Tausende Landwirte gehen am Montag gegen Kürzungspläne der Bundesregierung auf die Straße. Von rechten Umsturzfantasien distanzieren sie sich – zumindest die meisten.
„Die Auflagen schnüren uns die Luft ab“So liefen die Bauernproteste in Köln und der Region
Es hat ein bisschen was von gewonnenem Weltmeisterschaftsfinale, als die Traktoren, Lastwagen und Autos hupend über die Luxemburger Straße in die Kölner Innenstadt ziehen. Viele von ihnen sind mit Deutschlandfahnen versehen, immer wieder applaudieren Passanten, die am Straßenrand stehen und recken die Daumen nach oben. Doch nicht nur Flaggen haben die Landwirte an ihren Traktoren angebracht. Plakate mit Parolen wie „Die Ampel muss weg“, „Ohne Landwirtschaft wärst du hungrig, nackt und nüchtern“ oder „Finger weg vom Agrardiesel“ zeigen, worum es den Bauern an diesem Tag wirklich geht.
Etwa 700 Fahrzeuge sind am Montag, zum Auftakt der bundesweiten Bauernproteste auf den Straßen Kölns unterwegs, deutlich mehr als die im Vorfeld angemeldeten 120. Einer von ihnen ist Severin Nesseler. „Es geht nicht nur um den Agrar-Diesel“, sagt der 24-Jährige um kurz nach 9 Uhr, als er mit seinen Mitdemonstranten vor seinem Traktor auf einer Landstraße irgendwo in der Nähe von Hürth auf das Signal zum Aufsatteln wartet. „Die Streichung der Subventionen hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht.“
In der ganzen Region legen Bauern den Verkehr lahm
Nesseler studiert Agrarwissenschaft in Bonn. In ein paar Jahren will er eigentlich den Hof seines Vaters im Kölner Norden übernehmen. Doch mittlerweile fragt er sich, ob es den Betrieb überhaupt noch gibt, wenn er an der Reihe ist. „Ich glaube, jeder Landwirt würde gerne auf Diesel verzichten, doch für uns gibt es keine Alternative“, sagt Nesseler.
Und weiter: „Wir haben extrem hohe Umweltauflagen. Die sind teilweise auch berechtigt. Aber wenn wir diese Standards einhalten wollen, können wir auf dem Weltmarkt ohne Hilfen nicht mit anderen Ländern konkurrieren.“ So wie Nesseler sehen das auch viele andere der Landwirte hier. Umweltstandards, eine überbordende Bürokratie und nun die Streichung der Subventionen beim Agrardiesel: „Die Auflagen schnüren uns die Luft zum Atmen ab“, sagt einer.
Spätestens als der Trekker-Zug den Barbarossaplatz kreuzt, liegt der Innenstadtverkehr lahm. Als die Kolonne von Deutz aus wieder über die Severinsbrücke zurückfährt, sind auf der anderen Straßenseite immer noch Traktoren zu sehen, die ebenfalls zum Protestzug gehören. Auch viele Straßenbahnen kommen nicht mehr durch und stellen ihren Betrieb ein.
Ähnlich sieht es am Montag auch in der Region aus. Tausende Bauern fahren durch die Städte und Dörfer, um gegen die Agrar-Politik der Bundesregierung zu protestieren. Im Rhein-Erft-Kreis legen sie den Verkehr in Bedburg, Wesseling und Hürth lahm. Zeitweise hatten Landwirte die Zufahrten zur A 555 in Wesseling blockiert. Im Oberbergischen Kreis sind achthundert Demonstranten unterwegs. Mehr als 400 von ihnen hatten sich mit Traktoren auf den Weg nach Gummersbach gemacht. Eine Strafanzeige schrieb die Polizei in Waldbröl. Dort hatten sich etwa 100 Personen mit ihren Traktoren versammelt, um gemeinsam nach Gummersbach zu fahren. Diese Versammlung war zuvor nicht angemeldet worden.
Bauern haben in Köln und der Region Sympathien auf ihrer Seite
Ähnliches geschah im Rhein-Sieg-Kreis, dort blockierten Traktoren in Hennef, Sankt Augustin und Troisdorf die Auffahrten auf die A 59 und 560, in Ruppichteroth und Much die Hauptstraßen. Weil aber nicht alle Protestaktionen angemeldet gewesen seien, kam es laut Polizei zu Strafanzeigen gegen Unbekannt.
Ein Protestzug mit 55 Traktoren rollte durch Leverkusen und Leichlingen zu den lokalen Parteizentralen. Dort hinterließen die Bauern Protestbriefe, die in Gummistiefeln steckten. Die Verkehrsbehinderungen hielten sich in Grenzen, dennoch waren die Traktoren in fast allen Stadtteilen gut sichtbar und erhielten meist Sympathiebekundungen.
