Statt Billigfleisch und PestizidenZurück zur Natur – wie das in und um Köln gelingt
- Die Corona-Krise hat ein grelles Schlaglicht auf eine kranke Welt geworfen: unwürdige Zustände in deutschen Schlachthofen. Aber auch die Abhängigkeit von weltweiten Lieferketten wurde spürbar.
- Durch Pestizide und Düngemittel ist zudem das Gleichgewicht der Natur außer Rand und Band geraten: Während die Politik immer noch Milliarden in konventionelle Massenproduktion pumpt, hat in Köln und auf den Feldern der Region das Umdenken schon begonnen.
- Wir haben mit Menschen gesprochen, die nichts weniger als die Welt verändern wollen – im Kleinen. Wie wir ihnen dabei helfen könnten?
- Unser großes Wochenend-Dossier.
Köln – Wer bei Jochen Groß in den Hofladen kommt, der darf keinen Einkaufszettel in der Hand haben. In dem kleinen Geschäft in der Senefelder Straße in Köln-Ehrenfeld steht der Bio-Jungbauer selbst hinter der Theke und das, was verkauft wird, hat der 38-Jährige am Morgen eigenhändig auf seinem Feld in Pulheim-Stommeln geerntet. Wer verstehen will, wie Agrarwende gehen kann, der muss bei ihm im Kleinformat erkunden, was es dazu braucht und wie es auch im Großen gelingen kann.
Hier gibt es nur genau das, was die Saison hergibt: derzeit zum Beispiel frische Sommersalate, jungen Spinat oder die ersten jungen Kohlrabi. Biologisch angebaut nach Demeter-Standards, also nach den Vorgaben der biodynamischen Landwirtschaft. „Dabei ist die Idee des Kreislaufs die wesentliche: Man entzieht der Natur nicht mehr, als man ihr zurückgibt“ , erläutert Groß, der es sich zu Maxime gemacht hat, „im Einklang mit der Natur zu arbeiten“. Die Pflanzen düngt er mit dem Dung seiner Schafherde, die auf seiner gepachteten Streuobstwiesen grast. Und wenn von seinem Salat doch einmal was überbleibt, geht auch das wieder als Kompost in seinen kleinen biologischen Kreislauf zurück. 70 verschiedene Gemüsekulturen hat der Jungbauer, der vor seiner Ausbildung zum Demeter-Landwirt als Sozialpädagoge an einer Hauptschule gearbeitet hat, hier auf seinem Pulheimer Feld angebaut.
Statt Monokultur und Masse setzt er auf Vielfalt und Kleinteiligkeit: Von allem ein bisschen. Die Pflanzen hat er in seinem Gewächshaus selbst gezogen: alte Obst- und Gemüsesorten aus so genannten samenfesten Sorten statt hybrides Saatgut, um die Sortenvielfalt zu schützen, die im konventionellen Anbau um 90 Prozent zurückgegangen ist.
Neben dem Feld bewirtschaftet er 2,5 Hektar Streuobstwiesen, die im Sommer das Obst für den Laden liefern und den Schafen saftiges Gras. Die anderen Produkte, die Groß ergänzend zu seinem Gemüse anbietet, stammen von befreundeten Bauern aus der Region. Auch sie wirtschaften wie er biologisch-dynamisch. Weitere Bedingung ist konsequente Regionalität: Die Waren dürfen nicht mehr als 100 Kilometer bis Köln zurückgelegt haben. Käse, Quark und Joghurt stammen vom Biohof Bollheim in Zülpich, das Fleisch von zwei Bio-Höfen, auf dem die Tiere ebenfalls nach Bio-Standard draußen grasen und auch vor Ort geschlachtet werden.
Der Jungbauer arbeitet schon jetzt so, wie es die Deutsche Agrarforschungsallianz als Zielbild für die Landwirtschaft der Zukunft ausgibt: Mit geschlossenen Stoffkreisläufen, einem engen regionalen Bezug, kleinteilig mit kleineren Flächen und weniger Tieren, die artgerecht gehalten werden. Aber es kommt noch eine zentrale Komponente hinzu: „Stadt, Land, Gemüse“ hat Groß seinen Laden genannt. Er wollte die Produkte bewusst nicht in einem Hofladen an der Peripherie vermarkten, sondern mitten in der Stadt, weil die Kölnerinnen und Kölner genau das suchen: „Der Bauer muss in die Stadt kommen. Es ist wichtig, dass die Kunden mich kennen. Nicht nur, weil sie das Echte, Authentische schätzen und so wissen, wo das, was sie kaufen herkommt. Ich bin auch der, der die Landwirtschaft repräsentiert und mit den Leuten darüber ins Gespräch kommt.“
Für seine Kölner Kunden ist er „der Jochen“, der auch gerne Zubereitungtipps gibt, oder berät, wenn es mit dem Zucchini-Anbau auf dem Balkon schon wieder nicht geklappt hat.
