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200 Jahre Musik TongerDie letzten Hüter des Familien-Schatzes

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Tonger Header

Monika und Peter Tonger

Es ist ein Name, der den meisten Kölner wohl vertraut ist: Tonger. Generationen haben hier Instrumente und Noten gekauft. Das Unternehmen feiert in diesen Tagen sein 200-jähriges Bestehen. In ihrem wunderschönen Haus am Rodenkirchener Rheinufer hatten Peter (85) und Monika (83) Tonger zum kleinen Festakt in ihr Wohnzimmer mit herrlichem Blick auf den Rhein eingeladen. Die Kölner IHK gratulierte zu dem außergewöhnlichen Jubiläum, es wurde gesungen und Peter Tonger spielte auf dem Klavier von 1870. Hätte die IHK ihn nicht auf den Geburtstag aufmerksam gemacht, hätte er ihn fast vergessen, gibt er zu.

Genaugenommen wird hier auch nur ein Teil der Tonger-Geschichte gefeiert: der Musikverlag, der seit langem in dem Haus in Rodenkirchen beheimatet ist. Das Musikhaus Tonger an der Zeughausstraße ist außen vor. Diese beiden Zweige der Familie hatten sich nach dem Krieg 1951 getrennt, nachdem das prachtvolle Stammhaus Am Hof vollständig zerstört worden war.

Tonger Haus

Das Stammhaus Am Hof wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Zwei Stiefbrüder gingen damals getrennte Wege. Den 175. Geburtstag hatte die Familie trotzdem noch gemeinsam aufwendig in der Philharmonie gefeiert. Doch nach Insolvenz und Verkauf des Musikhauses an ein bundesweit agierendes Unternehmen ist der Musikverlag nun das letzte Gut in Familienbesitz.

Tonger verdient an Gema-Gebühren

Und das wird vom Ehepaar Tonger liebevoll gepflegt. Über die Trennung von damals wird nicht viel geredet. „Mein Vater war ein Verleger und kein Verkäufer“, sagt Peter Tonger. Doch was macht eigentlich genau ein Musikverlag? Genau wie ein Buchverlag seine Autoren sucht, wählt der Musikverleger seine Komponisten aus, erwirbt die Rechte an der Verbreitung der Werke und verdient an Tantiemen und Gema-Gebühren.

Bach und andere Klassiker sind natürlich längst von großen Verlagen besetzt. Tonger spezialisierte sich auf Karnevalslieder und populäre Chormusik. Beliebt etwa waren „Tongers Taschenalben“ im gesetzlich geschützten Querformat mit dem Aufdruck „Nimmmichmit für eine Mark“, davon erschienen 62 Bände – Gesamtauflage zwei Millionen. Dazu kamen Volksliedersammlungen und Klavier- und Geigenschulen.

Tonger hatte größten Erfolg mit Trinklied

Den größten Erfolg aber brachte der Komponist Kurt Lissmann, mit dem die Familie befreundet war. Peter Tongers Großvater entdeckte bei einem Urlaub im Schwarzwald auf einer Weinkarte den Text „Aus der Traube in die Tonne“ und gab ihn Lissmann 1955 zum Vertonen. Aus dem launigen Lied über den Kreislauf des Weines („Aus dem Glase in die Kehle und als Blut dann in die Seele“) wurde ein Riesenhit. „Da kamen Hunderte von Bestellungen von Chören aus ganz Deutschland. Jede Woche 10.000 Chorblätter“, erzählt Peter Tonger, der 1965 in den Verlag einstieg.

Tonger Album

Tonger-Notenbuch für den Männergesangverein

Lissmann blieb eine gute Einnahmequelle für den Verlag – obwohl sein Name kaum bekannt ist, gehört er zu den am häufigsten aufgeführten deutschen Komponisten. „Bei einem Schlager kennt man in der Regel ja auch nicht den Komponisten.“ Da nicht alle Mitglieder von Laienchören Noten lesen können, mussten die Lieder in der Regel recht einfach sein, eingängige Melodien haben. Tonger formuliert es so: „Da konnte natürlich kein Stockhausen rauskommen.“

Bei Tonger wurden einst Berge von Noten gelagert

Als avantgardistisches Einsprengsel nahm er dann später mit Saxofon besetzte Kammermusik ins Programm. Das hochkomplizierte Werk „Oxyton“ von Christophe Havel von 1991 etwa ist zu einem Standardwerk geworden und wird oft bei Wettbewerben gespielt. „Es ist ein multipler Schrei, der sich allmählich selbst oxidiert und entmaterialisiert“, schreibt der Komponist. Wirtschaftlich gesehen blieb diese Sparte aber nur ein „Säulchen“ des Verlagserfolgs.

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„Über jede Bestellung, jede Aufführung ist man glücklich, als wären es die eigenen Kinder“, sagt Peter Tonger. Überhaupt verlief alles familiär. In der ehemaligen kleinen Schule gegenüber des Wohnhauses in Rodenkirchen wurden über Jahrzehnte die Noten gelagert. „Berge von Noten“, die dann verpackt und verschickt wurden, erinnert sich Monika Tonger. Diese Emsigkeit ist aber längst Geschichte.

Tonger war einst Hoflieferant

1822 gründete Augustin Josef Tonger innerhalb seines Antiquitätengeschäftes eine Noten- und Buchhandlung in gemieteten Räumen gegenüber dem Kölner Dom. Sein Sohn Peter-Josef Tonger erbaute ein repräsentatives Musik- und Wohnhaus und betrieb die Musikalienhandlung nun eigenständig. 1835 erschienen die ersten Noten im eigenen Verlag. Tonger brachte 1886 die erste deutsche Musikzeitschrift heraus und war über 20 Jahre Hoflieferant Kaiser Wilhelms II.

1951 trennten sich das Musikhaus und der Verlag. Das Musikhaus wurde nach mehrmaligen Umzug und Insolvenz an ein bundesweites Unternehmen verkauft und hat seinen aktuellen Sitz in der Zeughausstraße.

Heute gibt es Kopien und Print on demand, da braucht niemand mehr große Lagerflächen. Das Versenden der Noten hat das Ehepaar schon vor einiger Zeit an einen Großsortimenter übergeben. Nur manchmal bearbeitet Peter Tonger die Bestellungen noch selbst am Computer. Ein Musikprofessor wählt in Absprache mit dem Ehepaar von Zeit zu Zeit noch neue Werke zum Verlegen aus.

Noten sind auch eine Altersversicherung

Die Kinder der Tongers werden den Verlag nicht weiterführen, sie haben längst andere, sicherere Berufe. Der Name Tonger steht aber weiterhin auf den Noten. Und das bringt dem Ehepaar auch heute noch Erträge aus Tantiemen und Gebühren. Von „Aus der Traube in die Tonne“ gibt es jährlich noch 400 von der Gema abgerechnete Aufführungen, erzählt Peter Tonger. Die Noten sind damit auch so eine Art Altersversicherung.