Eingemeindung nach KölnRodenkirchen, oder: Die endlose Debatte

Das in den Jahren 1965/66 gebaute Rathaus ist mittlerweile völlig marode, ein Neubau ist seit 2008 beschlossen.
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„Wir sind heute in einer Randlage und werden auch so behandelt“, meint Dieter Maretzky. Als junger Mann hatte er sich gerade in Rodenkirchen niedergelassen und war Neuling in der Bürgervereinigung. Die Gebietsreform erlebte er hautnah. Schon damals sei er wie viele andere dagegen gewesen, sagt der 67-Jährige, der seit Jahren dem Bürgerverein vorsteht. Er lässt bis heute kein gutes Haar an der Eingemeindung. Vertragliche Versprechungen seien nicht eingehalten worden, kritisiert er. Zum Beispiel hätte das Hallenbad Rodenkirchen mit einer Sauna sowie mit medizinischen Bädern ausgestattet werden sollen. „Und wie mussten wir jetzt um den Fortbestand des Bades kämpfen!“, sagt er. Genauso habe sich die Bürgerschaft einsetzen müssen für den Erhalt der Stadtteilbibliothek und sogar für die örtlichen Friedhöfe. „Der damalige Friedhofchef wollte Zentralfriedhöfe“, erinnert sich der Bestatter Friedhelm Brodesser.
Besser als heute
Dieter Maretzky ist nicht der einzige, der der vormaligen Eigenständigkeit nachtrauert. Auch Jürgen Müller ist bekennender Kritiker. 1975 war er der erste stellvertretende Ortsvorsteher in der neuen Bezirksvertretung. Ortsvorsteher, so nannten sich die Bezirksbürgermeister damals, war Bernd Potthast, der jedoch 2009 verstorben ist. „Rodenkirchen hätte sicher kein marodes Rathaus, die Volkshochschule gäbe es noch, und ein selbstständiger Gemeinderat hätte mehr Kompetenzen“, glaubt Jürgen Müller.
März 1975: Zwei Monate nach der Eingemeindung tagt noch einmal der eigentlich schon aufgelöste Gemeinderat mit dem vorherigen Bürgermeister Heribert Mölders im Rathaus an der Hauptstraße. Unter den rund 100 Mitgliedern ist der Bürgervereinsvorsitzende Rudolph Köhl (1980 verstorben). Er wettert über den miserablen Ärzte- und Apothekennotdienst nach der Neuordnung. Bis nach Zollstock müsse man fahren, schimpft er. Befürchtet werden vor allem höhere Abgaben und Steuerpflichten. Laut damaliger Presseberichte geht es heiß her in der Sitzung. Die Gemüter lassen sich kaum beruhigen, auch wenn einige Ratspolitiker beteuern, dass künftig die Stadt Köln entsprechende Leistungen erbringen werde.
Bei einer Bürgerbefragung hatten sich 68 Prozent der damals ungefähr 40 000 Einwohner der Altgemeinde gegen die Eingemeindung ausgesprochen. Sie wollten lieber unabhängig von Köln bleiben und sich stattdessen mit Wesseling zum eigenständigen Mittelzentrum entwickeln. Die Karnevalisten hatten beim Zoch Sprüche parat wie „Für Rodenkirchen. Gegen Eingemeindung.“ Flugblätter wurden verteilt, es wurde diskutiert, es nützte nichts. Der Gebietsänderungsvertrag wurde am 1. Januar 1975 gültig und die Altgemeinde mit den Ortsteilen Rodenkirchen, Weiß, Sürth, Hahnwald, Immendorf, Godorf, Meschenich sowie Rondorf/Hochkirchen/Höningen gehörte von da an zu Köln. Dagegen waren die Ortsteile nördlich der Rodenkirchener Autobahnbrücke bereits im Jahr 1888 nach Köln eingemeindet worden. Die Bewohner in Marienburg, Bayenthal, Zollstock, Raderberg und Raderthal fühlten sich längst der Stadt zugehörig.
