Veedels-CheckIn Köln sterben die Kneipen aus
Köln – Es ist Mittwochabend, kein berühmt-berüchtigter Schnitzeltag ist angekündigt, und auch der prominente Dauergast Hans Süper sitzt nicht im Saal, der eigens nach ihm benannt ist. Trotzdem ist es im „Sölzer Klaaf“ an der Gerolsteiner Straße in Sülz rappelvoll.
Einen Platz an der Theke hat sich Stammgast Dieter Broich gesichert. „Unsere ehemalige Stammkneipe hat sich aufgelöst, da brauchten wir was Neues. Wir haben unsere Mau-Mau-Karten zusammengepackt und bei Wirtin »Ika« gefragt, ob wir bei ihr spielen dürfen“, sagt er.
Seit sieben Jahren sitzt seine Runde nun jeden Samstagmittag zwei Stunden bei Karten und Hausmannskost in Zineta „Ika“ Janzowskis Lokal. „Die Atmosphäre ist so freundlich und offen, die Wirtin geht auf alle Gäste zu. Deswegen komme ich auch so für ein Kölsch unter der Woche vorbei“, sagt Broich.
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Das Sülzer Wirtshaus: eine von 727 Kneipen und Schankbetrieben, die der Gaststättenverband Dehoga 2016 in Köln erfasst hat. Doch die Zahl schrumpft: Im Jahr 2000 gab es noch 30 Prozent mehr. Wer in kleineren Kölner Veedeln wie Flittard wohnt, erfährt am eigenen Leib, was das bedeutet: Schließen die Wirtshäuser, leidet das soziale Leben im Ort. Aber wie. In Sülz nicht. Da brummt es.
„Jeder kennt jeden, das ist richtig“, werfen die Frauen vom „Stammdesch Die Kölsche Mädche vom Klettenberg“ ein, die Stammgast Broich zugehört haben. Sie sitzen zu sechst am runden Holztisch hinter Broich. „Dass ihr ’ne Flasche Wasser auf’m Tisch habt, wundert mich jetzt aber“, scherzt Broich und wendet sich noch schnell, bevor die „Mädche“ anfangen zu schnattern, zu seiner Rechten: „Schmeckt’s Katharina?“ Die ältere Dame nickt, der Mund ist voll.
Die Speisen auf ihrem Teller hat Koch Rolf Janzowski zubereitet. Nouvelle Cuisine habe er früher gekocht, aber das urtypisch Kölsche einer Veedelskneipe würde er gegen keine Sterneküche eintauschen wollen. „Die Gäste merken allerdings, ob Fachpersonal in der Küche und im Service arbeitet. Ohne geht es nicht“, sagt Janzowski, der 35 Jahre lang sein eigenes Restaurant geführt hat. Jetzt ist seine Ex-Frau Chefin. „Wir sind ein echter Familienbetrieb, das funktioniert super“, sagt er. Mit ihm kocht die Schwester der Chefin, quasi seine Ex-Schwägerin. „Rolf, erzähl nicht alles“, sagt Wirtin Ika lachend und wedelt mit dem Handtuch.
Es sei die Herzlichkeit der Wirtsleute, weshalb sie so gerne kämen, meinen die „Mädels“ vom Stammtisch. „Man braucht doch einen Punkt, wo man hingehen kann. So eine Stammkneipe ist wichtig für Leib und Seele. Nicht nur für die eigene, sondern auch fürs Veedel“, findet Broich. Das gilt auch für das Wirtshaus „Em Höttche“ auf der anderen Rheinseite in Dellbrück. „Das ist heutzutage der Dorfmittelpunkt, so wie es früher die Kirche war“, meint Rudi Meier, der das Wirtshaus seit Kindheitstagen kennt. Schon als kleiner Junge habe er seinen Großonkel dort abgeholt und nach Hause gebracht.
Die ursprüngliche Poststation ist allerdings noch viel älter. Das Fachwerkhaus entlang der Gierather Straße im ehemaligen Strunden, wie es vor der Eingemeindung hieß, ist von 1785. Schon Napoleon soll hier genächtigt haben. Bis vor 15 Jahren war darin auch immer der Ausschank, jetzt liegt der im neuen Anbau. „Wir brauchen den Platz“, sagt Wirt Dirk Kleber.
Früher gab es sieben Kneipen allein an der Gierather Straße, bis vor fünf Jahren waren es noch zwei, heute ist nur noch das alte Wirtshaus übrig.„Das Kneipensterben ist schade. Gerade hier ist ein vielfältiges gastronomisches Angebot wichtig, damit die Leute nicht in die Stadt fahren“, sagt Kleber. „Wenn sie dreimal keinen Platz bekommen, weil alles voll ist, kommen sie nicht wieder. Früher konnte man eben nach gegenüber gehen. Positiv hat sich gewandelt, dass auch die jungen Leute in Kneipen und Brauhäuser gehen. Die trinken sich dann bei uns ein paar Kölsch und fahren danach in die Stadt zum Feiern.“ Bevor er das Wirtshaus vor 15 Jahren übernahm, war er Köbes in „vielen Häusern der Altstadt“.
Auch da sieht er einen Kulturwandel: „Ein Köbes darf frech sein, das gehört dazu. Aber viele wissen nicht mehr Maß zu halten, weder im Umgang mit den Gästen noch beim Alkohol.“ Seine Köbesse sind von der höflichen Sorte und siezen die Gäste erst einmal.
Das findet auch Meier gut, der froh ist, dass ein „vernünftiger“ Wirt im Ort ist, der sich auch mal auf was Neues einlässt. „Ihm gelingt es, Traditionen und Moderne zu verbinden. Das Kappes- und Maifest finden hier statt, der Pings-Junge-Verein und die Freiwillige Feuerwehr Löschgruppe Strunden können hier einkehren. Neu ist die kleinste Sitzung und die Kölsch-Akademie, es gibt Lesungen und Konzerte, die Stammgäste haben die Initiative »Strundener Stern« für krebskranke Kinder gegründet. Die Vielfalt macht das Wirtshausleben richtig rund“, sagt Meier. Was früher Altherren-Domäne vom Frühschoppen bis zum Absacker war, ist heute familientauglich.