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Punktlandung in NiehlAngler, Hunde und eine Post-Sensation

Lesezeit 4 Minuten

Warten auf einen Wels, wenigstens auf einen großen Zander: Helmuth Spanke (von links), Martin Schneiders und Volkmar Spies.

Niehl – Nichts los am Nacktstrand in Niehl. Wo sich an heißen Wochenenden die Sonnenhungrigen zu Hunderten tummeln, allesamt männlichen Geschlechts, herrscht Leere. Tote Hose auch im Eimer der drei Angler, es will und will nichts Nennenswertes anbeißen. Ein Reiherpaar schwingt sich aus dem Gras und fliegt gemächlich davon. Aus der Schafswolle auf dem Erdboden unter einer Gruppe von Eichen, übrig geblieben von einer kürzlich vorübergezogenen Herde, ließe sich ein Schal von hier bis zur Mülheimer Brücke stricken. Damit das mal klar ist: Schöner als am Rheinkilometer 693,9 kann Köln an diesem wolkenreichen Mittwochmittag nirgends sein.

Martin Schneiders holt aus und schleudert den an der Angelschnur befestigten Kunstköder, einen Wobbler, 40 Meter weit in den Fluss. Die Rolle surrt. Seit halb sieben steht er hier, bis jetzt hat er „nur Kleinkram“ gefangen. Einen 25 Zentimeter langen Zander und jede Menge Weißfische, sie alle hat er dem Rhein zurückgegeben. Sein Freund Volkmar Spies, auch er aus Berleburg bei Siegen, berichtet immerhin von „einem Wels an der Schnur“. Das Angelglücksgefühl währte nur wenige Sekunden. Der Wels zeigte sich kurz an der Oberfläche, zog kräftig und riss sich los von dem Drillingshaken. Übrig blieben die typischen Schleimknubbel an der Leine. Für die beiden Männer vom Angelverein Wittgenstein ist der Rhein ein verlockendes Gewässer. Im Quellgebiet von Lahn und Eder, ihrem Heimatrevier, beiße allenfalls mal eine mittelgroße Forelle an.

Die kleinen Fische locken die großen

Wir befinden uns an der Stelle, an der das erwärmte Kühlwasser des Heizkraftwerkes Niehl in den Rhein strömt. Das warme Wasser zieht die kleinen Fische an – und diese locken die großen. Frühmorgens stünden die Russen hier, sagt Schneiders; nette Kerle übrigens, die aber leider einen Fehler begehen würden. Sie nähmen so gut wie jeden Fisch mit nach Hause, auch die kleineren. Helmuth Spanke, der sich zu uns gesellt, hat den Russen deshalb schon des Öfteren die goldene Regel nahegelegt: „Jungs, ihr müsst einen 45er-Zander auch mal wieder reinschmeißen, dann fangt ihr irgendwann einen größeren.“

So schön kann ein Fleckchen Köln gar nicht sein, dass irgendwelche Kölner nicht doch ihren Müll zurücklassen würden. Zerfetzte Plastiktüten, Becher, Weinflaschen, ein Küchentisch, der vergeblich auf seinen Abtransport wartet: die üblichen Ärgernisse eben.

Stephanie Pawlitzki aus Mülheim geht mit ihrem Stafford-Mischling Drago jeden Tag am Niehler Ufer spazieren. „Drago ist ein blöder Name“, findet sie, „aber den hatte er schon im Tierheim.“ Sie selber hätte sich für Trollo entschieden. Drago zerrt an seinem Gummispielzeug. Er ist nicht der erste Hund im Leben der 55-Jährigen. Als sie in die Schule kam, stieß der Pudel Tünnes zur Familie. Es folgten: Köbes, Billa, Timmi und Sam, alle aus dem Heim. „Ich muss doch nicht einen Züchter reich machen, wenn die Tierheime überquellen“, sagt Stefanie Pawlitzki.

Wir blicken auf ein nahe gelegenes Gehölz, das als Schwulentreffpunkt bekannte Cranach-Wäldchen. „Da drüben passieren Sachen, die will ich lieber nicht wissen“, sagt die zweifache Mutter in einem Tonfall, in dem keinerlei Empörung mitschwingt. Einmal habe sie ein Mann vor einem Uhren-Räuber gewarnt. „Ich hatte ja meinen Beschützer dabei, der passt extrem gut auf“, sagt sie und deutet auf den mehr als 40 Kilo schweren Drago.

Einige Schritte entfernt ist nichts mehr zu hören vom Plätschern der Wellen, vom Rauschen der Büsche im Wind. Stattdessen: das Brummen von Gabelstaplern, rappelnde Metallboxen, Kommandorufe auf dem Hof einer Spedition. Jenseits der Straße Am Molenkopf befindet sich der Niehler Hafen. Frederico und seine Tochter Debora klettern in eine weiße Renault-Zugmaschine. 22 Stunden hat die Fahrt von Valencia nach Köln gedauert, jetzt geht es zurück mit einer Ladung Zubehör für die spanischen Ford-Werke, in denen der C-Max gebaut wird. Muchas gracias für die Auskunft und gute Fahrt, Frederico.

Meilenstein der Postgeschichte

Was das Transportwesen angeht, hat der Niehler Hafen einst Weltgeschichte geschrieben, zumindest Weltpostgeschichte. Am 19. September 1929 um 11.17 Uhr wasserten der Pilot Jobst von Studnitz und der Funker Karl Kirchhoff ihr Katapultflugzeug Heinkel He 12, das gegen 6 Uhr bei Borkum von einer Rampe auf dem Überseedampfer „Bremen“ gestartet war. An Bord: sieben Postsäcke aus Nordamerika, bestimmt für Empfänger in aller Welt. Nach einem Zwischenstopp in Amsterdam wurde die Fracht im Niehler Hafen ausgeladen, auf einem hölzernen Landungsfloß sogleich gestempelt, umgepackt und zum Flughafen Butzweilerhof gefahren. Nicht einmal 50 Minuten später befanden sich die ersten Briefe wieder in der Luft. Das Ereignis wurde als Meilenstein der Postgeschichte gefeiert.

Gar nicht so hoch über dem Hafen ist schon wieder eine Passagiermaschine im Anflug auf Wahn zu sehen und zu hören. Auf der Aue in Höhe Rheinkilometer 963,9 legen zwei Reiher eine perfekte Landung hin. Am Ufer hoffen drei Angler auf einen Fang, am besten einen dicken Wels.