Buchbinder-HandwerkEin Einband für jedes Buch

Der 73 Jahre alte Bruno Mensch und seine 28 Jahre alte Chefin Sarah Stahl sprechen von einem gelungenen Generationswechsel.
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Südstadt – „Buchbinderei Mensch, hier Mensch, wie kann ich ihnen behilflich sein?“ So meldet sich eine männliche Stimme am anderen Ende der Telefonleitung. Nicht schlecht. Soviel Mensch macht neugierig. „Falls Sie über das Aussterben von traditionellen Handwerksberufen schreiben wollen, dann sind Sie hier falsch. Ich habe vor drei Jahren meine Buchbinderei samt Namen an eine junge Buchbinderin verkauft, die nach ihrer Gesellenprüfung bei mir gearbeitet hat. Sie setzt das Handwerk fort. Wenn Sie also über einen gelungenen Generationswechsel schreiben wollen, dann kommen sie vorbei, Im Ferkulum“, sagt Buchbinder Mensch.
In drei großen Schaufenstern stehen ein alter Überseekoffer mit Ledermustern, antiquarische Bücher mit bröckelnden Buchdeckeln, aber auch zahlreiche Kinderzeichnungen in bunten Aufbewahrungskassetten. Alt neben Neu auch im Inneren: historische Buchbindermaschinen in einer modernen Einrichtung und hinter der Ladentheke eine junge Frau und ein älterer Herr.
Buchbinderei mit modernem Touch
„Das ist Sarah Stahl, seit drei Jahren meine Chefin“, sagt Bruno Mensch. „Sie bringt Schwung in meine Buchbinderei, hat permanent neue Ideen. Bei mir bekam der Kunde früher eine Rolle Leder gezeigt und musste sich entscheiden. Sie hat die Beratung professionalisiert, hält Farb- und Lederproben bereit, hat Musterexemplare erstellt, die der Kunde nach Hause mitnehmen kann. Mit ihr bekam die Buchbinderei einen modernen Touch, und der Todesstoß ging an unserem Geschäft vorbei“, erzählt Mensch, der vor 20 Jahren die Werkstatt gegründet hat.
Der 73-Jährige hat das Handwerk von der Pike auf gelernt. Nach einer Lehre im Bachem-Verlag brachte er es in der Kartonagenfabrik der Firma 4711 bis zum Geschäftsführer. Als 1993 dieser Bereich abgewickelt wurde, machte Bruno Mensch sich selbstständig. „Ich bin mit Leib und Seele Buchbinder, mein Beruf ist mein Hobby. Früher schloss ich den Laden, wenn das Wetter schön war und radelte durch die Landschaft. Heute undenkbar. Das Warten auf den Kunden, der einen Prachtband in Gold und Leder bestellt, führt in die Arbeitslosigkeit, man muss sich breiter aufstellen und die digitalen Techniken ins Sortiment aufnehmen. Wenn einer sagt, «Wir brauchen eine poppige Kassette für eine Blattsammlung», dann bekommt er sie. Wenn einer die Kindergartenbilder seiner Kinder gebunden haben will, warum nicht.“
Meisterprüfung statt Studium
In Köln gibt es aktuell zwölf Buchbindereien, nur vier davon arbeiten noch handwerklich. Dazu gehört die Buchbinderei Mensch, auf deren Website zu lesen ist: „Mit behutsamer Konzentration und neugieriger Aufgeschlossenheit bleiben wir zeitgemäß am Ball beziehungsweise am Buch.“ Dieser Satz kommt von Sarah Stahl, der neuen Chefin.
