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Stollwerck verlässt KölnFrüher duftete alles nach Schokolade

Lesezeit 5 Minuten

Die Stollwerck-Belegschaft 1894 im Severinsviertel. Die Montage stammt aus dem Buch „Stollwerck. Schokolade aus Köln“ von Sascha Widdig, Sutton-Verlag. Mitte der 70er zog Stollwerck nach Porz, die meisten Gebäude in der Südstadt wurden später abgerissen.

Köln – Das Foyer ist leergeräumt, Stühle und Tische sind verladen. Nur den Fernseher, den haben sie wohl vergessen: Irgendjemand hatte eine große Werbetafel davorgehängt. In den Büros der Stollwerck-Zentrale in Köln-Porz stapeln sich Umzugskartons, Monitore und Tastaturen.

130 verbliebene Beschäftigte

Viele verirren sich ohnehin nicht mehr hierher. Besucher schon mal gar nicht. Den 130 verbliebenen Beschäftigten in der Hauptverwaltung, die bis Ende März nach Norderstedt bei Hamburg verlagert wird, hat man schon vor Monaten gekündigt. Das Angebot, mit umzuziehen, hat nur ein gutes Dutzend angenommen.

Jetzt sitzen hier nur noch die Mitarbeiter mit den längsten Kündigungsfristen – quer durch alle Abteilungen. Sie packen. Und machen Kollegen aus Norderstedt mit den Abläufen vertraut. Doch von Woche zu Woche werden es weniger. Verwaltet wird hier bald nur noch die Leere.

Gespenstische Stille

In den riesigen Produktionshallen, die schon viele Jahre als Lager untervermietet werden, ist es gespenstisch still. Ein Haus weiter, in der Produktentwicklung, werden die letzten Maschinen fertiggemacht für den Transport quer durch die Republik.

Das meiste kann irgendwo in einer der drei deutschen Stollwerck-Produktionsstätten noch gebraucht werden: Die Büroausstattung kommt nach Norderstedt, der Rüttler nach Berlin, das Walzwerk nach Saalfeld, ebenso die Kugelmühle, der alte Kühlschrank sowie der „Stephanmixer“ – wofür auch immer der gebraucht wurde. Die, die’s erzählen könnten, sind schon lange weg.

Seit dem 1. August 1978 arbeitet Rolf Dantz, gelernter Schilder- und Leuchtreklamehersteller, für den Kölner Schokoriesen – und damit länger als die meisten, die noch da sind. Den legendären Kamelle-Dom in der Südstadt kennt er nur aus Erzählungen und von alten Fotos, ebenso wie manch anderes Gebäude, das in der 177-jährigen Geschichte von Stollwerck in Köln dazukam. In der Südstadt, im Severinsviertel – wo heute nur noch das Bürgerhaus Stollwerck durch seinen Namen an die bewegte Geschichte erinnert.

Achterbahn der Gefühle

Dantz fing im damals neuen Werk in Porz an, wohin die Produktion Mitte der 70er Jahre verlegt worden war. Er arbeitete zunächst in der Vertriebssteuerung, dann im Marketing. Zuletzt war er Leiter des Musterzimmers und in der Verkaufsförderung tätig – zuständig unter anderem für Durchgangsscheine. Bei Stollwerck nennt man so Übersichten, auf denen Vertriebler Kunden ihre Produktpalette präsentierten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die verbliebenen Mitarbeiter mit dem Umzug klarkommen.

In den vergangenen Monaten fuhren bei vielen Kollegen die Gefühle Achterbahn: Wehmut, Trauer, Bitterkeit war dabei, bei manchem auch ein wenig Erleichterung, dass das Zittern ein Ende hat und die Entscheidung steht. So bitter sie auch ist für die Kölner.

