An den Kölner Schulen fällt derzeit sehr viel Unterricht aus. Mancherorts geht es sogar mangels Personal tageweise wieder in den Distanzunterricht. Das hat mit Infekten zu tun, aber auch mit dem immer gravierenderen Lehrermangel. Die Politik sucht nach Konzepten gegen die drohende Bildungskatas.trophe
Unterrichtsausfall und DistanzlernenLehrermangel in Köln und NRW immer gravierender
Der Pandemie-Modus an den Schulen ist beendet. Rund läuft es für Schülerinnen und Schülern dennoch nicht. Viele Unterrichtsstunden fallen aus. In einer Nippeser Grundschule tragen sich Eltern in Wochenpläne für den „Hofdienst“ ein: Bei Krankheitsfällen im Kollegium finden sich mehrere Klassen auf dem Schulhof ein und werden für zwei Stunden von Eltern beaufsichtigt.
An einer anderen Grundschule hat die Schulleitung einen Plan erstellt, „weil wir es vor Ort nicht schaffen“, wie es in der Mail an die Eltern heißt. Dienstag und Freitag sind als Distanzlerntage für die Zweitklässler vorgesehen, wenn zu viel Lehrkräfte krank sind. Die Drittklässler sind dann montags und mittwochs dran. Ob ihre Kinder zu Hause lernen, erfahren die Eltern am Vortag bis 13 Uhr, um die Betreuung organisieren zu können. Distanzunterricht ist eine Option, die an einigen Kölner Grundschulen derzeit wegen Personalmangel tageweise gezogen werden muss. Ausdrücklich mit Billigung des Schulministeriums.
Die Kölner Schulen sind nicht mehr in der Lage, Ausfälle im Kollegium zu kompensieren
Auch an den weiterführenden Schulen gibt es derzeit jede Menge Unterrichtsausfall. Den subjektiven Eindruck vieler Eltern bestätigen Kölner Schulleitungen auf Nachfrage unisono. Vertretung gelingt, wenn überhaupt, nur noch in den Klassen 5 und 6.
Dabei sind Krankheitsfälle durch Corona und andere Infektionen gar nicht der Ursprung des Problems. Auch ohne Ausfälle herrscht an Schulen ein System des zunehmenden Mangels. Die knapp besetzten Kollegien sind schon jetzt nicht mehr in der Lage, Ausfälle zu kompensieren. Weil aber immer mehr kompensiert werden muss, werden auch von den verbliebenen Lehrkräften immer mehr krank.
Hinter den ganzen globalen Krisen scheint sie also in diesem Herbst auf, die nächste große Krise: Eine Bildungskatastrophe braut sich zusammen in Schulen, in denen Unterricht ausfällt, Fächer zusammengestrichen werden oder Förderunterricht nicht mehr erteilt werden kann. Denn gleichzeitig belegte die IQB-Bildungsstudie im vergangenen Monat, dass zwei von zehn Viertklässlern nicht einmal mehr die unteren Mindeststandards in Mathe oder Lesen erreichen.
Schon jetzt fehlen in deutschen Klassenzimmern 40.000 Lehrerinnen und Lehrer
Der Lehrermangel, der sich in den kommenden Jahren massiv zuspitzen wird, ist längst angekommen in den Schulen. Zum Schuljahresbeginn gab es allein in NRW 4369 unbesetzte offene Stellen – vor allem an Grundschulen. Jede dritte offene Stelle ist dort schon jetzt unbesetzt. Vor lauter Not ordnete Schulministerin Dorothee Feller 3300 Lehrer anderer Schulformen befristet an Grundschulen ab, um die Unterrichtsversorgung überhaupt noch sicherzustellen.
In Berlin konnten nur 60 Prozent der ausgeschriebenen Lehrerstellen besetzt werden. Dort beträgt die Zahl der Quereinsteiger an Grundschulen schon über 60 Prozent. Aber auch in NRW ist an Grundschulen längst Usus, dass Japanologie-Absolventen oder Fitnesstrainer Unterricht übernehmen. Der Deutsche Lehrerverband kommt auf 40.000 Pädagogen, die schon jetzt in den deutschen Klassenzimmern fehlen. Nach Prognosen des Bildungsforschers Klaus Klemm, könnte bis 2035 ein Mangel von 158.000 Fachkräften an Schulen entstehen.
Auch wenn die Grundschulen den Mangel am deutlichsten spüren, ist er auch in den anderen Schulformen bereits angekommen. Schon jetzt finden sich auf Stellenausschreibungen in Fächern wie Mathematik oder Physik auch an Kölner Gymnasien keine Bewerber. Die Schulleitung einer Düsseldorfer Gesamtschule konnte zu Schuljahresbeginn gleich vier Stellen nicht besetzen. Gleichzeitig dauert die Einstellung von Vertretungskräften selbst da, wo das möglich ist, enorm lange, da die Mühlen der Bürokratie in der Bezirksregierung sehr langsam mahlen. „Wir laufen da auf eine Katastrophe zu“, heißt es vonseiten einer Schulleitung.
