Veedels-CheckFühlingen – Ein Veedel mit Vergangenheit
Köln – Dass es Fühlingen überhaupt noch gibt, ist gar nicht mal so selbstverständlich. Noch in den 60er Jahren verfolgte die Stadt Köln einigermaßen ernsthaft den aus heutiger Sicht aberwitzigen Plan, Fühlingen und andere umliegende Dörfer für ein Industriegebiet komplett dem Erdboden gleich zu machen. „Das war das einzige Mal, dass Fühlingen geschlossen zum Rathaus marschiert ist, um zu protestieren“, sagt Hans-Josef Weihrauch, lange Jahre Vorsitzender des örtlichen Bürgervereins. Der tausendfache Protest zeigte schließlich Wirkung, der Stadtrat ließ von seinen Plänen ab.
Heute ist Fühlingen eines der großen Freizeitziele nicht nur der Kölner. Der gleichnamige künstliche See, größte zusammenhängende Wasserfläche im Stadtgebiet, zieht Tausende Erholungssuchende und Wassersportler an. Eines der größten europäischen Reggae-Festivals gastiert hier, das mittelalterliche „Spectaculum“ und selbst der Ballermann hat mit „Colonia Olé“ hier eine Dependance. Sogar Ferienwohnungen werden mittlerweile angeboten. Und doch: Irgendwie hat sich Fühlingen seinen dörflichen Charakter bewahren können.
Die 83-jährige Maria Küppers hat ihr ganzes Leben hier verbracht und 50 Jahre lang als Metzgermeisterin die einzige Fleischerei des Orts geführt. Sie erinnert sich noch gut daran, wie in der Nachkriegszeit der damalige US-General Dwight D. Eisenhower bei den in der Nähe stationierten Truppen zu Gast war: „Nachdem man ihm unsere Bratwürste serviert hatte, ließ er am nächsten Tag den ganzen Vorrat aufkaufen, weil sie ihm so gut geschmeckt hatten“, erzählt Küppers und lacht. Doch hoher Besuch hin oder her, die Fühlinger blieben gerne unter sich. „Wer neu zuzog, musste sich schon aktiv um Anschluss bemühen. Sonst blieb er außen vor.“ Den fand man, indem man einem der hiesigen Vereine beitrat – „oder sich bei Frau Küppers an der Theke ordentlich mit Namen vorstellte“, ergänzt Weihrauch lächelnd. Kurze Zeit später wusste man im Dorf Bescheid. „Das hat sich Gott sei Dank geändert, seit der Ort so gewachsen ist“, meint Weihrauch – in den vergangenen 30 Jahren wuchs die Zahl der Einwohner von 1100 auf gut 2200 an. Der Schuh drückt derweil an anderer Stelle: „Wir haben praktisch keine Infrastruktur“, klagt er. „Es gibt kaum Einkaufsgelegenheiten, und seit vor einigen Jahren die letzte Kneipe aufgab, auch keinen Ort mehr, an dem man sich treffen könnte.“
Gespenster und Hochtechnologie
Die nächste Grundschule findet sich im benachbarten Rheinkassel, ein Bus fährt jedoch nicht dorthin. „Man ist sehr auf das Auto angewiesen“, meint Weihrauchs Nachbar Hans Seifert.
Sogar mit Gespenstergeschichten kann Fühlingen aufwarten: Im südlich des Orts gelegenen Wäldchen liegt das verfallende Gemäuer der Villa Oppenheim, das gefühlt seit Ewigkeiten auf seine Wiedererweckung wartet. Die düsteren Ruinen regen mit dezentem Horror-Ambiente die Fantasie geistergläubiger Menschen an – und so, wie es im Moment aussieht, wird sich daran so schnell auch nichts ändern.
Fast wären sie in Fühlingen sogar ganz groß rausgekommen. Eines der zukunftsweisendsten Verkehrsprojekte überhaupt drehte hier im Wortsinne seine Runden. Von den 1950er Jahren bis 1967 bestimmte die Teststrecke der „Alwegbahn“ die Landschaft, eine für damalige Verhältnisse futuristisch anmutende Einschienen-Hochbahn. Heute erinnert einzig der Rest eines Betonsockels am Ortseingang noch an die Strecke, zur Vollendung kam sie vorzugsweise ausgerechnet in Disney-Parks.
Es sollte nicht sein mit der Revolution des Nahverkehrs, den die Fühlinger in ganz konventionellem Rahmen so schmerzlich vermissen. Und doch sind sie sich in einem einig: Die Lebensqualität ist außerordentlich hoch hier im Kölner Norden. Schmucke Eigenheime zeugen von gediegener Peripherie, liebevoll umgebaute Hofanlagen von der bäuerlichen Vergangenheit. Und so bewegt sich Fühlingen im ständigen Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft – heute wie schon immer in seiner Geschichte.