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ProjektKunst gegen das Verschwinden

Lesezeit 4 Minuten

Objekt von Esther Kusche

Ehrenfeld. Lange Zeit war das Haus Nummer 57 in der Körnerstraße ein schmuckloses Etwas mit grau verputzter Fassade, kleinen Fenstern und ohne jeglichen Zierrat. Touristengruppen, die die Körnerstraße immer mal wieder durchschlendern, würdigten es keines Blickes.

Seit einigen Wochen ist das anders. Das Haus ist zum Hingucker geworden, zum Fotomotiv, zum Treffpunkt für Kunstinteressierte. Und es hat weit mehr zu bieten als eine ungewöhnliche Fassadenbemalung. Wer es betritt, muss sich auf eine Reizüberflutung in Sachen Kunst gefasst machen. Das Gebäude ist zum eigenständigen Kunstwerk geworden. Esther Kusche und Marcus Krips, die Macher dieser Aktion, nennen es "Eine Art Haus".

Die schrill-bunte Zauberwelt hinter der Haustür ist eine besondere Art von Wohnraumzweckentfremdung. Die Flure und Zimmer sind zu Kunstobjekten oder kleinen Galerien verfremdet. Möglich wurde das alles, weil die Tage des schätzungsweise mehr als 100 Jahre alten Hauses gezählt sind. Es soll abgebrochen werden und an seiner Stelle ein neues Wohnhaus entstehen. Somit ist das - schnell ziemlich auffällig gewordene - Gebäude auch eine Art Fingerzeig gegen zu viel an Veränderung im Viertel.

Details von Frieda Funkes Beitrag (vorne) und Claudia Füger

Künstlerin Esther Kusche, die sieben Jahre lang hier lebte und arbeitete, muss deswegen ausziehen. Die Kündigung war für sie das Startsignal für die Aktion. Mit Erlaubnis der Eigentümer und Unterstützung mehrerer weiterer Künstlerinnen und Künstler begann sie im Mai, das Haus Schritt für Schritt, Raum für Raum auszuschmücken, umzuwandeln.

Maßgeblich trug Marcus Krips dazu bei. Die Fassade, die zu einer grimmig-gefräßigen Fratze mutierte, trägt unverkennbar seine Handschrift. Im Inneren des Hauses sind weitere Krips-Werke auszumachen, überall starren die typischen Augenpaare seiner Strichfiguren den Besucher an.

Esther Kusche brachte sich unter anderem mit einer Installation aus Plastiklöffeln ein. Weggeworfenes oder Ausrangiertes zu Kunst zu verarbeiten, ist ihr Schwerpunkt. Das Treppenhaus ist zu einer Art Aquarium geworden. Koi-Karpfen hat Künstlerin Katja Bosshammer an die Wände im Treppenhaus gemalt. Claudia Füger installierte ihre Figurenwelt in einem Raum. Insgesamt sieben Künstlerinnen und Künstler waren an der Haus-Transformation beteiligt. Acht weitere bestritten im Haus zeitweilige Ausstellungen. Hinzu kamen Musik- und Performance-Künstler, die das Haus als Bühne nutzten. Ein Katalog soll von 13. bis 15. Oktober präsentiert werden.

Esther Kusche und ein Ausschnitt aus ihrer Plastik-Installation

Die Kunstwerke, die direkt auf Wände, Decken oder Fußböden aufgebracht wurden, werden mit dem Abbruch des Hauses verschwinden. Für Esther Kusche hat die Aktion über die einzelnen künstlerischen Aussagen hinaus eine klare Botschaft: "Künstler werden nach und nach aus dem Stadtteil vertrieben, weil die Mieten für Wohnungen und Ateliers immer weiter steigen." Grund ist die hohe Nachfrage nach Wohnraum im von vielen als attraktiv betrachteten Ehrenfeld. Schräg gegenüber des Hauses Körnerstraße 57 sei das schon einmal auf ähnliche Weise zu beobachten gewesen. Ein altes Haus, in dem sich günstig wohnen ließ, wurde abgebrochen. "Warum", fragt sie, "lässt man so etwas zu?" Sie habe gut gewohnt und sei auch mit nur einem Holzofen glücklich gewesen.

Dass preisgünstige Ateliers immer rarer werden, bestätigt Petra Gieler, Geschäftsführerin des Bundesverbands Bildender Künstler Köln, der regelmäßig in der Stadt die Tage der Offenen Ateliers veranstaltet. Es sei ein stadtweites Problem, dass Künstler immer weiter an den Rand gedrängt würden. "Wir merken schon, dass die Teilnehmer bei den Offenen Ateliers in Ehrenfeld weniger werden", sagt sie und fügt hinzu: "Gerade für die kleineren Künstler wird es immer enger." Entweder verschwinden die Ateliers ganz oder werden von anderen Unternehmen der Kreativwirtschaft genutzt, etwa Grafik- oder Multimediabüros.

Kulturmanagerin Sabine Voggenreiter sieht dagegen keine großflächige Verdrängungstendenz. Die Organisatorin des Design-Parcours Ehrenfeld und der "Passagen" ist der Ansicht, dass das Viertel in seinen Strukturen noch recht stabil ist: "Es gibt ja durchaus noch eine große Zahl Kreativer und längst nicht alle von denen leben in prekären Verhältnissen." Viel mehr an Wandel und neuer Bebauung mit teurem Wohnraum dürfe es aber nicht mehr geben. Sie plädiert dafür, dass preiswerter gebaut werden darf, damit bezahlbare Mieten möglich bleiben.

Böser Blick zwischen Ehrenfelder Fassaden

"Dramatischer finde ich, dass die größeren Kulturräume zu verschwinden drohen, wie das Heliosgelände und der Güterbahnhof", sagt Sabine Voggenreiter, die befürchtet, dass die renditeorientierten Vorhaben für die Areale keinen Spielraum für "Kultur von unten" mehr zuließen.

Die Entwicklung habe er befürchtet, sagt Dieter Wolf, Vorsitzender des Kulturvereins Köln 30. "Wir hatten Skrupel, als wir vor 30 Jahren damit begannen, das kulturelle Potenzial Ehrenfelds durch Aktionen wie Tata West oder Kunstroute Ehrenfeld bekanntzumachen", berichtet er. "Uns war klar, dass die atmosphärische Aufwertung des Gebiets, das Mitte der 1980 Jahre noch Sanierungsgebiet war, dazu führen würde, dass Begehrlichkeiten geweckt werden." In dieser Zeit seien ähnliche Entwicklungen schon in München zu beobachten gewesen. Galerist Ingo Graebner, sein damaliger Mitstreiter im Ehrenfelder Kunstverein, sei dann Anfang der 2000er Jahre mit seiner Galerie in der Sömmeringstraße selbst Opfer der Entwicklung geworden. Größere kulturelle Institutionen seien lange Zeit von der Stadtplanung entweder gar nicht oder allenfalls als "temporäre Zwischennutzer" aufgeführt worden.

www.eine-art-haus.de