Dabei lassen sich die Bundesländer unterschiedliche Dinge einfallen, um die Not zu lindern: Bayern versucht es mit Imagekampagnen und plakatiert bayernweit „Lehrer werden, Zukunft prägen“. Sachsen-Anhalt sucht mit Headhuntern im Ausland nach Lehrkräften und probt derweil im Modellversuch die Vier-Tage-Woche. Am fünften Tag lernen die Schüler von zu Hause. Brandenburg vergibt Stipendien für Landlehrer und NRW will alle Lehrer künftig gleich bezahlen.
Einzelne Ministerpräsidenten stellen Teilzeitmodelle infrage oder wollen einzelne Fächer in den Schulen priorisieren, damit wenigstens Mathe, Deutsch und Englisch noch ausreichend vermittelt werden kann.
Nach Ansicht derer, die im System als Lehrerinnen und Lehrer tätig sind, greift all das zu kurz. Genauso wie der Plan von CDU und Grünen in NRW, 10 000 neue Lehrerinnen und Lehrer einzustellen. „Wo sollen die herkommen, wenn die Arbeit in den Schulen immer unattraktiver wird“, fragt der Lehrer und Schulblogger Bob Blume. Für ihn geht der Schuss gerade eher nach hinten los. „Immer mehr Lehrkräfte kehren den Schulen den Rücken zu oder fallen mit Burnout aus.“ Die Bedingungen seien zu schlecht.
Schließlich wird den Schulen bei immer knapperem Personal immer mehr aufgebürdet: übervolle Lehrpläne, neue Fächer wie Informatik oder Wirtschaft, Zentralabitur mit genauen Themenvorgaben und immer mehr Schüler mit sozialen und psychischen Problemen.
Obwohl der Lehrermangel dramatisch sei, werde immer noch weggeschaut und nicht entschieden gehandelt, findet David Steimel, Lehrer am Kölner Hölderlin-Gymnasium, der bei der Landtagswahl für Volt kandidiert hat. Für ihn wäre es an der Zeit, dass die Politik über Bundeslandgrenzen hinweg Lösungen entwickelt statt eines Flickenteppichs föderaler Einzelmaßnahmen. Ein Bildungsgipfel, auf dem Verantwortliche aus Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam mit Wissenschaftlern das Problem angehen und eine langfristige politische Strategie entwickeln, wäre ein angemessener Ansatz.
Im Gespräch ist so etwas aber nicht, obwohl die Ampel im Koalitionsvertrag versprochen hat, den „Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen“ zu legen. Bislang kämpft jedes Land für sich und wirbt sich gegenseitig die Lehrkräfte ab, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Lehrkräfte fordern multiprofessionelle Teams und eine Entrümpelung des Lehrplans zur Entlastung
Die Schulen rufen derweil angesichts der Personalknappheit nach Entlastung, um Zeit für das Kerngeschäft des Unterrichtens zu haben. Wenn schon keine Lehrkräfte zu haben sind, so doch wenigstens multiprofessionelle Teams: „Menschen aus verschiedenen Berufen als zusätzliche Kräfte für alles außerhalb des Unterrichts wären eine Riesenentlastung“, sagt Dagmar Philipps, Leiterin des Siegtalgymnasiums in Eitorf. Einen Fachmann für die Verwaltung, einen Systemadministrator für die immer aufwendiger zu pflegende Digitaltechnik, Schulsozialarbeiter an jeder Schule für die immer größere Zahl an Problemen.
Oder: Studierende mehr ins Unterrichten einzubinden über duale Studiensysteme, schlägt Steimel vor. Das bedeute mehr Praxiserfahrung für die Studierenden. Ein Weg, den Sachsen-Anhalt jetzt geht: Dort haben Lehramtsstudierende nun die Möglichkeit, parallel zum Masterstudium vor der Klasse zu stehen und befristet angestellt zu sein. Außerdem rufen Lehrkräfte nach Entrümpelung der Lehrpläne. Statt immer mehr Stoff brauche es Zeit für Vertiefung. „Mindestens 25 Prozent muss raus“, meint Bob Blume.
Aber wie lange werde genau das schon gefordert, fragt eine Schulleitung, die ungenannt bleiben will. Aber auf die Schulen höre ja eh keiner. Am Ende müssten wohl die Eltern auf die Barrikaden gehen, damit sich irgendetwas bewegt. Wenn das so weitergehe mit dem Unterrichtsausfall, dann sei das bald so weit, meint sie. Bei der Nippeser Grundschule jedenfalls sind die Eltern maximal verärgert, „dass wir und unsere Kinder für eine verfehlte Bildungspolitik herhalten müssen“, sagt Mutter Nina Stapelfeld. Dass Distanzunterricht jetzt auch abseits von Corona von der Politik als Dauerlösung betrachtet wird, „das werden wir nicht hinnehmen“.