Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Zum Tod von Alfred Neven DuMontOpa, ich bin stolz auf dich

Lesezeit 4 Minuten

Kimberly Neven DuMont

Köln – Ich war das erste Enkelkind meines Großvaters, und wir hatten darum immer ein sehr enges Verhältnis. Für mich war er auch eine Vaterfigur. Ich konnte sehr gut mit ihm reden, und selbst wenn er unterwegs war oder gerade besonders viel arbeiten musste, war er für mich da.

Auch deshalb fällt es mir jetzt sehr, sehr schwer loszulassen. In den vergangenen Wochen habe ich meinen Großvater jeden Tag besucht, im Krankenhaus und danach zu Hause. Ich habe geschaut, was er gerade brauchte, habe den Pflegern geholfen oder bin mit ihm in den Garten gegangen. Meistens aber habe ich stundenlang bei ihm gesessen und ihm aus dem Manuskript seiner Autobiografie vorgelesen. Das hat ihn eigentlich bis zu seinem Tod beschäftigt. Viele Geschichten aus seiner Kindheit, seiner Jugend und den folgenden Jahrzehnten kannte ich nicht und war immer wieder baff, was er schon als junger Mensch alles erlebt hat. Der erste Band seiner Erinnerungen umfasst ja nur die ersten 40 Jahre seines Lebens bis 1967. Das Schöne für mich war, dass ich ihn zu allem fragen und er mir dann noch mehr erzählen konnte als das, was in dem Buch steht.

Er hat sogar zu mir gesagt, „den nächsten Band schreiben wir gemeinsam, da hilfst du mir!“ Er wusste so gut wie ich, dass es dazu nicht mehr kommen würde. Aber ich glaube, er wollte mit mir nicht über den Tod reden, damit ich nicht so traurig wäre. Immer wieder habe ich ihm gesagt, dass er vor mir nicht stark sein muss. Aber wenn ich ehrlich bin: Es war tatsächlich schwer für mich, stark sein zu wollen. Auf der Fahrt ins Krankenhaus oder zum Haus meiner Großeltern habe ich oft geweint. Aber wenn ich in sein Zimmer gekommen bin und er mich angestrahlt hat, war das der schönste Moment des Tages. So hatten wir beide eine unausgesprochene Verabredung miteinander: 100 Prozent leben, solange es noch geht; füreinander da sein und miteinander das Glück teilen, das uns noch bleibt. Irgendwie ist uns das auch gelungen. Ich brauchte manchmal nur seine Hand in meine zu nehmen. Er hat sie ganz fest gehalten und mir so gezeigt, dass er froh war, mich um sich zu haben. Er war sonst kein Mensch, der besonders viel Nähe zugelassen hätte. Jetzt schon. Ich habe es ihm versprochen an dem Tag, als er ins Krankenhaus kam: „Opa, ich halte deine Hand bis zuletzt.“ Dieses Versprechen habe ich erfüllen dürfen, und ich kann gar nicht beschreiben, wie viel mir das jetzt bedeutet.

Viele haben meinen Großvater ja als Patriarchen dargestellt, vor dem man sich in Acht nehmen oder gar fürchten müsse. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, es stimmt, er konnte streng sein. Aber er hatte auch eine sehr liebevolle, weiche Seite. Er konnte es ertragen, wenn ich Widerworte gab oder seinem Rat nicht folgte. Er hatte schon eine sehr klare Vorstellung davon, wie man sein Leben leben sollte. Aber mit dem Abstand von mehr als 60 Jahren habe ich manches anders gesehen und bin eigenen Ideen gefolgt. „Stur bist du!“, konnte er schon mal sagen. „Nein“, habe ich dann geantwortet, „ich bin nur anderer Meinung“. Das hat er akzeptiert und mich in einer einmal getroffenen Entscheidung auch unterstützt. Aber als seine Enkelin war ich da bestimmt in einem gewissen Vorteil gegenüber seinen Mitarbeitern.

Voriges Jahr habe ich ihn einmal auf einem Fest im Verlagshaus erlebt. In solch einem Rahmen war das für mich das erste Mal. Ich kannte von ihm sonst nur Ansprachen auf Familienfeiern – zu Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen. Ich habe gestaunt, wie er vor so vielen Leuten so souverän sprechen konnte. Aber beim Zuhören dachte ich auch: Im Grunde ist er hier nicht anders als bei uns daheim – einer, der sich hinstellt und etwas darstellt. Natürlich ist mir klar, dass er eine viel beachtete „Person des öffentlichen Lebens“ war. Trotzdem berührt mich die große Zahl von Menschen, die jetzt an seinem Tod Anteil genommen und ehrende Worte für ihn gefunden haben. Ich selber möchte ihm nur eines sagen: „Opa, ich bin stolz auf dich und dankbar, dass wir einander hatten!“ Und ich glaube, dort, wo er jetzt ist, wird er es hören.

Kimberly Neven DuMont ist 21 Jahre alt.

Aufgezeichnet von Joachim Frank