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Die Städter lieben das, sie kommen in Scharen. „Die Agrarwende beginnt nämlich in der Stadt“, fasst der Kölner Dokumentar Valentin Thurn (Taste the Waste) zusammen. Während die Agrarwende von oben nicht in Gang kommt und immer noch die Milliarden-Subventionen in konventionelle Massen-Monokultur und Massenbetriebe gepumpt werden, haben sich Köln und die Region schon auf den Weg gemacht.
Immer mehr Menschen organisieren sich, um die Landwirtschaft nachhaltiger, ökologischer und fairer zu machen. Längst nicht nur als Kunden. „Da ist gerade jede Menge in Bewegung“, sagt Thurn. Der Filmemacher ist Vorsitzender des von ihm mitbegründeten Kölner Ernährungsrats. Berlin und Köln waren die ersten Städte in Deutschland, die dieses Gremium, in dem Vertreter der Politik, der Landwirtschaft und der Zivilgesellschaft sitzen, eingeführt haben – viele andere ziehen inzwischen nach. Ziel ist es, mit einer umfassenden Strategie für Köln und die Region eine kommunale Ernährungswende von unten herbeizuführen. „Wir wollen auf kommunaler Ebene beweisen, dass das geht.“
Wie nötig das ist, hat nicht zuletzt Corona vor Augen geführt: „Die Pandemie hat hoffentlich auch dem Letzten klar gemacht, dass das nicht so weiter gehen kann“, sagt Thurn. Sie warf ein grelles Schlaglicht auf eine kranke Welt: auf die Zustände in deutschen Schlachthöfen, wo Mensch und Tier in unwürdiger Weise behandelt werden. Auf die Abhängigkeit von weltweiten Lieferketten, die spürbar wurde, als die Grenzen dicht waren und Vietnam plötzlich keinen Reis und Kasachstan kein Weizenmehl mehr exportiert hat. Zwei Drittel des in Deutschland verzehrten Gemüses werden laut Ernährungsrat derzeit importiert. Die unabdingbare „Luftbrücke“ für osteuropäische Erntehelfer habe die fragilen Großstrukturen aufgedeckt. „Regionale Landwirtschaft ist nicht nur ökologischer, sondern bedeutet auch Krisensicherheit“, erläutert Thurn. Die Massentierhaltung ist für ihn eine Quelle von Pandemien. Das Gleichgewicht der Natur sei durch Pestizide und Düngemittel außer Rand und Band geraten, „weil wir die Natur so formen, dass sie für uns Hochleistung bringt.“
Monokulturen machen doppelt abhängig
Bauer Jochen Groß sieht die Abkehr von dem Prinzip Masse als einzigen Weg: Wer auf riesigen Flächen Monokulturen anbaut oder in riesigen Ställen viele Tiere hält, ist doppelt abhängig: Vom Ernteerfolg und vom Preisdiktat des auf wenige Supermarktketten konzentrierten Einzelhandels oder der Großmolkereien, die einen Großteil der Gewinne abschöpfen. Nur 20 Prozent des Ertrages bleiben laut Berechnungen des Thünen-Instituts für Marktanalyse beim Bauern. Bei ihm ist das anders: Wenn die Mairübchen nach dem Kälteeinbruch im März erfroren sind, dann sind das zwei Reihen. „Das ist schade, aber zu verschmerzen.“ Die übrigen 69 Gemüsesorten haben noch eine Chance. Dem Preisdiktat der Supermärkte entkommt er durch die Direktvermarktung in seinem Laden. „Die Wertschöpfungskette bleibt so in einer Hand“. Wenn sich dann viele kleine Direktvermarkter zusammentun, wird für ihn ein Schuh draus.
Neben Groß hat jetzt auch vor ein paar Wochen der „Hofladen im Veedel“ in Sülz eröffnet, der mit einem vergleichbaren Konzept die Waren kleiner Öko-Bauern aus der Region vermarktet. Dazu gibt es inzwischen in Köln sieben so genannte Marktschwärmereien, in der Region sind es insgesamt 19 Stück – mit ständig wachsendem Kundenstamm. Marktschwärmereien sind ein dezentral organisiertes Netzwerk, das direktvermarktende Landwirte und Kunden zusammenbringt. Die Verbraucher ordern im Onlineshop ihrer lokalen Bestellgemeinschaft ihre gewünschten Produkte von regionalen Erzeugern. Dann holen sie an einem fest definierten Tag der Woche ihre Einkäufe an einem zentralen Ort in der Nachbarschaft ab.
