Veedels-CheckIn Sülz gibt es viele Bäume und Akademiker
Köln-Sülz – Es ist ein Stadtviertel mit Patina. Seine Vergangenheit hat Spuren hinterlassen. Alte Tore, Hinterhöfe und Hallen sind Überbleibsel der Fabriken, die hier einst Goldleisten, Motor-, Fahrräder, Autos, Bürsten, Buchdruckerschwärze, Möbel, Lacke, Lakritze, Zigarren, Mieder und Strohhüte produzierten. Das an Ägidius- Redwitz-, Nikolaus-, Marsilius- und Sülzburgstraße ansässige Gewerbe sorgte gegen Ende des 19. Jahrhunderts für einen enormen Zuzug. Zweistöckige Dreifensterhäuser wurden für die Handwerker als Unterkunft errichtet. In Sülz wurde gewohnt und gewerkelt.
Heute kann man fast noch das Hämmern aus den Produktionsstätten hören. Die engen Straßenzüge bilden sozusagen das Herz des Viertels, das im Bewusstsein der Bevölkerung weiter schlägt. Im kollektiven Gedächtnis ist gespeichert, was hier geschah: Zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhundert bildeten die Palanter- und die Ägidiusstraße die „Rote Zelle“ von Sülz, Heimat zahlreicher Kommunisten. Hier drängelten sich in den Wohnungen Arbeitergroßfamilien, deren Kinder sich mit denen aus dem angrenzenden „Lackschuhviertel“ Klettenberg prügelten. Die Nationalsozialisten hielten gerade deshalb vorwiegend in Sülz ihre Aufmärsche ab. Die Bevölkerung konterte – so jedenfalls die Legende – indem sie Nachttöpfe aus dem Fenster warf.
In der Palanterstraße war auch der Boxer und dreimalige deutsche Meister im Mittelgewicht, Peter „dä Aap“ Müller, zu Hause. Aufgrund der zunehmenden Wohnungsnot Anfang des 20. Jahrhundert gründeten die Arbeiter Wohnungsgenossenschaften und errichteten Häuserblocks. Sie prägen heute ebenfalls das Bild von Sülz – das längst kein Arbeiterviertel mehr, sondern ein Akademikerviertel ist. Die Studenten, die wegen der nahen Universität ins Viertel zogen, fühlten sich so wohl, dass sie blieben und Familien gründeten.
Das Viertel lockte immer mehr Menschen an, denn Sülz bietet beides, Urbanität und fast ländliches Flair, die Möglichkeit einzukaufen und sich zu erholen. Der geborene Sülzer und Stadtführer Bruno Knopp kennt die Gründe für das Flair: „Anfang des 20. Jahrhunderts hat man eine neue Häuserzeile an der Sülzburgstraße um gut zehn Meter nach hinten versetzt und so einen Boulevard geschaffen. Das bildet ein einmaliges Stadtteilzentrum, denn diese Hauptachse ist keine stadtauswärtige Straße“, so Knopp. Sie sei ein alter Feldweg, der zwei alte Römerstraße, die Luxemburger und die Berrenrather Straße, verbindet. Das ist in Köln einzigartig“, schwärmt er.
„Gleichzeitig hat kein anderes Kölner Viertel einen so hohen Anteil an Grün.“ Der Beethovenpark als „Scharnier zum Stadtwald“, wie Knopp es nennt, ist nicht nur eine wichtige Luftschneise und ein klimatisches Gegengewicht zur Hitze der Stadt. Die Lage am Äußeren Grüngürtel bestimmt das Lebensgefühl der Sülzer.
Mit der Attraktivität des Wohnortes lässt sich Geld verdienen. So wurden Altbauten hochglanzsaniert, schlichte Reihenhäuser zu teuren Eigenheimen. Moderne Neubauten entstanden überall dort, wo es freie Flächen gab, wie auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheimgeländes zwischen Sülzgürtel und Neuenhöfer Allee. Die Parklage zog vor allem viele Familien mit Kindern an. Überhaupt prägen die Kleinen das Straßenbild mit. Schulen, Spielplätze, ein stadtbekanntes Kindertheater, Musik- und Sportkurse sorgen dafür, dass Mütter mit jungen Sülzern oft auf den Straßen unterwegs sind.
So hält sich im Viertel hartnäckig das Gerücht, dass Sülz mit dem Prenzlauer Berg in Berlin zu den kinderreichsten Vierteln Deutschlands zählt. Zumindest was das Kölner Viertel betrifft, stimmt das nicht, wie die Stadt Köln bestätigt. „Was den Anteil der Kinder- und Jugendlichen betrifft, liegt Sülz im Stadtteilvergleich weit hinten auf einen der letzten zehn Plätze“, sagt Jürgen Müllenberg, Pressesprecher der Stadt. „Im Hinblick auf neugeborene Sülzer liegt das Viertel im städtischen Vergleich immerhin auf Platz vier, hat aber auch eine höhere Bevölkerungszahl als andere Viertel.“ Damit ist auch das relativ.
