Der AnnenMayKantereit-Schlagzeuger nutzt die einjährige Bandpause für ein musikalisches Soloprojekt. Ein Gespräch über Musik, Köln und Berlin.
Severin Kantereit„Mit gutem Brot wird man in Köln groß, das gibt es in Berlin leider nicht“
Vom maximalen Lärm in die absolute Stille: Nachdem AnnenMayKantereit 2023 auf großer Festival-Tour waren und im Rhein-Energie-Stadion das größte Konzert ihrer Karriere spielten, tauchte die Kölner Band ab. Schlagzeuger Severin Kantereit ist jetzt wieder aufgetaucht: mit seinem ersten Soloprojekt. „Wir machen seit zehn Jahren zusammen Musik und waren immer im Vollgasmodus. Nach dem großen Finale im letzten Jahr haben wir uns gesagt: Ein Jahr keine Konzerte zu spielen, tut uns mal ganz gut“, erklärt er die Bandpause.
Der 32-Jährige hat die Auszeit genutzt, um seine erste Solo-EP, schlicht ep#1 genannt, unter seinem Nachnamen „Kantereit“ zu veröffentlichen. Mit dem deutschsprachigen Pop seiner Band haben die vier Songs wenig gemeinsam: Sie sind deutlich elektronischer, minimalistischer und bei aller Club-Tauglichkeit etwas melancholieumweht. „Definitiv mehr nach vorne“, sagt Kantereit, der in seinem Berliner Studio alles selbst eingespielt hat, Synthesizer, Gitarre, Bass und Klavier.
Die englischen Texte kommen enorm reduziert daher – eine Zeile oder ein Satz pro Song, mehr nicht. In der Single „control“ singt Kantereit über Gefühle und Erinnerungen, die sich gerade nicht kontrollieren lassen, die plötzlich da sind, wenn man etwas riecht oder hört. „Manchmal ist es schön, nicht die Kontrolle zu haben, manchmal tut es auch ein bisschen weh“, sagt er. Viele Stunden ganz allein in seinem Berliner Studio hat er hinter sich – was er gerne mag.
Er mag es auch, Entscheidungsfreiheit über alle kreativen Prozesse zu haben, ohne Band-Demokratie. Apropos Berlin: Da lebt Kantereit schon seit einigen Jahren, auch wenn er immer noch häufig in Köln ist. „In Berlin ist alles ein bisschen anonymer, da werde ich seltener erkannt“, sagt er. Wenn er in Köln sei, gehe er immer zu einem guten Bäcker. „Mit gutem Brot wird man in Köln groß, das gibt es in Berlin leider nicht. Ein gutes belegtes Brötchen zu finden ist schwer, da gibt es vor allem Schrippen. Berlin hat keine Bäckerkultur wie in Köln.“ In Köln sieht er dafür bei Fahrradwegen noch viel Luft nach oben.
Kantereit, der in Sülz aufgewachsen und wie seine Bandkollegen aufs Schiller-Gymnasium gegangen ist, hat seinen kölschen Vornamen übrigens von einer Kölner Prominenz. „Als meine Mutter schwanger war, waren meine Eltern auf dem Konzert von Wolfgang Niedecken, der einen Song seinem Sohn Severin gewidmet hat. Die beiden haben sich angeguckt und gesagt: Schöner Name.” Niedecken habe er die Geschichte erzählt, als der AnnenMayKantereit einmal im Proberaum besuchte: „Das fand er natürlich sehr witzig und schön”.
Ob die Bandpause auch eine Strategie ist, sich nicht auf den Keks zu gehen auf Dauer? „Ja, natürlich auch das”, sagt Kantereit. „Aber ich vermisse die Gemeinschaft, das ist schon immer etwas Besonderes. Auf Tour zu sein, gibt mir ein Klassenfahrt-Gefühl. Gleichzeitig muss man immer professionell mit sich haushalten, um gesund zu bleiben.“
Fürs 2025 stehen bei AnnenMayKantereit schon ein paar Festivals an, wann ein neues Album erscheint, ist offen. Solo-Konzerte hat Kantereit noch nicht geplant: „Ich habe total Lust darauf. In den nächsten Jahren will ich mir aufbauen, auch live spielen zu können, muss das aber erst einmal entwickeln und üben. Ich hoffe auch, dass mein Soloprojekt parallel zur Band bestehen kann.“ Seine Schwester, die ebenfalls in Berlin lebt, legt als DJane unter dem Namen „Rosa Kante“ auf. Mit ihr zusammen in Köln im Odonien aufzutreten, könnte er sich gut vorstellen. „Ich war in Köln schon lange nicht mehr so richtig tanzen.“