Der Schweizer Jack Schmuckli steuerte 23 Jahre lang aus Köln die Geschicke des Sony-Konzerns in Deutschland und Europa. Er galt als fordernd, fair, pragmatisch und gebildet. Ein Nachruf.
Lieber Kunst als Karneval Wie Jack Schmuckli von Köln aus 23 Jahre lang die Sony-Geschicke steuerte
Selten kam der - im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts absolut mehrheitsfähige - Macho in Jack Schmuckli durch. Es gab Sätze, bei denen seine Chefsekretärin lieber weghörte; und dass der Sony-Chef kühl sein konnte, wenn es um Machtkämpfe mit ehrgeizigen Vorstandskollegen und anderen Führungskräften ging, wissen seine Weggefährten sehr wohl.
Wenn allerdings der langjährige Sprecher, die Assistentin und ein Manager ein halbes Leben später noch sagen, dass dieser Jack Schmuckli ein äußerst feiner Mensch gewesen sei, als Chef hart und fordernd, aber auch empathisch, offen und fair, gebildet und großzügig, liegt das eher nicht an ewig fortbestehendem Korpsgeist.
„Einen guten Typen, der nicht hintenrum handelte, sondern Dinge direkt ansprach“, nennt ihn Peter Hoenisch, ab Mitte der 1970er Jahre Kommunikationschef von Sony Deutschland, der Jack Schmuckli noch wenige Tage vor dessen Tod am 16. November 2022 am Zürichsee besuchte. Hoenisch fällt ein, wie der Personalleiter einen Mitarbeiter anschwärzte. „Schmuckli hat sofort gesagt: Dann holen wir den doch mal her und klären das. Was dann auch gemacht wurde.“
Natürlich, sagt Schmucklis ehemalige Chefsekretärin und Assistentin Carmen Feuersenger-Stone, „Machosprüche hat es auch gegeben“, das sei in vielen Vorstandsrunden üblich gewesen.
Jack Schmuckli förderte Frauen - ungewöhnlich für die Zeit
Ein prototypischer Macho sei Schmuckli freilich nicht gewesen, sagt Carmen Feuersenger-Stone. Sie hat in Erinnerung behalten, dass er „Menschen fair behandelt“ habe und „unglaublich schnell begeistern“ konnte. Frauen habe er „gefördert und das Gleiche zugetraut wie Männern, das konnte man damals beileibe nicht von jedem sagen“. Schmuckli habe die Frauen der leitenden Angestellten auch zu Management-Meetings und Weihnachtsfeiern eingeladen. Für die sonst rauch- wie testosterongeschwängerten Herrenrunden sei das ein echter Fortschritt gewesen. Was nach ein bisschen Zivilisation im Mittelalter klingt, ist gerade 30 Jahre her.
„Schmuckli war sicher auch ein Narzisst, sonst macht man so einen Job ja nicht“, sagt Hannes Grah, von 1976 bis 1995 Sales-Manager bei Sony. „Er war schon stolz, dass er im Berliner Kempinski irgendwann in der gleichen Suite residierte wie Max Grundig. Aber er dachte nicht nur an sich, er hatte immer den Erfolg des Unternehmens im Blick.“ Für ihn noch wichtiger war, „dass man bei Jack Schmuckli immer wusste, wo man dran ist. Er sagte genau, was er erwartete.“
Als zu Grahs Ausstieg bei Sony ein großes Fest angedacht war, habe er seinem Chef gesagt, er möge solche Veranstaltungen eigentlich nicht, erinnert sich Grah. „Da hat Schmuckli mich einfach zu sich nach Hause eingeladen und wir haben in kleiner Runde lecker gegessen.“ Nachdem ihm nach einem Fauxpas der Führerschein entzogen worden war, habe Schmuckli ihm gesagt: „Wir stellen dir einen Anwalt, was es kostet, ist egal.“ Der Sales-Manager sollte mobil bleiben.
Jack Schmucklis Geschichte zum Deutschland-, Europa-Chef und erstem Europäer im Bord des japanischen Sony-Konzerns ist die eine des Aufstiegs aus einfachen Verhältnissen – und die einer Überwindung körperlicher Schwäche. Aufgewachsen auf dem Land in der Nähe von Zürich in einem Nicht-Akademiker-Haushalt, war er als Kind wegen eines Hüftleidens zwei Jahre lang ans Bett gefesselt.
„Diese Zeit hat ganz sicher dazu beigetragen, dass er später sehr beharrlich und diszipliniert war und fast immer gelassen geblieben ist“, glaubt Carmen Feuersenger-Stone. Schmuckli wusste, was es bedeutet, nicht die Kontrolle zu haben. Und wurde zum Macher, der ein Unternehmen mit 17.000 Angestellten in Europa kontrolliert.