Sie ist 28 Jahre alt und hat nach dem Abitur eine Ausbildung als Buchbinderin in der Fachrichtung Einzel- und Sonderanfertigung gemacht, um Buchrestaurateurin zu werden. Nach der Gesellenprüfung arbeitete die junge Frau in der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt, dann lernte sie Bruno Mensch kennen, der im belgischen Viertel seit 20 Jahren seine Werkstatt führte.„Die Vielfalt bei Herrn Mensch hat mir sehr gut gefallen. Da konnte ich nicht nur Bücher restaurieren, sondern Kunden beraten und kreativ gestalten: Etuis, Kassetten für Grafiken oder Prachtbände. Mit den leimverklebten Fingern pedantisch genau zu arbeiten, ob mit Leder, Pergament oder Goldauflage, das war mein Ding. So habe ich das geplante Studium gestrichen und stattdessen die Meisterprüfung abgelegt.“
Website und neuer Standort
Als Bruno Mensch im Alter von knapp 70 verkaufen wollte, hat sie zugegriffen. Sie kaufte die Werkstatt samt Kundenstamm und gewann den Rentner Mensch als Mitarbeiter. „Ich arbeite gerne eigenverantwortlich, kann mich gut organisieren. Die Anforderungen an einen Selbstständigen sind schon anders als an einen Angestellten, der einen festen Acht-Stunden-Tag hat. Am Monatsende muss die Kasse stimmen. Die Miete für den Laden, der Lohn für die drei Mitarbeiter, das alles muss erwirtschaftet werden, und ich muss ja auch noch davon leben“, sagt die Jung-Unternehmerin. Neue Kunden hofft sie über das Internet und vor allem durch den neuen Standort zu gewinnen. „Die alte Werkstatt im belgischen Viertel lag im Souterrain, für meinen Geschmack etwas sehr versteckt, ein Kellerloch – nein eher ein Kellerloft“, korrigiert sich die neue Besitzerin und entlockt Bruno Mensch ein gequältes Lächeln. „Hier in der Südstadt sind wir sichtbar. Das Viertel wird nach dem U-Bahn-Bau zunehmend attraktiver, hat Flair und zieht damit viele Kreative an: Künstler, Werbeagenturen und Studenten – das genau sind unsere Hauptkunden.“
Drei Schaufenster garantieren aber noch keine vollen Kassen, denn eine Buchbinderei kann nicht von der Laufkundschaft leben. Haupteinnahmequelle sind Agenturen und Fotografen, die ohne Verlag arbeiten und ihre Bilder zu großen Folianten direkt binden lassen. Museen und Grafikstudenten lassen Präsentationsexemplare oder Sammelmappen für die Examina zunehmend beim Fachmann statt im Copy-Shop fertigen. Auch kleinere Aufträge von Privatkunden, wie persönlich gestaltete Hochzeitsbücher, handgeschriebene Rezeptsammlungen oder Fotobände zu runden Geburtstagen von Oma, Tante oder Vater werden immer öfter erledigt.
Papst und Queen als Kunden
„Wir sind zwar etwas teurer als eine Online-Bestellung im Internet, dafür können wir mit dem Kunden genau festlegen, wie so ein Buch aussehen soll. Welches Leder, in welcher Farbe, mit oder ohne Verzierungen, prächtig oder schlicht, wir beherrschen das breite Spektrum zwischen Goldprägung und einfachem Druck“, sagt der Alteigentümer und fügt hinzu: „Ich habe für Papst Johannes Paul II. eine Haydn-Partitur in weißem Pergament gebunden und mit vergoldetem Schriftzug versehen. Und die Queen bekam bei ihrem Köln-Besuch eine weiße Lederkassette für eine Literflasche 4711.“ „Ich freue mich auch, wenn ich einen ganz normalen Kunden zufrieden stellen kann“, sagt Stahl. „Wenn der Freund der Freundin die Liebes-Emails ausdruckt und binden lässt, das ist für mich sehr befriedigend.“
Bruno Mensch hat in den vergangenen Jahren unter der neuen Chefin aber auch schon Kurioses erlebt. Ein Kunde wollte seine Autobiographie in seine Lieblingsjeans eingebunden haben und ein anderer brachte gleich ein Stück Kuhfell für den Einband mit.