Polizist, das war sein Traumberuf. Darum begann der Kölner Simon Neumeyer eine Ausbildung bei der Polizei in Sachsen.
Doch dort kam es ganz anders, als er sich erträumt hatte. Er wurde zum Außenseiter, weil er sich die rassistischen Sprüche seiner Kollegen und Ausbilder nicht stillschweigend anhören wollte.
Simon Neumeyer zog wieder nach Köln – und hat den Mut gefunden, seine Erlebnisse zu veröffentlichen.
Hinweis: Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv und erschien zuerst am 31. Oktober 2018.
Köln – Polizist sein ist ein Traumberuf für Simon Neumeyer. Nach dem Grund gefragt, gibt er eine für seine 21 Jahre beeindruckend erwachsene Antwort: „Ich möchte gerne für die freie demokratische Grundordnung einstehen.“ Darum bewirbt sich der in Sülz aufgewachsene Neumeyer nach seinem Fachabitur am Richard-Riemerschmid-Berufskolleg 2016 in mehreren Bundesländern bei der Polizei.
Als er eine Zusage aus Sachsen erhält, zieht er, damals 19, nach Leipzig und beginnt im Herbst mit der Ausbildung. Dort merkt Neumeyer zu seinem Entsetzen sehr schnell, dass rassistische Sprüche unter seinen Anwärter-Kollegen mehr als salonfähig sind. „Sich fremdenfeindlich zu äußern, das war dort so, als würde man übers Wetter reden“, erinnert er sich. Doch schlimmer noch: Auch mehrere seiner Ausbilder äußern sich unverhohlen rassistisch: „Mein Schießlehrer hat sinngemäß gesagt, wir müssten jetzt wieder gut schießen lernen, weil so viele Gäste im Land seien“, sagt Neumeyer. Gemeint waren Flüchtlinge.
Nach der Kölner Silvesternacht 2016/2017 werden die Sprüche noch häufiger, unverhohlener. „Wir hassen alle Afrikaner“ posten seine Kollegen in ihrer Whatsapp-Gruppe. „Ein Ausbilder hat abfällig erklärt, er fühle sich gar nicht mehr heimisch in Leipzig, weil so viele Ausländer in der Leipziger Innenstadt Silvester gefeiert hätten“. Ein anderer Ausbilder spricht von Negern.
Einige von Neumeyers Kollegen fallen mit ein, johlen, applaudieren, andere schweigen. Nur Neumeyer protestiert offen – und wird damit zum gemiedenen Außenseiter. „Ich wurde als Linker bezeichnet, als unnormal. Und beim Sportunterricht hatte ich meistens keinen Partner“, erzählt er. Im Mai 2017 reicht es ihm. Er bittet um Entlassung, schiebt als Grund vor, er könne die erforderliche Leistung nicht bringen. „Ich hatte Angst vor Repressalien“, sagt er. Immerhin hätten sich ja auch seine Vorgesetzten rassistisch geäußert. Dass bei der Polizei damals niemand nachgefragt hat, ob es einen anderen Grund gibt, enttäuscht ihn bis heute.
Neumeyer zieht zurück nach Köln. Öffentlich macht er seine Erlebnisse in Leipzig nicht – bis vor zwei Wochen. Warum so spät? „Ich war zunächst damit beschäftigt, meine Zukunft zu organisieren“, sagt er. „Außerdem habe ich länger damit gehadert, ob ich davon erzähle. Aber dann habe ich mir die Frage stellt, in welchem Land leben wir, wo man sich nicht trauen kann, so etwas öffentlich zu machen.“
Er ist monatelang in Kontakt mit verschiedenen Medien, die Veröffentlichung seiner Geschichte verzögert sich aber. Also wird er am 19. Oktober selbst aktiv, stellt Screenshots rassistischer Kommentare aus der alten Whatsapp-Gruppe seiner Kollegen auf seine Instagram-Seite und fragt: „Was hält die Polizei in Sachsen eigentlich davon?“Seitdem sind die Dinge ins Rollen geraten. Medien haben seine Geschichte aufgegriffen. Der neue Präsident der Leipziger Bereitschaftspolizei Dirk Lichtenberger schreibt Neumeyer und verspricht lückenlose Aufklärung.
Nicht leicht auszuhalten sind für Neumeyer die vielen negativen Kommentare, die er im Internet über sich lesen muss. Dort kursieren neben blanken Beleidigungen unter anderem gehässige Vermutungen, dass er die Ausbildung nicht gepackt und sich die Geschichte darum ausgedacht hat.
Andererseits bekommt er auch Zuschriften von Polizisten aus ganz Deutschland. Einige, sagt er, schilderten ihm ähnliche Zustände in ihrer Ausbildung, andere gratulierten ihm zu seinem Mut.
Wo dieser Mut herrührt? „Köln hat mich geprägt“, sagt Neumeyer ohne Zögern. „Hier herrscht eine ganz andere Kultur.“ Neumeyer wohnt wieder in Sülz, studiert im dritten Semester Immobilienmanagement. Auch wenn er im Moment „sehr zufrieden“ mit seinem Studium ist: Für immer abgehakt hat er seinen Traumberuf Polizist noch nicht.
Hinweis: Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv und erschien zuerst am 31. Oktober 2018.