Als die Kölner Pralinenproduktion vor gut zehn Jahren vom Vorbesitzer Barry Callebaut eingestellt wurde, blieb in Köln nur noch die Verwaltung. Dass auch die irgendwann geschlossen wird, hatten viele lange befürchtet. Dass gespart werden muss, haben viele verstanden. Dass der neue Besitzer – Baronie aus Belgien – lange behauptete, nichts werde sich ändern, und die Belegschaft 2014 kurz vor Weihnachten vor vollendete Tatsachen stellte, aber nicht. Und auch nicht, dass die Belgier zunächst keine Abfindungen zahlen wollten und erst nach langem Streit nachgaben.

Glücklichere Tage

Dantz kann sich noch gut an die glücklicheren Tage erinnern. Als morgens um sechs Uhr Hochbetrieb war in der Kantine, wenn die Arbeiterinnen aus der Pralinenproduktion Pause machten. 600 Mitarbeiter wirkten in den besten Zeiten im Porzer Werk. Sie produzierten 8000 Tonnen Schokolade im Jahr. „Die Pralinen wurden damals noch von Hand gelegt“. Damals, bevor die Roboter kamen.

Regelmäßig fuhren Schokoladentankwagen vor und lieferten die Rohmasse. „Sogar draußen duftete alles nach Schokolade und manchmal auch nach Alkohol, wenn Herzkirschpralinen produziert wurden“.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Hans Imhoff Stollwerck geprägt hat.

Wie viele andere Mitarbeiter und Kölner erinnert er sich noch gut an den, der Stollwercks jüngere Geschichte geprägt hat wie kein anderer: Hans Imhoff. Der Unternehmer übernahm den kriselnden Schokoladenhersteller Anfang der 70er Jahre und formte daraus einen Süßwarenkonzern – auch durch Zukäufe bekannter Marken wie Sarotti oder Gubor.

Ganze Abteilung gekündigt

Eine Unternehmerpersönlichkeit, wie es sie heute nicht mehr oft gibt. Einer, der den Schalk im Nacken hatte. Der viel von sich forderte – und von anderen. Und der nicht zimperlich war, wenn ihm etwas gegen die Hutschnur ging: „Einmal hat er sich so über das Marketing geärgert, dass er eines Morgens die komplette Mannschaft antreten ließ und entlassen hat“, sagt Dantz. „Nur mich nicht. Ich war im Urlaub – zum Glück.“

Die Aktionärstreffen mit Imhoff – auch für Dantz Legende. Ein Fest mit großem Unterhaltungswert, viel, viel Schokolade und ein paar Scheinchen. Wer aus dem Publikum als erster den aktuellen Börsenkurs nennen konnte oder die Antwort auf eine beliebige andere Frage wusste, dem schenkte Imhoff einen Hunderter.

Der kleine Dicke mit dem Herz aus Schokolade

Probleme in Auslandswerken wie etwa die Auswirkungen des Rubel-Verfalls löste er auf seine Art: „Da bin ich in den Keller gegangen, hab' ein paar Ziegelsteine zur Seite geräumt, in das große Loch gegriffen, 30 Millionen da rausgeholt und hab' sie Stollwerck geschenkt.“ Und damit hatte der „kleine Dicke mit dem Herz aus Schokolade“, wie er sich selbst oft nannte, die Dividende gerettet.

Imhoff verkaufte Stollwerck 2002 an den Schokokonzern Barry Callebaut, der die Firma 2011 an Baronie aus Belgien weiterreichte. Einer ersten Kündigungswelle der Belgier folgte vor gut einem Jahr die zweite – mit der Entscheidung, Köln zu verlassen. Was die Belgier mit dem bald leeren Gebäude vorhaben, sagen sie nicht.

Rolf Dantz ist 56. Das Kapitel Stollwerck ist für ihn bald beendet, doch aufs Altenteil mag sich der Köln-Höhenhauser nicht zurückziehen. Da der Markt für gelernte Schilder- und Lichtreklamehersteller überschaubar ist, ist Dantz derzeit „offen für vieles“.

Berufswunsch Köbes

Seinen Optimismus lasse er sich jedenfalls nicht nehmen, sagt er. Vielleicht klappt es ja auch mit seinem Herzenswunsch: nach 38 Jahren „süß“ würde er gerne das Genre wechseln – und in einem kölschen Brauhaus anheuern. Als Köbes.