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Mit Ralf Richter im PantaleonsviertelEspresso für den Kult-Asi

Lesezeit 6 Minuten

Richter trägt seine Kult-Rolle Kalle Grabowski als WM-Edition auf der Brust.

Ralf Richter sitzt breitbeinig in einem Bürostuhl vor seinem Lieblingskiosk. Es nieselt. Die große Deutschlandfahne, die neben der Tür lehnt, weht ihm mit jeder Windböe ins Gesicht. Richter stört sich nicht daran. Der 56-Jährige hat sich in Rage geredet. Das passiert ihm oft. Dabei kann seine Leidenschaft in beide Richtungen ausschlagen: Er liebt oder wird wütend – extrem schnell und extrem ehrlich.

Gerade liebt er. Es geht um die Rolle, die ihn zum Kult gemacht hat: Kalle Grabowski, der fluchende, prügelnde Knastbruder aus dem Film „Bang Boom Bang“. Markenzeichen: unbedingte Gewaltbereitschaft, goldenes Mercedes-Coupé, untreue Freundin in Pink und Pumps.

20 Jahre vor Grabowski war Richter schon im Filmgeschäft, und er ist es auch noch 15 Jahre danach. In Dutzenden Filmen hat er mitgespielt, war Maat in „Das Boot“ und immer wieder kultverdächtiger Prolet, Zuhälter, Schläger. Und doch trägt er heute Graboswki auf seiner Jacke, auch von seinem T-Shirt prangt sein unverwechselbarer Vokuhila.

„Läuft gut“, sagt Richter und blickt an sich herunter. „Die Menschen lieben diesen Kerl irgendwie.“ Sogar sein Schnauzbart, zum Großteil weiß, wächst wieder in einem hängenden U um seine Oberlippe, wie 1999 in „Bang Boom Bang“. Viele seiner Projekte widmen sich seiner bekanntesten Rolle: Es gibt eine Radioshow, die vor allem aus dem Piepsen zum Übertönen der Schimpfworte besteht; ein Festival im Bochumer Stadion ist geplant; sogar ein neuer Film ist im Gespräch. Eine Satire-Kuppel-Show unter dem Arbeitstitel „Kalle sucht ’ne neue Olle“ ist bereits abgedreht. Die Kandidatinnen mussten Kalles Herz mit Powerslides im Sportwagen und beim Elfmeterschießen auf hohen Absätzen gewinnen. Bei der Erinnerung daran lacht Richter rau und schüttelt den Kopf. Schlagartig wird er ernst und versichert: „Aber absolut nicht frauenfeindlich!“

Ein älterer Mann mit Schiebermütze schlurft über den Hof auf den Kiosk zu. „Sind Sie der Besitzer?“, fragt er, als er vor Richter steht, und deutet auf die Tür. „Ich brauche Milch.“ „Gehen Sie einfach rein“, antwortet Richter entspannt. „Der Siamak ist drinnen.“

Siamak Momtanes Büdchen zählt zu Richters Lieblingsorten in der Stadt. An den Waren liegt das weniger. Seit der 39-Jährige den 100-prozentigen Apfelsaft aus dem Sortiment genommen hat, kauft er hier eigentlich nur noch Wasser. Trotzdem kommt er fast jeden Tag. Manchmal bleibt er stundenlang.

Immer die gleichen Fragen

Richter ist mit sieben Geschwistern in Bochum aufgewachsen. Sein Vater war Architekt und hatte das Haus der Familie ganz auf deren Größe ausgerichtet. Die halbe Nachbarschaft traf sich dort. Richter ist Trubel von klein auf gewohnt – und meidet heute doch Partys und große Menschenmengen. Denn die meisten Menschen können seinem Gesicht zumindest die drei Klischees seiner Karriere zuordnen: Rüpel, Raubein, Ruhrpott-Asi. Das Alter hat da nicht geholfen. Im Kontrast zu seinem weißen Haar stechen seine eisblauen Augen jetzt noch krasser hervor. Er ist dünn geworden, seine Gesichtszüge haben dadurch an Schärfe gewonnen. Auf der Straße wird er zwangsläufig erkannt. Es folgen die immer gleichen Fragen.