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Auch die Solidarischen Landwirtschaften (Solawi) wachsen stetig. Sechs dieser landwirtschaftlichen Genossenschaften, die quasi Agrarwende selber machen, gibt es inzwischen in der Region. Dabei ist das Prinzip, dass mehrere private Haushalte über monatliche Beiträge die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs tragen, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Das ermöglicht dem Landwirt Planungssicherheit und einen marktunabhängigen Anbau und den Verbrauchern regionale, biologische Lebensmittel mit persönlichem Bezug.
Als weitere Säule der Agrarwende von unten gibt es inzwischen auch die Option, direkt in die ökologische Landwirtschaft der Region zu investieren: Die Regionalwert AG Rheinland ist eine Bürgeraktiengesellschaft, in der man sein Geld anlegen kann, um nachhaltige Landwirtschaft vor der Haustür zu fördern. Die Idee: Bürger kaufen Aktien für mindestens 600 Euro und das Geld wird in regionale Biobetriebe wie Bauernhöfe oder Lebensmittelverarbeiter in der Region investiert. Wer wie viel Geld bekommt, entscheiden die Aktionäre. Die Betriebe verpflichten sich sowohl zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards als auch dazu, sich gegenseitig Produkte abzunehmen. Das Ziel ist, dass Menschen aktiv in die Agrarwende in ihrer Region investieren. Nach der Aufbauphase soll für die Investoren eine Dividende anstehen.
Die Regionalwert-AG hat Landwirt Jochen Groß ebenso gefördert wie den neuen kleinen Sülzer Hofladen oder Start-ups wie die neue Grundversorger-Kiste „Himmel un Äd“, die Kisten mit den Produkten der Regionalwert-Erzeuger regelmäßig zu Kunden bringen. Zu den Mitbegründern der Regionalwert-AG Rheinland gehört auch Landwirt Hardy Burgmer vom Breuner-Hof in Lindlar. Burgmer ist schon vor Jahren aus dem „Wirtschaftswahnsinn“, der nur über Masse läuft, aus- und auf Bio umgestiegen. In seinem großzügigen, hellen Laufstall leben jetzt nur noch 70 Kühe, die er und seine Frau Petra alle beim Namen kennen. Von April an leben sie tagsüber draußen auf der Weide. Neun Quadratmeter pro Kuh allein im Stall. Seine Milch- und Fleischprodukte sind Demeter-zertifiziert.
Aber das war den Burgmers nicht genug: Damit eine Kuh Milch liefert, muss sie ein Kalb bekommen, das der Mutter normalerweise direkt nach der Geburt weggenommen wird, damit die Milch verkauft werden kann. Die Kälbchen werden dann mit Milchpulver aus dem Saugeeimer großgezogen. Bei den Burgmers gibt es all das nicht: Sie gehören zu den ganz wenigen Betrieben in NRW, wo die Kälbchen drei Monate lang auf der Wiese bei ihrer Mutter bleiben und von ihr genährt werden bis die Abnabelung dann ganz natürlich passiert. Natürlich ist die Milch, die nicht nur direkt vermarktet, sondern auch über die Molkerei Söbbeke abgenommen wird, teurer. Aber für den Bauern bleibt die mutterkuhgebundene Aufzucht ein Verlust, den er in Kauf nimmt.
Gewinnmaximierung ist von gestern – dieses Ethos steht hinter all den Regionalbetrieben, die sich auf den Weg gemacht haben. Genauso im Bio-Hof Bollheim in Zülpich, der als einer der wenigen Höfe in Deutschland das so genannte Geschwister-Ei verkauft.
Diese Eier sind zwar etwas teurer als normal, sie subventionieren aber die Aufzucht der männlichen Küken, die herkömmlicherweise direkt nach der Geburt getötet werden, weil sie keine Eier legen und bei der Aufzucht weniger Fleisch ansetzen. Im Laden von Jochen Groß stehen Geschwisterei und Bruderhahn-Produkte einträchtig im Regal nebeneinander. Burgmer und Groß sind überzeugt, dass ihr Weg funktioniert. „Ich glaube nicht, dass Verbraucher billig produzierte Massenware wollen“, sagt Hardy Burgmer. „Gerade die Leute in der Stadt wollen den Weg mitgehen“, hat Groß an seiner stetig wachsenden Kundschaft festgestellt.
