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SexualitätLiebesspielzeug beim Seniorentreff

Lesezeit 5 Minuten

Vor der Aufklärungsstunde: Die Seniorenrunde stärkt sich mit Kaffee und Brötchen, Wolfgang Schmolke (r.) ordnet sein Sortiment.

15 ältere Damen und ein Herr mit weißen Haaren sitzen im Gemeindehaus der evangelischen Kirche in Dünnwald, trinken Filterkaffee, essen Salamibrötchen und schauen konzentriert an einem jungen Mann vorbei. Der ältere Herr in der Frühstücksrunde heißt Helmut, ist 81 Jahre alt und im Schlepptau seiner Frau Rosi (79) zum Seniorenfrühstück gekommen. „Bei uns ist das Thema Sex eigentlich durch“, wird Helmut nach dem Vortrag „Liebesspielzeug heute, Information und Diskussion“ sagen. „Es geht uns eher um Zärtlichkeit.“ Eine Frau mit braungefärbten Haar steht auf und verabschiedet sich. „Das muss ich mir nicht antun“, sagt sie. „Ich bin doch nicht betroffen!“ Der Mann, den die Senioren nicht beachten, drapiert weiter Gummidildos und Liebeskugeln auf einem Tisch.

Als Andreas Dresen in seinem Film „Wolke 9“ vor sechs Jahren alte Menschen zeigte, die miteinander schliefen, ist auf den Kultur- und Wissensseiten der Zeitungen ein paar Wochen über Sex im Alter geschrieben worden; schnell ist die Debatte wieder verebbt. „Die Gesellschaft redet nicht darüber, dass auch alte Menschen körperliche Bedürfnisse haben“, sagt Katharina Nüdling vom Kölner Seniorennetzwerk.

Um das zu ändern, hat Katharina Nüdling Wolfgang Schmolke ins Gemeindehaus eingeladen. Schmolke ist 38 Jahre alt, sportlich, selbstbewusst, trägt Turnschuhe und Designerbrille. Er ist Inhaber einer Firma, die „erotische Lifestyleprodukte“ verkauft.

„Gut kochen, betüddeln“

Er hat ein beachtliches Sortiment aufgebaut, an den Tischen wird getuschelt. „Wir haben ja fast alle keinen Partner mehr, aber ich würde nie eine Anzeige aufgeben oder so“, sagt eine Dame mit kurzer Dauerwelle und strengem Lidstrich. Bei den 80- bis 89-jährigen Menschen kommen auf drei Frauen nur eineinhalb Männer. „Viele von uns haben einen Freund, leben aber in getrennten Wohnungen. Wir versuchen, uns ein gutes Leben zu machen“, sagt die Frau. Sich ein gutes Leben machen, das heißt für die Frau, die ihren Namen lieber nicht nennen mag: „Die Männer verwöhnen. Das wollen sie ja alle.“ Verwöhnen bedeutet für sie: „Gut kochen, betüddeln.“

In Schmolkes Branche verbindet sich mit dem Wort „verwöhnen“ in der Regel etwas anderes. Er begibt sich vor den Tisch mit dem Sexspielzeug und stellt sich vor: Wirtschaftsinformatiker ist er, Unternehmensberater – und Inhaber der Firma Lifestylebroker. „Das lässt sich mit Lebensgefühlvermittler übersetzen. Wir verkaufen sinnliche Spielzeuge.“

Um das Eis zu brechen, versucht Schmolke es beim Seniorentreffpunkt mit einem Vergleich: „Ich gehe auch auf Homepartys und in Swingerclubs, um die Produkte vorzustellen, das ist so ähnlich wie bei Tupper-Partys. Die kennen sie doch, oder?“ Nicken. „Was mich aber erst einmal interessieren würde: Was verbinden Sie mit Liebesspielzeug?“ Schweigen. „Nichts, gar nichts? Das glaube ich nicht!“ „Im Kopf hat man schon was“, kommt es von einem der Kaffeetische. „Aber, wissen Sie, wir sind alt und für ihre Begriffe sehr konservativ.“ „Gibt es denn Berührungspunkte mit dem Thema?“, fragt Schmolke. „Im Geheimen vielleicht“, sagt die 88-jährige Sonja. „Aber da wird nicht so drüber gesprochen.“

