Veedels-Check GremberghovenSchlechte Noten für das Normalverdiener-Paradies
„Das fühlt sich hier an wie das Leben, vom dem in der Südstadt immer geredet wird.“ Marc Jungmann schwärmt von guter Nachbarschaft und Selbstversorgung im Garten. Der Kommunikationsdesigner, der im Rheinauhafen arbeitet, lehnt im Rahmen seiner Haustür – die Plakette, die sein Haus als „Denkmal“ kenntlich macht, in Augenhöhe. „Casa Havanna“ hat er das neue Domizil seiner kleinen Familie getauft. Vor einem Jahr ist er aus der Kölner Südstadt nach Gremberghoven gezogen. „Das Leben hat sich entschleunigt“, sagt der 37-Jährige. In der Innenstadt empfinde er das, was um ihn herum passiert, als „Reizüberflutung“. Welch ein Unterschied zu dem, was er nun in seinem Garten wahrnehmen könne: Vogelgezwitscher und Hühnergegacker. Die Welt tickt hier ein bisschen anders.
Zum Stadtteil gehört neben der ehemaligen Eisenbahnersiedlung das Gewerbegebiet „Airport Business Park“ und die riesige Anlage des Güterbahnhofs Gremberg, der dem Stadtteil den Namen gab und nicht nur für Eisenbahnfans faszinierend ist. Leider ist die Bahn recht zimperlich, wenn man über die Wege ihres Areals spazieren will. Das Stellwerk am westlichen Ende der Anlage verfügt über eine eindrucksvolle Lautsprecheranlage, mit der ungebetene Besucher energisch zurechtgewiesen werden. In der größten Ausdehnung des Bahnhofs liegen rund 60 Gleise nebeneinander. Und auch dort, wo die Sehenswürdigkeit wieder etwas schmaler wird, führt die Rather Straße noch lange 450 Meter unter mehreren Unterführungen her.
Paradies für Normalverdiener
Dahinter liegt ein Wohnort, der völlig anders aussieht, als alles, was man sonst so in Köln kennt: Ein kleines Paradies für Normalverdiener mitten in der Stadt, eine Enklave zwischen Industrie- und Gewerbegebieten sowie den Hochhäusern von Finkenberg, voller Pippi-Langstrumpf-Häuser mit klapprigen, nutzlos gewordenen Holzfensterläden. Schmale Wege führen vorbei an Grün- und Freiflächen sowie an Gärten voller Blumen, Obstbäumen und anderen Nutzpflanzen.
Als der Ort vor rund 100 Jahren als echte Gartensiedlung geplant wurde, war alles noch großzügiger. Schon nach wenigen Jahren begann die Verdichtung, die bis heute anhält. Doch auch wenn immer wieder gebaut wurde und der Stadtteil um einige Mehrfamilienhäuser wuchs, ist das Veedel weiterhin einzigartig.
Es wäre auch eine andere Entwicklung möglich gewesen: Dann wäre aus der Siedlung für Arbeiter und Angestellte der Bahn ein Villenviertel für Reiche geworden. Doch dazu ist es nicht gekommen, auch wenn der Zuzug gut verdienender Südstadter von manchem durchaus als Warnsignal interpretiert werden könnte.
Dass es gelang, viel vom alten Charme zu bewahren, hat einen hohen Preis gekostet: Gremberghoven ist in Sachen Infrastruktur der Negativrekordhalter der ganzen Stadt. Weil immer mehr zum Einkaufen in Zentren in der Nachbarschaft fuhren und die Kaufkraft vor Ort für besonderen Service nicht reichte, verschwanden nach und nach alle Geschäfte für den täglichen Bedarf. Eine Kneipe wird ebenfalls schmerzlich vermisst. Zwei Kioske kümmern sich um die Notversorgung.
Kirche stellt die Arbeit ein
Selbst die katholische und evangelische Kirche haben ihre Arbeit eingestellt. Die Katholiken haben ihre Kirche an die serbisch-orthodoxe Gemeinde vermietet, die sich um ein riesiges Einzugsgebiet kümmert, aber keine Bezüge zum Stadtteil hat. Die evangelische Kirche soll bald abgerissen werden.
Gunther Geisler, der umtriebige Vorsitzende des Bürgervereins, empfängt den Besuch aus der Stadt in den Räumen einer ehemaligen Bäckerei. Er hat Apfelkuchen aus dem heimischen Kühlschrank mitgebracht, denn auch einen Bäcker gibt es nicht mehr. Doch Geisler ist keiner, der Trübsal bläst. „Hier tut sich viel. Es ist viel in Bewegung.“ An der Wand des Domizils des Vereins hängt der Entwurf für ein Veedels-Wappen, in dem das Wappen der Stadt Köln und das von Porz vereint sind. In der endgültigen Version seien diese beiden Symbole gestrichen worden, so Geisler. Übrig geblieben sind das Flügelrad der Eisenbahner und die Kirschblüte als Zeichen eines Veedels, das sich als Ausdruck von Stolz und Selbstbewusstsein endlich ein eigenes Wappen gönnt.
Die Bemühungen von Geisler und seinen Mitstreitern haben Erfolg gehabt: Gremberghoven ist in den Rang eines Kulturdenkmals aufgestiegen. Die Geschichte als Eisenbahnersiedlung ist wieder sichtbarer geworden. Auf einem ehemals tristen Platz steht eine knallrot gestrichene Achse einer alten Dampflok als Wahrzeichen. Daneben ragt eine Bahnhofsuhr in die Höhe, davor wurde ein historisches Haltestellen-Schild montiert.