Hälfte der Bioware wird importiert
Aber es gibt da ein Problem. Nämlich das wachsende Missverhältnis bei Angebot und Nachfrage. Die Biolandwirtschaft wächst zweistellig. Es soll bio und regional sein. Aber die Hälfte der Bioware wird importiert. Das ist auch im Raum Köln so: Es gibt viel zu wenig Bio-Produkte aus der Region, um die stetig steigende Nachfrage zu decken. „Gerade die wachsende Zahl der Marktschwärmereien sucht händeringend nach regionalen Produzenten“, sagt Groß. Dabei gäbe es in der Region genug ausgebildete Jung-Landwirte, die sich gerade in diese Richtung engagieren möchten. „Sie finden aber in der Region keine Flächen und keine Höfe . Es gab in meinem Ausbildungsjahrgang zum biodynamischen Landwirt sechs Kollegen. Alle wollten sich mit einer kleinen Landwirtschaft selbstständig machen. Ich bin der einzige, der stadtnahe Anbauflächen gefunden hat.“ In den nachfolgenden Jahrgängen habe das nicht anders ausgesehen. Die Flächen seien alle von der Stadt langfristig verpachtet, oft über Jahrzehnte an denselben konventionellen Landwirt. Mit einer Vergabe ohne inhaltlichen Kriterien.“
Hinzu kommt die grundsätzliche Flächenknappheit: Nur 17 Prozent der Kölner Stadtfläche ist landwirtschaftliche Fläche. Sie ist in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 20 Prozent geschrumpft und sinkt durch neue Siedlungen wie Rondorf/Nord oder Kreuzfeld immer weiter. Auch die Zahl der Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe ging massiv zurück: Die Stadt hat die Flächen an 90 Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe verpachtet. Das sind 27 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. Immer weniger Betriebe betreiben immer größere Flächen. Und der ökologische Anteil der verbliebenen Betriebe ist extrem gering. Die meisten sind laut Thurn auf eingefahrenen Wegen unterwegs: Im Regierungsbezirk Köln bauen nur zwei Prozent der Landwirte Obst und Gemüse an. Allein 60 Prozent entfallen auf Getreide, 15 Prozent auf Zuckerrüben für den Weltmarkt.
Von 50 auf 14 Höfe
Neben den fehlenden Flächen sind es auch die weg fallenden Höfe, die ein großes Problem darstellen. „Wenn man ein Feld hat, ist das ja noch nicht alles. Man braucht ja auch einen Hof, um die Waren zu lagern und zu verarbeiten,“ erläutert Groß. Die Hofstellen seien aber vielfach im Privatbesitz. „Wenn dann der Hof nicht weitergeführt wird, machen die Erben oft eher attraktive Lofts oder Eigentumswohnungen draus. Oder sie vermieten die Scheunen als Unterstand für Wohnmobil- oder Wohnwageninhaber.“ In Pulheim, wo er seinen Acker bewirtschaftet, habe es in den 60ern 50 Höfe gegeben. „Heute sind es 14 auf derselben Fläche Land“.
Genau an diesen grundsätzlichen Problemen will der Kölner Ernährungsrat arbeiten. Er hat eine Ernährungsstrategie entwickelt, die der Rat der Stadt in seiner nächsten Sitzung als Leitbild verabschieden will. Ein Punkt darin ist das Verpachtungskonzept, das die Stadt neu aufgelegt hat. Demnach sollen bei der nächsten Verpachtungsrunde nach einem Punktesystem Betriebe bevorzugt werden, die auf Bio umstellen oder umgestellt haben. Das Problem ist: Die nächste Verpachtungsrunde steht erst 2028 an. Der Ernährungsrat will erreichen, dass dafür ein bestimmter Prozentsatz festgelegt wird, der dann biologisch bewirtschaftet wird. Außerdem sollen laut dem Leitbild Hofnachfolgen aktiv begleitet und moderiert werden um durch Zweckbindung die Umnutzung von Bauernhofstellen und auch von landwirtschaftlicher Fläche zu verhindern.
Keine Sozialromantik
„Die Landwirtschaft ist der Ursprung von allem. Mein Ziel ist, so zu arbeiten, dass der Ursprung erhalten bleibt“, sagt Groß, der seine Arbeit als zutiefst sinnvoll empfindet, auch wenn sie ihn jetzt in der Ernte- und Pflanzzeit mit 70-Stunden-Wochen fordert. Es ist eine Haltung, die dahintersteht und die er auf dem Feld und hinter der Theke vermitteln will. Das hat für ihn nichts mit Sozialromantik zu tun. Auch bei seinen Schafen wird einmal im Jahr ein Teil der Herde geschlachtet und dann in seinem Laden verkauft. Das ist für ihn ein trauriger Tag. Er ist dabei und hält das Tier im Arm. „Ich habe doch die Verantwortung: Für das gute Leben wie auch für das gute Sterben.“ Was er empfinde, wenn er dann das tote Tier in den Armen hält? „Ehrfurcht.“