Weihnachten hat Simone F. vier Monate lang ihre neue Niere, die in Köln transplantiert wurde. Von Hoffnung, Angst und einem Mops, der nicht gern gebadet wird.
Transplantation in Köln„Ein größeres Geschenk gibt es nicht“ – Simones Chance auf ein neues Leben
Michel hasst es zu baden, aber das muss Simone F. egal sein. Regelmäßig steckt F. ihren unwilligen Mops in die Badewanne, wäscht den Schmutz von dem kleinen Hund herunter. Es ist November 2023, Simone F. hat seit August dieses Jahres eine Spenderniere, Keime und Infektionen können lebensgefährlich für sie sein. Michel muss baden.
Rückblick, August 2023: Seit drei Jahren lebt Simone F. mittlerweile ganz ohne Nieren – stundenlange Dialyse-Termine bestimmen ihren Alltag. Seit sie 14 Jahre alt ist, weiß F., dass sie polyzystische Nieren hat, eine Erbkrankheit, bei der sich Zysten bilden. Niere eins wurde vor zehn Jahren entfernt, Niere zwei 2020. F. wartet und wartet auf ein passendes Spenderorgan. Bis zum 25. August.
Eurotransplant meldet Köln, dass es ein passendes Organ gibt
In dieser Nacht meldet die Stiftung Eurotransplant dem Transplantationszentrum in Köln, in dem Simone F. behandelt wird: Es gibt eine Spenderniere aus Ungarn, alle Werte scheinen zu stimmen. Weil Dr. Paul Brinkkötter, diensthabender Nephrologe und Oberarzt, F. nicht erreicht, verständigt er die Polizei, bittet um Hilfe. Die klingeln Simone F. aus dem Bett, überbringen die gute Nachricht. F. schafft es rechtzeitig in die Kölner Uniklinik – und bekommt am 24. August eine neue Niere. Das Warten hat ein Ende, die Vorsicht muss bleiben. Drei Wochen nach der Transplantation darf F. die Klinik verlassen und endlich wieder nach Hause.
25. November 2023, drei Monate nach der OP: Alles läuft, wie es laufen soll: Statt 17 Tabletten wie direkt nach der OP muss Simone F. jetzt „nur“ noch acht am Tag nehmen, ihre Gesundheit wird nur noch alle 14 Tage kontrolliert: Im Wechsel geht es ins Transplantationszentrum nach Köln und zu einem niedergelassenen Arzt in Linz am Rhein, ihrer Heimat. Immer wieder wird sie durchgecheckt: Blutwerte, Ultraschall, die Ärzte schauen, ob das neue Organ gut durchblutet wird.
Kurz nach der OP standen diese beiden Termine wöchentlich für sie an. Aber egal, was jetzt auf ihrem Zettel steht, was sie tun und beachten, wie viele Medikamente sie nehmen oder Ärzte sehen muss, die Dankbarkeit wiegt schwerer: „Ich war mehr als mein halbes Leben krank, jetzt habe ich eine Chance auf ein ziemlich gesundes Leben.“ Ein größeres Geschenk, sagt sie, gibt es nicht.
Der Körper darf das Organ nicht als fremd erkennen – sonst würde er es abstoßen
Um jeden Preis muss Simone F. in diesem neuen Leben Keime, Bakterien, Viren meiden, die sie krank machen könnten. Denn damit der Körper das neue Organ nicht als fremd erkennt und abstößt, bekommt F. Immunsuppressiva, Medikamente, die eingesetzt werden, um das Immunsystem zu unterdrücken – die Schutzbarriere des Körpers wird sozusagen deaktiviert. Und das bedeutet auch, dass Keime ziemlich leichtes Spiel haben.
„Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich das erste Vierteljahr ganz zurückhaltend sein soll mit sozialen Kontakten“, erzählt F. Daran hat sie sich gehalten, das Geschenk, das ihr gemacht wurde, will sie nicht aufs Spiel setzen. Sagt jemand, dass sie übertreibe, wenn sie ums Desinfizieren und Händewaschen bittet, versucht sie das zu ignorieren, aber es trifft sie doch. „Ich möchte doch einfach nur nichts riskieren“, sagt Simone F.
Was F. liebt an ihrem neuen Leben: „Im Supermarkt ist es für mich noch immer wie im Paradies. Ich hatte mich so auf frisches Obst gefreut, das durfte ich nie essen, nur als Kompott oder aus dem Glas.“ Obstsäften ist sie verfallen, einfach einen Kohlrabi schälen und essen, früher unvorstellbar, jetzt der absolute Genuss.
Anfang Dezember 2023: Simone F. schreibt an einem Brief an ihren Tätowierer Friedel in Remagen. Am Tag, bevor die Nachricht kam, dass es ein Organ für sie gibt, hatte sie sich bei ihm noch ein Wikinger-Motiv stechen lassen. Einen Kompass und ein Walküren-Symbol, das Symbol einer nordischen Kämpferin. Sie will ihm erzählen, wie es ihr ergangen ist, ihm Weihnachtsgrüße schicken, ihm nochmal sagen: „Du hast Mitschuld daran, dass ich ein neues Organ bekommen habe – du und die Götter.“
F. bereitet sich gerade darauf vor, in die Reha an die Ostsee zu fahren, am 4. Dezember geht es los. Auf Michel passt dann ihre Mutter auf, Freunde wiederum passen auf ihre Mutter auf, alles ist geregelt. Der nächste freie Termin wäre erst im Februar gewesen, das ist zu lange hin, und F. möchte außerdem unbedingt im Winter am Meer sein. „Strand, Luft, Wind, Weite, ich will mich richtig durchpusten lassen“, erzählt sie. Sie fährt mit dem Zug, wohl wissend, dass auch das wieder ein potenzielles Risiko ist. Aber sie wird Handschuhe tragen und Maske, das Desinfektionsmittel wird immer griffbereit sein.
Ihre Hoffnung: dass auch die Psyche ein Thema sein wird in dieser Reha. F. hat den Operationsbericht gelesen, von Leichen- und Totenspende war darin die Rede. Ihr Kopf weiß, dass der Mensch, dessen Organ sie bekommen hat, nicht ihretwegen oder für sie gestorben ist, ihr Gefühl weiß das nicht immer. „Ich weine noch immer oft“, sagt sie, „und manchmal denke ich auch, dass da ein kleiner Zombie in mir drin ist.“
Dass jeder Transplantierte anders klarkommt, weiß F.: Die Patientin, die mit ihr auf dem Zimmer lag, konnte das Organ einfach annehmen, „sie hat an den Verstorbenen oder die Verstorbene keinen Gedanken verschwendet“.
25. Dezember 2023, 1. Weihnachtsfeiertag: An diesem Tag werden es genau vier Monate sein, dass Simone F. mit ihrer neuen Niere lebt. „Ich will dieses Organ nie wieder hergeben“, sagt sie.