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Schauspieler Denis Moschitto im Interview„Der Knall der Bombe hat mich geweckt“

Lesezeit 8 Minuten

Moschitto spielt im Film den Freund und Anwalt der Frau, die ihre Familie verloren hat.

Herr Moschitto, in Fatih Akins Drama „Aus dem Nichts“, in dem der Terror des rechtsextremen NSU aufgearbeitet wird, spielen Sie den Anwalt einer Frau, deren Mann und Kind bei einem Nagelbombenattentat ermordet wurde. Zu den NSU-Anschlägen haben Sie auch einen ganz persönlichen Bezug.

Moschitto: Ich habe im Jahr 2001, als auf einen iranischen Lebensmittelladen in der Probsteigasse ein Bombenanschlag verübt wurde, gleich in der Nachbarschaft gelebt: Von dem Knall bin ich seinerzeit wach geworden. Ich habe in dem Laden regelmäßig eingekauft und wunderte mich, wie wenig die Menschen nach dem Anschlag darüber redeten. Man hat das irgendwie weggeschwiegen. Man weiß bis heute nicht, ob der Anschlag auf den NSU zurückgeht, aber er wird längst auch einem rechtsextremen Umfeld zugeordnet. Wie lange es gedauert hat, bis die Ermittler auf diese Spur gekommen sind, fand ich überraschend.

Hatten Sie als Vorbereitung auf Ihre Rolle Kontakt zu Anwälten aus dem NSU-Prozess?

Der Anwalt Andreas Thiel hat uns beraten. Er kennt viele Anwälte, die für den NSU-Prozess arbeiten. Fatih (Akin, der Regisseur, die Red.) war auch einige Male beim Prozess.

Was haben Sie gedacht, als ein rechtsradikaler Hintergrund auch für das Nagelbombenattentat auf der Keupstraße zunächst ausgeschlossen wurde, was sich Jahre später als fataler Fehler entpuppte?

Mein Vater kommt aus Sizilien, meine Mutter aus Ostanatolien. Durch mein Aussehen hätte ich genauso gut Opfer des Anschlags sein können, das ging mir schon durch den Kopf. Mich haben die Anschläge aber genauso getroffen wie die meisten Deutschen auch. Der eigentliche Skandal war ja, dass so viele offene Fragen geblieben sind, dass einige der Opferfamilien als Täter vermutet und ein zweites Mal traumatisiert wurden.

Aber Sie haben nicht am Rechtsstaat gezweifelt, wie so viele auch der Kölner Opferfamilien?

Ich glaube immer erstmal an das Gute im Menschen. Ich habe immer gedacht: Es sind Fehler gewesen, es war menschliches Versagen. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt: Es sind so viele Fehler gemacht, Akten geschreddert, Unschuldige beschuldigt worden, dass ich inzwischen glaube, dass menschliches Versagen dafür nicht ausreicht – da war auch Boshaftigkeit im Spiel.

Schauspieler Denis Moschitto beim Interview in seiner Heimatstadt Köln

Mindestens in Form von Alltagsrassismus, der bei den Ermittlungen offen zutage trat, oder?

Ich versuche, auch dafür Verständnis dafür aufzubringen. Wenn ich deutsch-deutschen Freunden erzähle, wie oft ich kontrolliert werde, dann sind die überrascht. Ich wurde schon mindestens fünf oder sechsmal von der Polizei irgendwo gefilzt in den vergangenen Jahren. Wenn man nicht in so ein Profil passt – dunkle Haare, vielleicht Moslem – passiert einem das wahrscheinlich nur ein oder zweimal im ganzen Leben. Andererseits muss man ja irgendwo ansetzen – wenn man zum Beispiel an den islamistischen Terror denkt. Die Gertrud auf der Straße wird natürlich eher nicht durchsucht. Aber es bleibt perfide, dass bei den NSU-Ermittlungen viele der Opfer über einen so langen Zeitraum als verdächtig galten.

Im Film wird auf das Leid der Opfer fokussiert, das dann durch einen in dieser Form schwer vorstellbaren Freispruch noch verstärkt wird. Angenommen, die Angeklagten im wirklichen NSU-Prozess müssen lange ins Gefängnis – wäre das eine Form von Gerechtigkeit?

Man hat oft einen verklärten Blick auf das, was Gerichte zu leisten haben. Gerechtigkeit kann man nicht herstellen, das Wort ist viel zu groß. Der Schaden ist passiert. Kein Gericht kann etwas wiedergutmachen, das kann man von Gerichten auch nicht einfordern.

Ressentiments begegnen fast allen Menschen, die irgendwie ausländisch aussehen.

Ist Ihnen das häufiger passiert in den vergangenen Jahren, seit den islamistischen Terroranschlägen von Paris und Brüssel, seit der Kölner Silvesternacht?

Durch vermehrte Kontrollen der Polizei, an Flughäfen und Bahnhöfen, ja. Ressentiments gab es aber immer. Es gibt immer noch einige, die überrascht sind, dass ich Deutsch spreche, die sagen: „Sie sprechen ja sehr gut Deutsch.“ Was ich allerdings wirklich problematisch finde: Türken leben seit 60 Jahren in diesem Land, und die meisten Deutsch-Deutschen sind nicht in der Lage, türkische Namen richtig auszusprechen. Dass sich die Türken anpassen, ist richtig und wichtig. Aber die Ignoranz, Namen falsch auszusprechen, sei es bei Özgür ein „z“ auszusprechen oder bei Fatih kein „ch“, ist eine Ignoranz, die mich ärgert.

