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Interview mit Kölner Bundeswehrsoldatin„Ich habe keine Angst, das ist mein Beruf“

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Hauptmann Jessica Maaß ist Zeitsoldatin in Köln-Wahn.

  1. Jessica Maaß ist Hauptmann bei der Luftwaffe in Köln-Wahn.
  2. Sie spricht über ihre Gefühle in dieser Zeit, übers Hemdenfalten und über die Feuerkraft von Patriot-Raketen

KölnFrau Maaß, Sie sind Hauptmann, so sagt man das bei der Bundeswehr. Warum sind Sie Soldatin geworden?Aus meiner Sicht bietet die Bundeswehr eine große Bandbreite an Berufen, ohne den Arbeitgeber zu wechseln. Außerdem bietet sie viel Aktivität und Abwechslung innerhalb eines Berufsfeld. Als Offizier erhält man zudem früh Führungs- und Entscheidungsverantwortung, was einen auf der einen Seite zwar fordert, auf der anderen Seite jedoch einen sehr großen Erfahrungsschatz bietet. Das ist in meinen Augen sehr attraktiv.

Hatten Sie keine Skrupel, zum Militär zu gehen?

Schon vor der Einstellung während des Beratungsgesprächs beim Kreiswehrersatzamt (heute Karrierecenter) wurde mir ein Video gezeigt, in dem verwundete Soldaten zu sehen waren. Man muss wissen, worauf man sich einlässt, dessen bin ich mir bewusst. Aber die Arbeit bei der Feuerwehr oder der Polizei ist ja auch keineswegs gefahrlos. Die Bundeswehr erschien mir eine attraktive Alternative, eine tolle Truppe halt.

Sie sind jetzt 29, wie oft mussten Sie wegen Ihres Soldatenberufes schon umziehen?

Ich war stationiert in Fürstenfeldbruck, Neubiberg, Husum und den USA, jetzt bin ich hier in Köln-Wahn im Luftwaffentruppenkommando.

Stört Sie das?

Im Gegenteil, ich bin sehr viel herumrumgekommen. Bei meiner Ausbildung zum Feuerleitoffizier am Flugabwehrraketensystem Patriot lebte ich in El Paso im US-Bundesstaat Texas in einer eigenen Wohnung. Meine erste eigene Wohnung als junge Frau war also in den USA, wer kann das schon von sich behaupten. Ich habe dadurch viele unterschiedliche Erfahrungen sammeln dürfen, die ich nicht mehr missen möchte.

Anhand Ihres Dienstgradabzeichen kann ich sehen, was Sie verdienen, das können Sie bei mir nicht. Jeder Kollege weiß, was jeder verdient bei Soldaten, ist das ein Problem für Sie?

Das ist für mich überhaupt kein Problem. Aus meinem Verdienst muss ich kein Geheimnis machen. Jeder kann googeln, was ein Hauptmann standardmäßig verdient.

Was unterscheidet die Bundeswehr von anderen Arbeitgebern?

Allen voran die Vielseitigkeit, aber auch die Personalverantwortung in frühen Jahren. Ich war Einsatzoffizier einer Patriotstaffel und praktisch deren stellvertretende Staffelchefin. Auf Übungen im Zweischichtbetrieb habe ich mich somit mit meinem Staffelchef in der Aufgabe der Staffelführung abgewechselt. So war ich jeweils zwölf Stunden am Stück pro Tag Vorgesetzte von ca. 100 Soldaten. In welchem zivilen Beruf hat man mit unter 30 Jahren schon 100 Untergebene? Das ist eine Aufgabe, die mich fordert und die mir großen Spaß macht.

Sie sind aktuell Zeitsoldatin, wollen Sie nach Ablauf des Vertrages bei der Bundeswehr bleiben und Berufssoldatin werden?

Ich möchte sehr gerne Berufssoldatin werden und stehe fordernden Ausbildungen offen gegenüber, so zum Beispiel auch dem Generalstabslehrgang. Aktuell bin ich Adjutantin von Generalmajor Frevel, dem Stellvertreter des Kommandierenden Generals des Luftwaffentruppenkommandos. Dem unterstehen alle Einsatzverbände der deutschen Luftwaffe. Manche tun diese Funktion eines Adjutanten als Kofferträger oder Kaffeekocher ab. Aber dem ist nicht so. Adjutanten sind Allrounder, Koordinatoren, Teamplayer und Manager, und nebenbei das zweite Gedächtnis des Generals.

Jetzt sind Sie Soldatin in einer Zeit, in der erstmals seit 1945 ein heißer Krieg tobt in Mitteleuropa, mit einer realen Konfrontation für die Nato. Was macht das mit Ihnen?

Natürlich beschäftige ich mich damit. Aber ich bin Soldat. Genau das, ist mein Beruf. Ich habe keine Angst, auch weil die Bundeswehr als Organisation ihre Leute für so etwas gut vorbereitet und unterstützt. Es gibt unter anderem ein professionelles psychosoziales Netzwerk, man kann mit Vorgesetzten sprechen und auch die Familien werden umsorgt.

Nennen Sie einen Grund, warum Sie keine Angst vor einem Einsatz haben.