Die Altgemeinde wollte sich aber nicht abfinden mit der Einverleibung, und der Gemeinderat beschloss im November 1975 – wie auch Wesseling und Porz – eine Verfassungsklage gegen das Köln-Gesetz. Jedoch konnten Rodenkirchen und Porz das Oberverwaltungsgericht nicht von der wirtschaftlichen Leistungskraft und einer intakten Infrastruktur überzeugen. In Rodenkirchen fehlte etwa ein Krankenhaus. Die Eingemeindung blieb gültig. Nur Wesseling konnte sich die Rechte als eigenständige Stadt zurück erobern. „Nach der erfolglosen Klage haben wir eben die Kröte geschluckt und versucht, uns zusammenzuraufen“, sagt Jürgen Müller. Hohe Erwartungen hätten damals die Bürger der neuen Bezirksvertretung entgegengebracht. „Aber die Handlungsfähigkeit ist gescheitert am Zentralismus bei Politik und Verwaltung“, meint der 70-Jährige, der später FDP-Ratsmitglied war und sich heute als zweiter Vorsitzender im Bürgerverein Rodenkirchen engagiert. Letztlich sei mit der Selbstständigkeit ein Stück weit die demokratische Mitwirkung verloren gegangen, so sein Vorwurf. „Wie sich später gezeigt hat, wurden wie befürchtet auch höhere Steuern und Abgaben für das Gewerbe und die Bürgerschaft fällig“, sagt Karl-Heinz Daniel. Von 1969 bis Ende 1974 war er Gemeinderatsmitglied gewesen, 1997 wurde er in die Bezirksvertretung gewählt und wirkt dort bis heute für die FDP.
An die vormalige Ausrichtung nach Wesseling erinnern noch die Vorwahlnummern in südlichen Kölner Stadtteilen. Und trotzig feiert die Altgemeinde ihren eigenen Karneval mit einem eigenen Dreigestirn. Quasi als Hommage an die Zeit vor der Eingemeindung. „Wir sind keine Kölner“ sei ein Lieblingssatz der eingefleischten Altgemeindler, will Dieter Maretzky wissen. „Sie gehen immer noch ins »Dorf«, wenn sie Rodenkirchen meinen“, sagt er.
Wäre andererseits eine selbstständige Gemeinde Rodenkirchen – im Verbund mit Wesseling oder auch nicht – in der Lage gewesen, sich zu finanzieren? Hätte das Aufkommen der Gewerbesteuern gereicht? Hätte die Gemeinde neue große Baugebiete erschließen können? Zumindest Karl-Heinz Daniel ist sich da gar nicht sicher. „Rodenkirchen war damals knapp bei Kasse“, gibt der 80-Jährige zu bedenken.
Gemeinsam
„Ich kann die ganze Aufregung nicht nachvollziehen“, sagt Dagmar Nägele zur Eingemeindungsdiskussion. Seit 1975 lebt sie in Rodenkirchen und leitete mehr als 20 Jahre die Europaschule Zollstock. „Wir sind doch mit ganz Köln verwoben, wir nutzen alle die öffentlichen Verkehrsmittel, wir gehen in die Philharmonie und ins Theater, deshalb müssen wir die Einrichtungen auch gemeinsam tragen“, findet sie. Man könne sich doch nicht abgrenzen und sagen, am Ortsschild sei Schluss. Kleine Gemeinden könnten heute die ganze Infrastruktur wohl kaum finanzieren.
Nur in einem Punkt gibt sie den Kritikern recht: Die Entscheidungsbefugnis der Bezirkspolitik müsse gestärkt werden. Das findet auch der derzeitige Bezirksbürgermeister Mike Homann und fordert Rechte ein. Er sagt: „Wir brauchen keine Bürgerhaushalte, über die die Bezirksvertretung entscheiden kann. Wir brauchen eigene Kompetenzen und eigene Budgets, welche von der Gemeindeordnung ursprünglich auch zuerkannt sind“. Mit anderen Bezirksbürgermeistern arbeitet er derzeit an einer Neuordnung der Zuständigkeiten.
Informationen über die Entwicklung Rodenkirchens in den Jahren 1950 bis 1975 hat der Autor Cornelius Steckner zusammengetragen. Das Buch ist im Sutton Verlag erschienen, 95 Seiten, 18,95 Euro.