In Köln gab es immer sehr aktive Bewegungen gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Die AG Arsch huh gibt es seit 25 Jahren, und um der NSU-Opfer zu gedenken, wurde Birlikte ins Leben gerufen. Ein gutes Zeichen oder auch ein bisschen Verklärung und Folklore?

Von allem ein bisschen natürlich, aber ich finde es wunderbar, dass Köln immer Flagge gegen rechts gezeigt hat, mehr als andere deutsche Städte. Leute umzubringen, führt nie zu dem Ergebnis, dass man erreichen will. Es erschafft Märtyrer, es erzeugt einen unheimlichen Gegendruck. Wenn die NSU-Mörder gewusst hätten, dass ihre Bombe auf der Keupstraße bewirkt, dass es danach irgendwann Straßenfeste gibt, bei denen alle Menschen zusammenkommen – vielleicht hätten sie es dann nicht getan. Ich finde es auf jeden Fall schön, dass es diese Reaktionen gibt. Und die Feste werden bleiben.

Man kommt einmal im Jahr zusammen und feiert, sonst bleibt man aber meistens getrennt.

Wenn man die Debatte um einen autokratischen Regierungschef wie Erdogan betrachtet, den viele türkischstämmige Menschen in Deutschland unterstützen, befürchtet man: Es wird künftig eher mehr Parallelgesellschaften geben als weniger. Wie sehen Sie das?

Nicht so optimistisch. Ich habe mal eine Doku gesehen über türkische Gangs in den 80er Jahren. Da sah man diese jungen Macho-Türken mit ihren Männersprüchen. Die haben allerdings alle Deutsch gesprochen. So war es in Bickendorf auch: Ich bin mit Straßendeutsch großgeworden, Asi-Slang, den ich mir dann irgendwann wieder abtrainieren musste für die Arbeit. Inzwischen sprechen wieder mehr Jugendliche Türkisch oder Arabisch. Die Generation der jungen Türken und Araber fühlt sich viel mehr der Kultur ihrer Eltern zugehörig. Die stellen sich hin und sagen, sie sind Türke oder Araber, sind aber Deutsche. Das ist erschreckend. Die Frage ist: Woran liegt das? Warum suchen sie diese Identität?

Und, woran liegt das?

Viele wurden nicht eingeladen. Fatih Akin ist in Hamburg eine Institution geworden – aber das hat ihm keiner gegeben, das hat er sich genommen. Junge Menschen mit Migrationshintergrund müssen verstehen, dass sie nicht auf eine Einladung warten dürfen. Sie müssen sich das nehmen, erobern. Kultur machen, Musik, was auch immer.

Wenn Sie sagen, „die müssen sich das nehmen“, bin ich schnell wieder bei der Macho-Kultur, bei der unseligen Silvesternacht – da ploppen schnell Stereotype auf. Wie haben Sie das in Bickendorf damals erlebt – und wie können junge Männer, die in ihrer Heimat ihre Schwestern oder Mutter anherrschen durften, lernen, dass das in Deutschland nicht ok ist?

Wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke: Ich wusste nicht, wer ich bin. Ich war jung, redete groß daher, aber es war natürlich wie bei den meisten alles Fassade. Es fehlte die Lebenserfahrung, um eine eigene Meinung zu haben, deswegen zog man sich Meinungen einfach an. Eine ganz gefährliche Phase. Gewalt, dieser ganze Männlichkeitsblödsinn, man ist sehr empfänglich dafür. Ich habe selbst eine Zeit lang in Bickendorf auf der Straße gesessen und wusste nicht, was ich eigentlich machen soll. Aus meinem Bekanntenkreis sind einige abgedriftet.

Was hat Sie davon abgehalten?

Ich hatte gute Vorbilder und Eltern, die sich gekümmert haben. Mein Vater war bei der Bahn, meine Mutter Putzfrau, sie hatten kaum Bildung und wollten unbedingt, dass meine Schwester und ich das Maximum mitbekommen. Viele Eltern, die hierhin kommen und die Sprache nicht können, sind total überfordert. Gewalt war außerdem nie mein Ding, ich war klein und eher schwach – Gewalt und Aggression fand ich immer unangenehm. In den Gangs musste man so tun, als fände man das cool, das konnte ich nie.

Welche Rolle spielt es für Ihr Leben, dass Ihre Eltern aus Italien und der Türkei kommen?

Schon eine große. Ich wurde oft in der Rolle des Kanaken, des dummen Murats, besetzt, irgendwann habe ich die Angebote dann abgelehnt. Ich werde öfter gefilzt als andere, manchmal gibt es distanzierte Blicke. Ich fühle mich sehr Deutsch, habe aber eine Nähe zur Türkei und zu Italien. Eigentlich ein großes Privileg.

Über Denis Moschitto

Denis Moschitto (40), Sohn eines Italieners und einer Türkin, wuchs in Bickendorf auf. Durch Filme wie „Verschwende deine Jugend“, „Süperseks“, „Kebab Connection“ und „Chiko“ wurde er bekannt. In Fatih Akıns Kurzfilm „Der Name Murat Kurnaz“ spielt er Kurnaz. Für sein Rolle in „Chico“ erhielt er 2009 beim Deutschen Filmpreis eine Nominierung in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“. Moschitto lebt in Köln.

Über den Film

In dem Thriller „Aus dem Nichts“ von Regisseur Fatih Akin explodiert ähnlich wie auf der Kölner Keupstra0e im Jahr 2004 eine Nagelbombe. Im Film sterben bei dem Attentat ein Mann und sein Sohn, die Handlung kreist um die Witwe, gespielt von Diane Kruger, und die Gerichtsverhandlung gegen die zwei rechtsradikalen Täter. „Aus dem Nichts“ wurde als deutscher Kandidat für den Oscar 2018 vorgeschlagen. (uk)