In Euskirchen solidarisierten sich zahlreiche Handwerker und Privatpersonen mit den Bauernprotesten – ob als aktive Teilnehmer der Fahrten, mit Transparenten am Straßenrand oder hochgereckten Daumen und hupend, wenn sie in die Demo-Fahrten geraten. Mit ihren Traktoren verlangsamten sie in den Morgenstunden den Verkehr auf den wichtigen Achsen im Kreis. Rund um die A1-Anschlussstelle Blankenheim und auf der B51 ging zeitweise nichts mehr, wegen des Rückstaus wurde die Autobahn gesperrt.
Im Rheinisch-Bergischen Kreis waren hunderte Trecker – aber auch viele normale Pkw – unterwegs, um gegen die Kürzungen der Regierung für die Bauern zu demonstrieren. In den frühen Morgenstunden wurden Autobahnauffahrten an der A1, A3 und A4 zeitweise blockiert. Die Betroffenen nahmen es meist mit Gelassenheit. Ein Zuschauer rief den Protestierenden zu: „Ihr seid die Geilsten.“ In Bergisch Gladbach ging es zu den Parteizentralen von FDP, SPD und CDU. Dort wurden Mistkübel abgeliefert.
„Der Bauer macht den ersten Zug und am Ende fällt der König“
Auch in Köln haben die Landwirte die Sympathien wohl zu großen Teilen auf ihrer Seite. Eine Autofahrerin, die am Barbarossaplatz nicht weiterkommt, sagt: „Sie haben jedes Recht zu streiken. Ich finde das nachvollziehbar. Auch, wenn ich zu spät zur Arbeit komme.“ Ein Arbeiter auf einer Baustelle lässt die Hupe seines Baggers ertönen und lächelt Richtung Traktorkolonne, als sie an ihm vorbeizieht.
Es gibt aber auch andere Stimmen. Eine Anwohnerin in der Nähe der A3-Auffahrt in Köln ärgert sich über den Protest: „Es ist gerade nicht möglich rauszugehen oder Tür oder Fenster zu öffnen, weil die Dieseldämpfe so extrem sind, dass man sofort Kopfschmerzen bekommt.“ Sie scheint mit ihrem Ärger am Montag aber in der Unterzahl zu sein.
Landwirt Hensen aus Bergheim: „Wer das Wahlprogramm der AfD gelesen hat, weiß, dass die jede Subvention für die Landwirtschaft abschaffen wollen.“
Im Vorfeld der Protestwoche warnte unter anderem das Bundeskriminalamt davor, dass die Proteste von Rechtsextremen und Querdenkern unterwandert werden könnte. Eine Menschenmenge hatte außerdem am Donnerstag in Schlüttsiel eine Fähre blockiert, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) befand.
Auch Habeck warnte am Montag noch vor „Umsturzphantasien“ von Rechten, die sich unter die Demonstranten mischen könnten und sagte: „Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten.“ In Leverkusen etwa hatten Rechtsextreme angekündigt, an der Protestfahrt teilnehmen zu wollen; die Organisatorin der Leverkusener Protestfahrt stellte aber klar, dass deren Teilnahme unerwünscht sei. Sichtbar und eindeutig erkennbar waren sie am Montag im Korso durch Leichlingen und Leverkusen deshalb nicht. Auch die Bauernverbände distanzierten sich von Rechtsextremismus.
So auch Johannes Hensen, Landwirt aus Bergheim. Er und viele andere bei der Demonstration in Köln wollen mit Extremisten nichts zu tun haben: „Man hat bei jeder großen Demonstration Spinner dabei. Aber wer das Wahlprogramm der AfD gelesen hat, weiß, dass die jede Subvention für die Landwirtschaft abschaffen wollen. Damit ist eigentlich alles gesagt.“ Auch die Aktion vor der Fähre lehnt Hensen stellvertretend für viele hier ab: „Hinter solchen Aktionen steht hier keiner.“ Viele Landwirte haben Aufkleber mit dem Slogan „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“ an ihre Traktoren geklebt.
Eine Minderheit der Demonstranten sieht das aber offenbar anders. In Deutz reiht sich ein Pick-up mit Deutschlandfahne und Galgen auf der Ladefläche ein. Aufgehängt am Galgen ist eine Ampel. Ein Handwerker sagt: „Ich habe gegen niemanden etwas, der hier mitläuft. Es kann kommen, wer will, auch von Rechts“. Und schiebt hinterher: „Der Bauer macht den ersten Zug und am Ende fällt der König.“ Eine Distanzierung von Umsturzversuchen klingt anders. (unter anderem mit: rar, lth, und rha)