Puppenspiel mit Tradition in KölnDie bewegte Geschichte des Hänneschen-Theaters
Wahn – Ohne Johann Christoph Winters wäre Köln wohl um eine identitätsstiftende Attraktion ärmer. 1802 entschied sich der in Köln ansässige Schneidergeselle nämlich, ein Stockpuppentheater als zusätzlichen Broterwerb zu realisieren: das Hänneschen-Theater. Was als überlebensnotwendige Tätigkeit im 19. Jahrhundert begann, fand in den 1930ern allerdings ein unrühmliches Ende. Aufschluss darüber geben ein Nachlass sowie Dokumente aus der Zeit der Wiederbelebung von Winters’ Theater durch den Gründer der Theaterwissenschaftlichen Sammlung, Carl Niessen.
„Zum Nachlass gehören unter anderem 35 Stockpuppen aus dem 19. Jahrhundert, ein Skizzenheft von Winters und Material aus den Zwanziger Jahren, als Niessen sein eigenes Hänneschen-Theater gründete“, schildert Rudi Strauch, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theaterwissenschaftlichen Sammlung. Dort gibt es auch ein aus dem Jahr 1912 stammendes Modell von Winters’ Hänneschen-Theater inklusive aus Holz geschnitzten Figuren jener Puppenspieler, die damals aktiv waren. Strauch vermutet, dass es „zu Werbezwecken bei Ausstellungen verwendet wurde“.
Vom Kino verdrängt und wiederbelebt
Winters’ Hänneschen-Theater, das über die Jahre in unterschiedlichen Häusern in der Kölner Innenstadt beherbergt war, „war in Köln eine Institution“, so Strauch. „Im 19. Jahrhundert bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert hatte das Puppentheater generell den Stellenwert, den später das Kino übernahm – als Unterhaltung auch für Erwachsene.“ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei das Puppentheater überall in die Krise gekommen: „Es wurde vom Kino verdrängt, es war plötzlich nicht mehr modern.“ Auch nicht das Hänneschen-Theater, das nach Winters’ Tod am 5. August 1862 über mehrere Generationen immer in Familienhand geblieben war.
Städtisches Hänneschen-Theater wird gegründet
1919 starb die letzte Nachfolgerin von Winters. Sechs Jahre später erlebte das Hänneschen-Theater jedoch eine ungewöhnliche Renaissance: „Carl Niessen war dabei, als überlegt wurde, das Hänneschen-Theater als städtische Bühne zu initiieren“, sagt Strauch.
Über die Frage, wie man es retten solle, sei viel diskutiert worden. „Niessen konnte sich das irgendwann nicht mehr mit ansehen. Zusammen mit seinem Bruder Josef hat er die letzten aktiven Spieler, die bei der Familie Winters beschäftigt waren – darunter auch das im Modelltheater dargestellte Puppenspieler-Ehepaar Joseph und Wilhelmine Oellers – um sich geschart und angefangen, Hänneschen-Theater zu spielen.“
Mit großem Erfolg: Auf der „Jahrtausendausstellung der Rheinlande“ 1925 in Köln gab das von Niessen wiederbelebte Puppenspiel unter dem Namen „Altes Kölner Hänneschen-Theater“ an 63 Tagen 359 fast immer ausverkaufte Vorstellungen. Ein Jahr später, 1926, „nahm die Idee eines städtischen Theaters Fahrt auf“, so Strauch. „Zu diesem Zeitpunkt wäre es schön gewesen, die Kräfte zu bündeln, aber jetzt war es zu spät: Niessen hielt an seinem Theater fest, und die Stadt gründete ihr eigenes.“
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Erster Intendant des städtischen Hänneschen-Theaters wurde der 1902 geborene Fritz Danz – städtischer Angestellter und ehemaliger Lehrling in Winters’ Hänneschen-Theater – der diese Position bis zu seinem Tod 1933 besetzte. Seinen Sitz hatte das städtische Hänneschen-Theater erst im Rubenshaus in der Sternengasse, „in der Nazizeit ist es mit großem Brimborium umgezogen in seine neue Spielstätte, wo es heute noch ist: am Eisenmarkt 2 – 4“, schildert Strauch.
Niessen-Bühne wurde zum Partei-Organ
Damit die beiden Bühnen nicht in direkter Konkurrenz zueinander standen, gab es eine Vereinbarung zwischen der Stadt und Niessen. Strauch: „Das städtische Hänneschen-Theater spielte ortsfest in Köln, das Theater von Niessen nur außerhalb Kölns.“ Die Niessen-Bühne sei überall herumgereist und habe etwa im Saarland, im Ruhrgebiet und sogar in Berlin Vorstellungen gegeben, zumeist in Schulen, Heimen und auch in Kaufhäusern.
Unter den Nationalsozialisten, „in deren Fahrwasser beide Hänneschen-Theater gerieten“, so Strauch, wurde die Niessen-Bühne zum Partei-Organ: „Nachdem Niessens Bruder Josef, der sich um den Tourneebetrieb gekümmert hatte, gestorben war, gab es für zwei Jahre keine Vorstellungen mehr.“ 1935 kündigte Carl Niessen einen Neuanfang an unter der Leitung von Philipp Vogel: „Der war für jene nationalsozialistischen Organisationen aktiv wie etwa »Kraft durch Freude«, für die Niessens Hänneschen-Theater fortan nur noch gespielt hat.“ In den Wirren des Zweiten Weltkriegs endet schließlich die Spur von Niessens altem Kölner Hänneschen-Theater.