„Ich muss nicht arrogant sein, um das komplett bescheuert zu finden“, sagt Richter und vergräbt die Hände tief in den Hosentaschen. Von Siamak hat er sich gerade mit Handschlag und einem „Bis Morgen!“ verabschiedet. „Berühmt!“ Er tippt sich an die Stirn. „Wofür denn?“ Auf einer Party sei er mehr als 40 Mal angesprochen worden und habe dem Alkohol seither abgeschworen. „Sonst signalisiere ich den Leuten noch aus Versehen, dass ich das gut finde.“

Gerade stakst er an der Pantaleonskirche vorbei. Mit dem zweitürmigen Prunkbau kann Richter wenig anfangen – auch wenn das Viertel, in dem er seit sieben Jahren lebt, nach ihm benannt ist. „Irgendwann hat der frühere Papst den Opus-Dei-Typen besucht, der das hier leitete“, fällt Richter bei einem kurzen Seitenblick im Gehen dann doch ein. „Da war hier alles abgesperrt, und ich musste einen Riesen-Umweg nach Hause laufen.“

Umwege gehören zu den Dingen, die Richter aufregen. Deswegen fährt der Auto-Fan in Köln ausschließlich Bahn. Deswegen wohnt er im Pantaleonsviertel, nahe dem Neumarkt. Deswegen lebt er heute überhaupt in Köln. Sicher, seine Heimat sei eigentlich der Ruhrpott, „aber Köln liegt halt so schön in der Mitte“, sagt Richter und zuckt die Schultern. Vor allem sei seine Heimat da, wo seine Familie nicht weit sei. Und seine Mutter, sieben Geschwister, zwei Ex-Frauen, seine beiden erwachsenen Kinder und Enkel leben in alle Himmelsrichtungen in Deutschland verstreut.

Im Brauhaus Weißbräu stoppt Richter nur kurz. Die riesigen Braukessel, die hier ausgestellt werden, faszinieren ihn, zu Besuch ist er eher selten. Lieber will er weiter, ins Eiscafé gegenüber. Zum besten Espresso der Stadt. „Ich weiß, wovon ich rede“, versichert Richter. „So viele Tassen, wie ich schon gesoffen habe.“

Richter hat die Tische, die unter wolkenverhangenem Himmel vor dem Café stehen, noch nicht erreicht, da legt Besitzerin Maria Hajdari schon Polster auf die Stühle. Wie oft Richter hier ist? Die 44-Jährige lächelt. „Der Ralf kommt jeden Tag. Oft auch mit der Familie.“ Sie leitet das Eiscafé mit ihrem Mann seit 15 Jahren. „Der ist ein leichter Typ“, sagt sie mit etwas Akzent noch und eilt los, um den besten Espresso der Stadt zu brühen.

Schreinerlehre als Jugendlicher

Maria ist Profi, sie ist schnell. Und doch schafft Ralf Richter es in der kurzen Zeit, die gesamte deutsche Filmbranche zum Teufel zu jagen – und ein paar andere Promis gleich mit. Heuchelei und Arroganz bringen ihn zum Kochen. Vor allem, wenn sie in Schauspielern fusionieren. Das war vermutlich schon immer so. Sein zweijähriges Studium an der Bochumer Schauspielschule beendete er jedenfalls nicht mit dem Diplom, sondern mit einem Faustschlag für einen Kollegen. „Einen hab ich umgehauen“, sagt er. „Dann bin ich auch geflogen. Mann, da gab es fast nur Schwachköpfe.“ Bis heute bezeichnet er sich als „Darsteller“, nie als „Schauspieler“. Ein Handwerk eben, nicht anders als die Schreinerlehre, die er als Jugendlicher gemacht hat.

Plötzlich bleiben Richters Augen an einem ungleichen Paar hängen, das mit Einkaufstaschen in der Hand den Laden auf der anderen Straßenseite ansteuert. „Mensch, ist die schon wieder groß geworden!“, ruft er und springt so stürmisch von seinem Stuhl auf, dass das Sitzpolster verrutscht. Die achtjährige Gina, die mit ihrem älteren Bruder Noah auf der anderen Seite steht, mag gewachsen sein. Ihr rosafarbener Rucksack ist aber fast immer noch genauso groß wie das zierliche, brünette Mädchen. Lachend läuft sie über die Straße und springt in Richters Arme. „Wir haben Zeugnisse gekriegt, Ralf!“ Vermutlich war Gina die Klassenbeste, sagt Richter, während er das Mädchen wieder auf den Boden stellt. Die Kleine nickt stolz. Richter zieht auch Noah an seine Brust. Jetzt erstmal Eis – aber nur für die Kids. Richter bestellt sich noch einen Espresso.

Die beiden sind Richters Nachbarn, er kennt die Familie gut. Mit dem zurückhaltenden Noah diskutiert er über sein liebstes Hobby: Videospiele. Wenn er bei Final Fantasy oder GTA nicht weiter kommt, ruft er den 16-Jährigen an. Der hievt ihn dann auf das nächste Level. „Ein Spezialist“, sagt Richter. Noah bringt für Richters Fertigkeiten am Joystick nicht ganz so viel Bewunderung auf: „Der Ralf spielt immer nach der Hau-Drauf-Methode“, sagt er lächelnd. „Und drückt irgendwelche Knöpfe.“