TodkrankManfred Sarrazin nimmt Abschied

Manfred Sarrazin, der Krimi-Buchhändler aus der Limburger Straße, grüßt aus dem Hospiz des St. Vinzenz-Krankenhauses.
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Köln – „Falls es einen Himmel gibt, wird der Krimi-Buchhändler dort das gleiche machen wie auf Erden: Auf einem bequemen Sofa sitzen und gute Krimis lesen.“ Das Sofa, von dem Manfred Sarrazin spricht, bildete jahrelang den Mittelpunkt der Alibi-Buchhandlung an der Limburger Straße. Hier lästerte der Inhaber über Eifel- und Venedig-Krimis, hier klönte er mit seinen Stammkunden. Beides werde er vermissen, sagte der 61 Jahre alte Ausnahme-Buchhändler, der seit einer Woche im Hospiz des St. Vinzenz-Krankenhauses liegt.
Er, der sein Leben lang keinen Arzt gebraucht habe und an den Sonntagen des vergangenen Jahres noch locker die circa 25 Kilometer lange Strecke „vom Kölner Rathenauplatz zum Schloss Bensberg“ marschierte, erhielt im Januar die Diagnose Darmkrebs. „Nach einer fehlgeschlagenen Chemotherapie, die meine Leber abgeschossen hat“, gebe es keine Heilungsmöglichkeiten mehr, nur noch Schmerzlinderung. Die erfährt Sarrazin durch die Palliativmedizinerin Ursula Thaden und ihr Team, das unfassbar engagiert sei . „Die brennen hier , für das was sie tun“, betont der Buchhändler und nennt seinen Aufenthaltsort einen „totalen Wohlfühlladen“.
Er wirkt nicht wie ein Todkranker
Würde man an seinem Bett sitzend die Augen schließen, käme man nicht auf die Idee, dass da jemand spricht, der unausweichlich an seiner letzten Station angelangt ist, wie er das selber umschreibt. Sarrazin scherzt, Sarrazin zitiert, Sarrazin formuliert und fabuliert, dass es eine Freude ist. Etwa über seinen Kunden Peer Steinbrück, dem er echte Kenner-Qualitäten attestiert. Der SPD-Kanzlerkandidat soll einmal gesagt haben, aus einem guten Krimi lerne er mehr als aus einem politischen Sachbuch. Solche Sätze freuen den Krimi-Fuchs natürlich. Aber noch mehr freut ihn, „dass er die tollsten Kunden des Universums hatte – unfassbar nett!“
Ähnlich begeistert ist das Hospiz-Personal aber auch von dem Mann, der dem beim Morgenkaffee sitzenden Team so anschaulich das „Cliffhanger-Prinzip“ darlegt, dass einige am liebsten zur nächsten Buchhandlung stürmten. Er selber hat sich notgedrungen ein elektronisches Buchlesegerät zugelegt, weil er dicke Papierwälzer physisch nicht mehr stemmen kann. Zurzeit liest er „Bleak House“, den neunten Roman von Charles Dickens; oder er fachsimpelt mit Krimi-Freunden und Fans, die ihn besuchen kommen. Oder er bastelt gewissermaßen am Konzept für den Schlussakkord.
Eine Choreografie für die Beerdigung
„Die Beerdigungen, die ich bisher erlitten habe – es waren neun oder zehn – die waren ungefähr so prickelnd wie eine Überfahrt von Calais nach Dover bei trübem Herbstwetter und leichtem Seegang, so dass einem immer leicht übel ist“, beschreibt es Sarrazin lachend. Er wolle das Gegenteil und habe daher eine Choreografie verfasst und Leute angeschrieben, die Texte aus „Noir-Krimis“, läsen; Geschichten also, die keine Hoffnung für den Lesenden ließen.
Bevor es so weit ist, möchte sich der Krimi-Experte von der Alibi-Buchhandlung verabschieden, die diesen Samstag nach 22 Jahren schließt. Von 16 Uhr an werde er sich im Kreise der Gleichgesinnten „fröhlich dem Bier vom Fass hingeben“. Dafür lässt er sich noch einmal in den Laden bringen.
Was die ihm noch bleibende Zeit betrifft, sagt Sarrazin: Wer derart viele Krimis gelesen habe wie er und somit selbst die grauenvollsten Variationen vom Ende eines Lebens vor sich gesehen habe, der sei ziemlich gelassen. „Wissen Sie übrigens, woran man schlechte Bücher erkennt?“, fragt der Bruder von Thilo Sarrazin lächelnd, nachdem er erklärt hat, dass er sich mit keinem Satz zu diesem äußern werde. Man erkenne es daran, dass der Autor keine beschreibenden, sondern wertende Adjektive benutze. Beim „wunderschönen“ Wohnzimmer etwa, werde ihm noch übler, als auf dem Weg von Dover nach Calais.