Hauptattraktionen des Ortes sind jedoch die Wohnhäuser aus der ersten Bauphase der Siedlung zwischen 1919 und 1929. Fast 180 stehen unter Denkmalschutz. Leider nimmt die damit verbundene Verpflichtung nicht jeder gleichermaßen ernst. Mittendrin verrottet ein ehemals schmuckes Haus samt mehrerer auf dem Grundstück abgestellter Kleinwagen. An anderer Stelle sind es kleinere Baumaßnahmen von Hausbewohnern, die offensichtlich gegen Auflagen des Denkmalschutzes verstoßen.
Früher durften hier nur Beschäftigte der Bahn wohnen. Die strenge Vorgabe vertrieb die Kinder der Eisenbahner, wenn sie bei anderen Arbeitgebern angestellt waren. Geisler sagt, eine ganze Generation sei „verloren“ gegangen. Wahrscheinlich sähe die Mischung ohne die Auflage der Bahn heute anders aus. Als Folge des Zuzugs vieler Arbeitskräfte, die die Bahn als Gastarbeiter lockte, ist der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund bis heute überdurchschnittlich hoch.
Nach der Abgabe der Häuser an ein privates Immobilienunternehmen kann jeder nach Gremberghoven ziehen. Die Dorfgemeinschaft scheint intakt, man kennt sich, man hilft sich. Vereine wie der Eisenbahnersportverein, die Schützen, der Zusammenschluss der Kleingärtner, das Bahnsozialwerk, ein Chor oder das Seniorennetzwerk helfen dabei. Lukas Podolski war zweimal zu Besuch, um mit seiner Stiftung die Jugendarbeit zu unterstützen. Jedes Jahr wird ein Bürgerfest und ein Schützenfest und natürlich Karneval gefeiert. Der ortsansässige Karnevalsverein nennt sich „die Schluckspechte“. Die Vorsitzende beteuert: „Wir trinken weniger als der Name vermuten lässt.“
Rund 60 Prozent der Wohnungen gehören heute dem Unternehmen Vonovia, das 2015 die Nachfolge der Deutschen Annington antrat, die bei Mietern und Stadtplanern nicht den allerbesten Ruf hatte. Zunächst sei das Leben mit einem privaten Vermieter nicht einfach gewesen, heißt es im Veedel. „Anfangs haben die schon mal ihre Muskeln spielen lassen“, so Geisler. „Aber wir haben ein vernünftiges Verhältnis aufgebaut.“
Die Geschichte von Gremberhoven
Um Verwechslungen mit dem Kölner Stadtteil Gremberg zu vermeiden, setzten die Bewohner der Eisenbahnsiedlung 1922 den Namen Gremberghoven durch. Der Porzer Gemeinderat hatte vor, die Siedlung zunächst wenig einfallsreich Ensen-Ost zu nennen. Die Deutsche Reichsbahn wollte nach dem Bau ihres neuen Güterbahnhofs Gremberg in unmittelbarer Nachbarschaft Wohnungen für ihre Beschäftigten schaffen. Der Bahnhofsbetrieb – weit entfernt von der Stadt – verlangte nach viel Personal, das rund um die Uhr verfügbar sein sollte. So ließ die Bahn Häuser mit Gärten zur Selbstversorgung nach der aus England stammenden Idee einer „Gartensiedlung“ bauen. Da sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte und schnell mehr Wohnungen gebraucht wurden, wich man bereits in der zweiten Bauphase nach 1928 von den ursprünglichen Plänen ab. An die Stelle von Hausgärten traten Grün- und Freiflächen zur gemeinsamen Nutzung der Bewohner von zweistöckigen Mehrfamilienhäusern. Nach schweren Zerstörungen und einer vollständigen Evakuierung im Zweiten Weltkrieg begann 1949 der Wiederaufbau, ab 1960 kamen größere Häuser für besserverdienende Beamte dazu. (fra)
Die größten Baustellen von Gremberghoven
Sanierungen und Neubauten im Viertel entwickeln es weiter, bergen aber immer auch Probleme: Die Mieten steigen, die Zahl der Freiflächen nimmt ab.Einen guten Interessensausgleich hinzubekommen, ist die größte Herausforderung. Das Leben im Stadtteil verbessert sich zum Beispiel durch den Bau von Kitas, außerdem kann neuer Wohnraum für die Stadt entstehen. Aber gleichzeitig muss der Charakter des Viertels erhalten bleiben. Die Stadt muss sich kümmern – sowohl mit ihren Denkmalschützern wie auch mit klaren Vorgaben fürs Bauen. Ein neuer Bebauungsplan ist in Arbeit. Der Ort ist ein Kandidat für eine Milieuschutzsatzung. Zusammen mit Politik, Verwaltung und dem Immobilienunternehmen Vonovia muss ein Konzept entwickelt werden, das zumindest eine rudimentäre Grundversorgung sichert. Ein kleiner Laden, eine Kneipe, ein Eis-Café – innovative Ideen sind gefragt. Ohne Subvention wird es nicht gehen. Auch für den Durchfahrtsverkehr muss eine Lösung her. Dafür sind die kleinen Straßen nicht gemacht. (fra)