass sich unsere Eltern gesorgt haben, ob wir genug zu essen haben. Aber von einer Kriegsstrategie wussten wir nichts“, so Demmer. Für die Kinder war der Krieg Alltag – sie waren damit aufgewachsen. Es war normal, in den Schützengräben, die die eigenen Gärten durchtrennten, zu spielen.
„Als die ersten Transporte für die Soldaten anrollten, liefen wir alle an die Straße und schauten“, berichtet Berg. Von einer Bekannten erfuhr er, dass die Engländer Kaugummi und Schokolade aus den Autos warfen. „Wir riefen ,Nix Futterage’ und dachten, dass sei Englisch und fordere die Soldaten auf, uns etwas zu geben“, lacht Berg. Trotz der gewöhnungsbedürftigen Übersetzung: Es funktionierte, und die Kinder bekamen Süßigkeiten.
Für Heinz-Josef Demmer und Toni Berg haben sich die Wirren des Krieges erst nach dessen Ende in Gänze gezeigt. „Es ging für uns damals nicht darum, wer Recht hat oder nicht. Wir wollten schlicht Kinder sein und waren neugierig auf die Fremden, die nach Porz kamen“, erklärt Berg. Gemeinsam mit ihren Freunden bestaunten sie die ausländischen Soldaten. „Da waren ja auch einige Schwarze bei. Das war völlig neu für uns“, so Demmer. Natürlich konnten sich die Jungs für die Technik und die Uniformen begeistern. „Wir haben uns einfach interessiert – auch für die Panzer und Geschütze.“