Schmolke holt einen Massagestab heraus. „Das Gerät vibriert“, sagt er, „und ist irgendwann zweckentfremdet worden.“ In den Blicken einiger Senioren ist Belustigung zu sehen, zwei Damen jedoch verlassen wortlos den Raum. Der Unternehmer erzählt, welche Dildo-Größe am häufigsten gekauft werde („Die Normalgröße“), bevor er mit der Frage, ob schon einmal jemand aus der Runde etwas im Internet bestellt habe, einen weiteren Eisbrecher-Versuch startet – und scheitert. „Ne, grundsätzlich nicht.“ Beim Anbieter Amazon, referiert Schmolke, gebe es 21326 Vibratoren. Allein sein Unternehmen mache eine Million Umsatz mit Liebesspielzeugen.

„Es gab Bedenken, die Veranstaltung im Schaukasten auszuhängen“, sagt Thomas Krall, der Pfarrer der evangelischen Gemeinde. „Wir haben es dann aber doch gemacht.“ Im Nachhinein finde er das gut, obwohl die Rückmeldungen durchwachsen waren. „Über Sexualität im Alter wird ja wenig gesprochen außerhalb der Medien. Es wird eher wieder mehr zum Tabu.“ Bedenken wegen des Inhalts der Veranstaltung hatte Krall nicht – „nur, ob es zu gewerblich sein könnte“. Wohl umsonst: es will niemand etwas kaufen.

Schmolke will ein Sex-Museum eröffnen

Ob er denn noch ein paar Spielzeuge zeigen solle oder nicht? „Ja, wo wir jetzt schon da sind, bitte“, sagt Christa. „Und wie viel es kostet, könnten Sie auch sagen“, sagt die Frau mit den Locken lachend. Schmolke zeigt und erklärt Gleitcremes und Öle, bevor er Dildos und Liebeskugeln rumreicht. „Sie können zur Stimulation und zum Beckenbodentraining eingesetzt werden“, sagt der Unternehmer. „Das ist das einzige Produkt bislang, das uns betrifft“, sagt die Gelockte amüsiert. „Hat er die Sachen, die er uns verticken will, alle selbst ausprobiert?“, fragt halblaut eine andere.

Die Atmosphäre hat sich entspannt. Zeit für Schmolke, sich in Richtung Kultur zu bewegen: Er will in Köln ein Sex-Museum eröffnen. „Würden Sie da hingehen?“ „Das ist ja eher kein museales Thema“, sagt eine Frau. „Wenn es nicht schmuddelig wäre und es um die Kulturgeschichte von Sexualität ginge, warum nicht?“, eine andere. Als Schmolkes Sexreferat endet, plätschert höfliches Klatschen durchs Gemeindehaus. „Wir sind ja damals nicht aufgeklärt worden und haben nur gesagt bekommen: Wehe du kommst mit einem Kind nach Hause“, sagt Sonja. „Und Mädchen, die ein uneheliches Kind bekamen, wurden geächtet.“ Schmolke lacht. Es wundere ihn, dass der Aufklärungsunterricht in der Schule heute noch „fast genauso abläuft wie vor 20, 30 Jahren“, sagt er.

Beim Seniorenfrühstück wäre Aufklärung in Schmolkes Stil vor 20 Jahren nicht denkbar gewesen, glaubt Pfarrer Krall. „Es ist gut, dass wir heute über alles reden.“ Der Sexualwissenschaftler Volker Sigusch bemängelt seit Jahrzehnten, wie „unterentwickelt unser Sexualleben ist“. Das sehe man schon daran, dass viele Paare „nicht darüber sprechen können, was sie eigentlich begehren und was ihnen unangenehm ist“. Der 88-jährigen Sonja jedenfalls hat der Vortrag im Gemeindehaus ganz gut gefallen. Sie sagt: „Es ist doch interessant, was unsere Enkel und Urenkel vielleicht so interessiert.“