In der Schweiz absolvierte Schmuckli nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung bei einem Pelzhändler. Ein Studium schloss er nicht an, lieber warf er sich ins kalte Wasser. Bei seinen Arbeitgebern stach er durch schnelle Auffassungsgabe, analytischen Verstand und Gespür für richtige Entscheidungen heraus. Stetig arbeitete er sich hoch; 1965 wurde er leitender Produktmanager beim US-Konzern GTE, 1968 warb Polaroid ihn als Leiter für seine japanische Niederlassung ab.
Jack Schmuckli war ein Weltbürger, bevor die Globalisierung jeden Winkel des Planeten erreicht hatte
Der damalige Sony-Chef Akio Morita holte Schmuckli auch deswegen zu Sony, weil Schmuckli die japanische Kultur kannte und anders als viele Europäer den indirekten Kommunikationsstil der Japaner verinnerlicht hatte. Respekt und Etikette statt Rau- und Direktheit. Sein ruhiges Gemüt, gepaart mit Ehrgeiz, Disziplin und Beharrlichkeit, machten ihn zu einem idealen Europa-Vertreter für den aufstrebenden japanischen Konzern.
Der Mann aus einem kleinen Alpendorf war ein Weltbürger, bevor die Globalisierung über Internet und Smartphones jeden Winkel des Planeten erreichte. Schon mit zwölf sagte der neugierige Junge, dass die Welt seine Heimat sei und nicht ein Land mit Grenzen. Fast vier Jahrzehnte sollte Schmuckli später im Ausland verbringen, in Kopenhagen, New York, Tokio und 23 Jahre in Köln, bis er nach seiner Pensionierung zum Zürichsee zurückkehrte. „Seine Zeit in Japan hat ihn stark geprägt“, sagt Carmen Feuersenger-Stone. „Er hat immer gut überlegte Entscheidungen getroffen – und ist jedem mit Respekt begegnet. Gewiss hat die japanische Mentalität auf ihn abgefärbt.“
Köln mit der in den ersten Jahren überschaubaren Sony-Niederlassung im Braunsfelder Gewerbegebiet war für Schmuckli eher eine Kleinstadt. Mit seiner Familie in einem schmucken Eckhaus direkt am Stadtwald in Junkersdorf residierend, habe er den Müll, den Spaziergänger am Wegesrand vor seinem Gartenzaun hinterließen, „mit einer Zange regelmäßig selbst eingesammelt“, sagt Feuersenger-Stone. So penibel sei er in seinem Büro nicht gewesen: „Da lagen immer ein paar Stapel mit Arbeitsunterlagen und auch mal persönliche Sachen verteilt auf dem Schreibtisch – anders als bei Ron Sommer, dessen Schreibtisch immer blitzeblank war.“
Er trieb sich lieber in Kölner Museen rum, als Karneval zu feiern
Jack Schmuckli neigte nicht zur rheinischen Jovialität. Die Karnevalspartys von Sony seien trotzdem legendär gewesen, erinnern sich seine Weggefährten. Der kunstsinnige Chef habe sich lieber in den Kölner Museen und Galerien herumgetrieben – auch, um neue Werke für seine Sammlung zu finden. Sein Alterssitz am Zürichsee samt 4000 Quadratmeter großem Grundstück glich mit Objekten von Joseph Beuys, Günther Uecker und Lucio Fontana und Regalen voller antiquarischer Bücher aus Japan und China einem Museum.
Aus heutiger Sicht ist Jack Schmuckli ein Fossil. In einem der seltenen Videos von ihm, die auf Youtube kursieren, ist ein distinguierter Herr zu sehen, der einen Zweiteiler trägt, der nicht den heutigen Normen maßgeschneiderter Manageranzüge entspricht. Mit seiner Frau im Privatjet sitzend, zeigt der Topmanager den Vorläufer eines Handys und prophezeit, dass „die Menschen immer mehr Zeit vor solchen Geräten mit Bildschirmen verbringen werden“. Anfang der 1980er Jahre ist dieser Satz visionär. Die technischen Geräte, die er vertrieb, bediente er in der Regel allerdings nicht selbst. Seine Ideen und Reden diktierte er seiner Assistentin – um sie frei vorzutragen. „Eine große Stärke von ihm“, sagt Carmen Feuersenger-Stone.
Ruhestand am Zürichsee
1998, nach 23 Jahren bei Sony, verzichtete Schmuckli überraschend auf eine Vertragsverlängerung. Vor dem Umzug der Europa-Zentrale nach Berlin, den er selbst eingefädelt hatte, hatte er auf einen neuen Fünf-Jahres-Vertrag gedrängt – den wollte der Nachfolger von Akio Morita ihm nicht gewähren.
Zurück in der Schweiz, übernahm er mit 61 kurzzeitig eine angeschlagene New-Economy-Firma, bevor er sich am Zürichsee zur Ruhe setzte. Kurz vor dem Tod habe er einen schwerkranken Freund getroffen, der „schwach, aber nicht gebrochen war“, erinnert sich Peter Hoenisch. „Wir haben es doch gut gemacht, oder Peter?“ habe Schmuckli gefragt. „Ja“, sagte der Freund, „wir haben es gut gemacht.“