Dennoch, Sülz hat Gemeinsamkeiten mit dem Prenzlauer Berg, nicht nur, was die Dichte an Ökoläden und asiatischen Restaurants betrifft. Der Strukturwandel ist vollzogen. In den meist teuren Wohnungen im äußerlich unprätentiösen Straßenbild mit dörflichem Charme sind Menschen mit einem gewissen finanziellen Einkommen und einem politischen Bewusstsein zu Hause.
Im Viertel agiert eine urbane Akademikerschicht weniger traditionell als trend- und umweltbewusst, aber auch sozial, engagiert sich für wichtige Themen, für Flüchtlinge, für Nachhaltigkeit, gegen Rechts, für den Schutz des Äußeren Grüngürtels – oder einfach für die Nachbarschaft, wie die Betreiber des Büdchens am Nikolausplatz. Auch „Tante Olga“ ist in Sülz ansässig. Dabei handelt es ich um einen der wenigen „Unverpacktläden“, also Geschäfte, die Lebensmittel und andere Dinge ohne Verpackungen verkaufen, um Müll zu vermeiden. Der Car-Sharing-Anbieter Cambio hat besonders viele Stationen in Sülz.
Es gibt viele Viertelsbewohner, die sich für mehr Radwege und weniger Autoverkehr einsetzen. Es gibt die SUV-Fahrer. die auch im Biosupermarkt einkaufen. Und es gibt Alteingesessene, die sich durch den ideologischen Eifer einiger oft hinzugezogener Sülzer bevormundet fühlen, die um Parkplätze bangen und darum, dass sich ihr Veedel allzu stark verändert und sie verdrängt werden.
Es ist ein Graben spürbar zwischen Altem und Neuem. Der Strukturwandel fordert Opfer. Knopp sieht eine Gefahr: „Wenn eine tendenziell willfährige Stadtplanung sich nicht wieder in eine steuernde und konzeptionell-ganzheitliche Stadtentwicklung zurückverwandelt, wenn weiterhin Investoren sagen können, was sie machen möchten, und die Stadt erst einmal schaut, wie sie das umsetzen kann, dann werden die einzelnen Veedel immer stärker ihren Charakter verlieren und austauschbar.“ Und dann wird auch Sülz seine Patina verlieren, die den besonderen Reiz ausmacht.
Die wichtigsten Baustellen des Veedels
Trotz zahlreicher Kinder im Viertel mangelt es an Radwegen, auf denen sie sicher zu den Schulen fahren können. Die Zülpicher Straße ist zwischen Schienen und Autoverkehr für Radler zu gefährlich, auf der Luxemburger Straße rasen die Autos stadteinwärts, auf der Berrenrather Straße zwingen Zweite-Reihe-Parker sie, zwischen fahrende Autos auszuweichen. 2017 sollten die Palanter- und die Nikolausstraße Fahrradstraßen werden. Das hat die Politik beschlossen, geschehen ist aber nichts. Auch der 2016 beschlossene Umbau der Berrenrather Straße in eine beruhigte Verkehrsachse mit Fahrradschutzstreifen, Zebrastreifen und Kreisverkehren wurde mehrfach verschoben und soll nun erst 2020 realisiert werden. Bei aller Zufriedenheit mit den Einkaufsstraßen und der Vielzahl der Restaurants – manche Sülzer bedauern immer wieder eines: Es fehlt an einer Kneipenlandschaft, die diesen Namen verdient. Laut Veedelsführer Bruno Knopp ist das der größte Nachteil. „Es gibt das Schlösselchen an der Sülzburgstraße, die einzige richtige Nachtkaschemme im positiven Sinne.“ Natürlich sei da noch die Wundertüte am De-Noel-Platz, das Berrenrather an der Berrenrather Straße und das Knollendorf an der Gustavstraße. Das sei für so ein großes Viertel aber wenig. Dabei seien Kneipen wichtige Treffpunkte für Alteingesessene und Zugezogene, Junge und Alte, um in Kontakt zu kommen und Vorurteile abzubauen.
Die Geschichte des Veedels Sülz
Der Name Sülz leitet sich von dem ehemaligen Fronhof Sulpeze, später Sulpze ab, der im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und im 15. Jahrhundert zerstört wurde. Sulpeze/Sulpze bedeutet „nasser Grund“. Wenig später baute man den alten Hof als Villa Nova an der Berrenrather Straße wieder auf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde er abgebrochen. Auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Sülz befanden sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele Sand- und Kiesgruben, Ziegeleien und auf Grund der noch fehlenden Kanalisation Poudrettefabriken (Düngemittel) mit entsprechender Geruchsbildung. Dazu siedelten sich zwischen Sülzburg- und Ägidiusstraße Gewerbebetriebe und Fabriken an. Es folgte ein enormer Bevölkerungszuzug. In Sülz gab es die unterschiedlichsten Produktionsbetriebe. Es entstand die typische Mischung aus Wohnen und Arbeiten. Viele Betriebsstätten sind noch erhalten.