Köln – „Wer schwul ist, wird von der Gesellschaft abgestoßen“, sagt die 21-jährige Ludmila. Joel (20) hat Freunde, die finden Schwule „ekelhaft“. Und in seinem Heimatland, dem Kongo, gilt Homosexualität gar als Krankheit. „Die kommen zum Exorzisten oder werden von der Familie verstoßen.“ Für Natalia (22) ist die Vorstellung schlimm, Gefühle verbergen zu müssen. Deshalb stehen sie, die künftigen gestaltungstechnischen Assistenten vom Richard-Riemerschmid-Berufskolleg (RRBK), zu ihrem Mathelehrer Bodo Busch. Der 57-Jährige ist schwul.
Mobbing und Notversetzung
Joel, als Dunkelhäutiger oft in die Kriminellen-Schublade gesteckt, weiß selbst, wie weh Vorurteile tun. Ähnlich schmerzt es Busch zu hören, ein Schüler habe „keinen Bock auf schwule Mathe“. Diskriminierung von Homosexuellen in Schule und Ausbildung ist auch das Thema des Colognepride anlässlich des Christopher Street Days (CSD) mit dem Motto „Vielfalt lehren, lernen, leben“. Doch warum tangiert das den Unterricht? „Weil es immer noch nicht selbstverständlich ist, dass sich zwei Jungs vor dem Eingang zum Abschied küssen oder eine Lehrerin ihre Frau mit zum Schulfest bringt“, sagt Busch.
Toleranz will gelernt sein. In der großen Masse bis zur Unkenntlichkeit maskierter Paradeteilnehmer, darunter auch Heterosexuelle, trauen sich immer noch nur wenige Lehrer, zu ihrer Liebe zu stehen. Auch für diesen Artikel fand sich lange niemand – bis Bodo Busch zusagte. Im angeblich so toleranten Köln kennt der gebürtige Aachener Fälle von unfreiwilligen oder schlecht gelaufenen Coming Outs, die in Mobbing und Notversetzungen mündeten. Lehrer an Schulen in kirchlicher Trägerschaft seien besonders oft verunsichert: „Auch die neuen Beschlüsse der katholischen Kirche zum Arbeitsrecht bieten niemandem völlige Sicherheit vor Diskriminierung. Da gibt es immer noch handfeste dienstrechtliche Gründe, vorsichtig zu sein.“
Das RRBK, an dem Busch unterrichtet, ist „Schule der Vielfalt“. Als erstes und einziges Berufskolleg in NRW. Zertifiziert durch das Anti-Diskriminierungsprojekt des Landes, haben sich Lehrer und Schüler verpflichtet, jeden willkommen zu heißen – unabhängig von sexueller oder geschlechtlicher Identität. Das bedeutet auch, bei beleidigenden Äußerungen zu intervenieren. Gleich am Eingang hängt stolz das Siegel mit den Worten: „Come in - wir sind offen! lesbisch, schwul, bi, hetero, trans“. Und genau das will Bodo Busch vorleben. Nicht nur, um nicht dauernd aufpassen zu müssen, sich durch Gesten oder Worte zu verraten, sondern auch, um den Schülern Mut zu machen, die vielleicht selbst gerade entdecken, homosexuell zu sein. Und um hoffentlich eines Tages nicht mehr dafür kämpfen zu müssen, dass selbst Matheaufgaben in modernen Schulbüchern Schwule und Lesben rechnerisch für unwahrscheinlich erklären.
Es ärgert den Lehrer und Aktivisten, dass es in einer Einstiegsaufgabe in der Wahrscheinlichkeits-Rechnung namens „Sebastian und Sabine“ unter sechs Tanzpaaren kein einziges gleichgeschlechtliches gibt. Nicht nur, dass diese Annahme, alle Menschen wären heterosexuell, die Wahrscheinlichkeit, dass Sebastian und Sabine bei zweimaligem Partnerwechsel nur miteinander tanzen, komplett verändert. „Aber versetzen sie sich jetzt mal in die Lage eines Jungen, der etwas für einen anderen Jungen fühlt. Ihm wird doch damit suggeriert, er sei falsch. Was er fühlt, das gibt es gar nicht.“ Damit werde die gesunde Entwicklung der Sexualität ebenso wie konzentriertes Lernen behindert.
Eigene Gewerkschaftsgruppe
Als Mitglied der Gruppe „Homosexuelle Lehrkräfte“ in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert Busch die Verankerung des Themas in Lehrerausbildung, Lehrplänen, und -material. Alle Schulsozialarbeiter sollten sich mit Fragen zu Coming Out und Homophobie befassen, der Schutz vor Diskriminierung für alle im Schulgesetz verankert sein. Auch fehle eine Beschwerdestelle für Opfer.
Busch möchte, dass sich in der Schule weder Lehrer noch Schüler verstellen müssen, wenn sie erzählen, mit wem sie in Ferien waren oder wen sie toll finden. „Ich möchte das genauso selbstverständlich thematisieren, wie das Heterosexuelle täglich tun.“ Um dafür zu werben, wird das Projekt „Schule der Vielfalt“ auf dem CSD-Straßenfest am gemeinsamen Stand mit der Aufklärungskampagne SchLAu NRW in der Bechergasse vertreten sein. Am Sonntag von 17 bis 19 Uhr auch mit Bodo Busch und einigen seiner Schüler, die sagen: „Unser Lehrer ist schwul. Na und?“