Ein Beispiel: Die deutsche Luftwaffe besitzt den Medevac, einen Airbus mit einer fliegenden Intensivstation, um gegebenenfalls verletzte Soldaten zu versorgen und in Sicherheit zu bringen. Das gibt mir Vertrauen. Ich habe bei einem Einsatz in der Frühphase der Corona-Pandemie gesehen, dass das System Medevac funktioniert, als wir vor Ort keine Sauerstoffflaschen für Erkrankte hatten. Ein tolles System.

Wie reagiert Ihr Umfeld oder die Öffentlichkeit auf Sie, auf Ihren Beruf, gegebenenfalls auch auf Ihre Uniform, seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine?

Im Umfeld wird deutlich mehr über das Thema Krieg und die Notwendigkeit der Bundeswehr gesprochen. Das neutrale Desinteresse der Deutschen gegenüber ihrem Militär ist seit Februar einem – eindeutig positiven – Interesse und Neugierde an der Bundeswehr gewichen. In Uniform im Zug etwa wird man häufiger angesprochen, von Menschen aller Schichten, nicht nur von Männern, die sich an ihre alte Wehrdienstzeit erinnern.

Wie ist Ihre Einschätzung dieses Krieges?

Ich habe ja nicht nur das Bild aus den Medien, sondern den Blick der Militärs. Ich habe die Möglichkeit, auch oft einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können, in Gesprächen, wo sich für Menschen wie Sie vor Ihnen die Türe schließt und Sie draußen stehen, obwohl Sie Journalist sind. Und noch mal: Ich habe keine Angst, das ist mein Beruf.

Fühlen Sie sich von der Bundeswehr gut vorbreitet?

Mein Waffensystem, das Flugabwehrraketensystem Patriot, ist ja an den NATO-Grenzen bereits im Einsatz. Ich bin daran umfassend und realitätsnah ausgebildet worden als Feuerleitoffizier. Ja! Ich bin gut vorbereitet. Die Reduktion der Bundeswehr auf einen Club von Menschen, die nur Hemdenfalten und Exerzieren üben, erzeugt ein völlig falsches Bild.

Vertrauen Sie denn Ihrem Waffensystem Patriot, das ja schon in den 1980er Jahren eingeführt wurde?

In Patriot habe ich vollstes Vertrauen. Es ist mit eins der modernsten Flugabwehrsysteme der Welt.

Was unterscheidet die Bundeswehr von den Streitkräften anderer Länder?

Die Auftragstaktik, die Verantwortlichkeit. Klar gibt es bei der Bundeswehr Befehle. Aber innerhalb bestimmter Bandbreiten gibt es Handlungsspielraum, eine rechte und eine linke Grenze innerhalb des Befehls. Das ist ein echter Vorteil.

Was würden Sie sagen, wenn Sie jetzt an die NATO-Ostflanke zum Schutz des NATO-Gebietes verlegt würden, in unmittelbare Nähe zu der Region, wo ein echter Krieg tobt? Oder nach Mali?

Das wäre kein Problem, auch meine Familie weiß das und steht hinter mir. Auch nach Mali würde ich selbstverständlich gehen. Ich habe mich entschieden, Soldat zu sein. Punkt. Ich würde das sofort machen. Ob meinem jetzigen Chef das so gefiele, steht auf einem anderen Blatt (lacht).

Welche Einsatzerfahrungen haben Sie bislang denn schon gemacht?

Ich war fünf Monate im Einsatz in Jordanien „Counter DAESH/ Capacity Building Iraq“. Dort waren wir mit rund 350 Kameraden zur Einsatzunterstützung der multinationalen Koalition durch Tankflugzeuge, Luftbildaufklärung und Ausbildung kurdischer Sicherheitskräfte. Ich selbst war glücklicherweise noch nie in der Situation, dass ich Angst um mein Leben hatte, weiß aber sehr wohl, dass das auch anders sein kann. Meine Einsatzerfahrung ist sehr positiv und ich konnte viele neue Eindrücke sammeln.

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Zurück zum Anfang, Sie sind eine 29-jährige Frau und melden sich, wenn man Sie anruft, mit „Hauptmann Maaß“ am Telefon. Für Zivilisten klingt das gewaltig schief?

Ich finde es richtig, dass es Frau Hauptmann heißt. Ich brauche keine gegenderten Dienstgrade bei der Bundeswehr. Es gibt sicherlich viele andere Dinge bei der Bundeswehr, die priorisiert gelöst werden müssen.

Brauchen wir wieder eine Wehrpflicht?

Ich wäre dafür, ich habe viele ehemalige Grundwehrdienstleistende im Bekanntenkreis, keinem hat es geschadet. Im Gegenteil, man reift anders und man hat eine Chance, in einem Beruf für längere Zeit hinein zu schnuppern. Letzten Endes kann ja dann jeder selbst entscheiden, ob er bleibt oder die Bundeswehr wieder verlässt. Und damals bestand ja auch die Möglichkeit anstelle der Wehrpflicht in den Zivildienst zugehen. Somit wurde keiner zum „Dienst an der Waffe“ gezwungen. Falls es eine Wiederaufnahme der Wehrpflicht gäbe, müsste man aber wohl auch die Frauen einbinden, alles andere wäre ungerecht und nicht mehr zeitgemäß.